Der blinde Fleck der Linken in der FDP

Chris Pyak von der ALDE wirft seinem Parteivorsitzenden in der Migrationsdebatte konservative Begrenzungsrhetorik vor. Damit dürfen sich alle gemeint fühlen, die an ein schwarz-gelbes oder vielleicht auch bald gelb-schwarzes politisches Projekt glauben. Daher widersprechen Jan Klein-Zirbes, Mitglied in der FDP, und Philipp Mauch, Mitglied in der CSU: Der linke Parteiflügel der FDP hat selbst einen blinden Fleck.


Chris Pyak (ALDE) hat an Christian Lindner appelliert, er solle beim Thema Migration einen konsequent liberalen und jedenfalls keinen konservativen Standpunkt vertreten. Insbesondere missfällt ihm dabei eine gewisse Begrenzungsrhetorik, die das Potential von Einwanderern in einen „toten Winkel“ stelle und überhaupt Integration erschwere. Gerade in einer Jamaika-Koalition hätte die FDP Farbe bekennen und sich konsequent für mehr Wertschätzung von Migranten einsetzen können.

Semantische Verwirrung: Zu- und Einwanderung

Von diesem Apell darf sich nicht nur Christian Lindner angesprochen fühlen, sondern auch jeder, der an ein schwarz-gelbes oder vielleicht auch bald gelb-schwarzes politisches Projekt glaubt. Aus dieser Perspektive betrachtet, gibt es freilich erheblichen Sortierungs- beziehungsweise Klarstellungsbedarf. Denn wie immer beim Thema Migration wird auch bei Pyak alles miteinander vermischt, angefangen vom schwedischen Expatriat, der oder die eine Leitungsfunktion bei Google in München übernommen hat, bis zu der armen Seele, die ebendort am Bahnhof von der Polizei aufgegriffen wurde, nachdem sie in einem Güterzug versteckt den letzten Abschnitt einer lebensgefährlichen Odyssee hinter sich gebracht hat.

Dabei weiß Lindner in seinen Statements sehr wohl im Sinne des FDP-Programms zwischen der Einwanderung von qualifizierten Fachkräften, dem humanitären Schutz von Kriegsflüchtlingen, Asyl für individuell Verfolgte und der willkürlichen Zuwanderung aus wirtschaftlichen Gründen zu unterscheiden. Nun geht es Pyak aber nicht um programmatische oder rechtliche Details, sondern um den Ton des Parteivorsitzenden, der in der breiten Öffentlichkeit die Musik macht.

Pyak zufolge schafft es ein Klima der Ablehnung, wenn der Familiennachzug für illegal eingereiste Migranten, die nur vorübergehenden Schutz genießen, in Frage gestellt und die Begrenzung der Kontingente für Flüchtlinge gefordert wird. Wer auch immer in Deutschland einen direkten oder auch nur indirekten Migrationshintergrund hat, droht in Pyaks Augen in diskriminierender und also unzumutbarer Weise vor den Kopf gestoßen zu werden. Damit wird ein begrifflich vergifteter Ball in ein Argumentationsfeld geworfen, das differenzierte Sachlichkeit und Offenheit dringend erfordert.

Zugegeben: Der Ton macht die Musik

Die semantische Verwirrung ist kein Zufall, sondern hat ideologische Gründe. Allerdings ist in Sachen Ideologie zuerst einmal einzuräumen – zumindest aus konservativer Sicht -, dass sich die CSU in dem bizarren Obergrenzenstreit tatsächlich selbst äußerst ungeschickt angestellt hat. Der Umstand, dass man im Jahr zweihunderttausend Menschen aufnehmen wollte, obwohl diese in der Regel keinen Anspruch auf Asyl haben, weil sie aus sicheren Drittstaaten einreisen, wurde teilweise als harte Linie gegen Flüchtlinge verkauft. Zumindest hat sich die CSU-Führung eine solche pauschale Auslegung hier und da gefallen lassen, in der Hoffnung vielleicht, am rechten Rand als gemäßigte Alternative zur AfD verstanden zu werden.

Wenn man sich das Schicksal der CSU bei der Bundestagswahl vor Augen führt, tun die Liberalen wahrscheinlich gut daran, einer Nachahmung der Konservativen skeptisch gegenüberzustehen. Das sei Pyak zugestanden. Ferner ist der migrationspolitische Unterschied zwischen „ZU-“ und „EIN-„wanderung tatsächlich etwas zu fein, um nicht für alle möglichen und also auch rechtspopulistische Interpretationen offen zu stehen. Trotzdem fragt sich, ob der von Pyak skizzierte Gegenentwurf einer rigorosen Willkommenskultur ohne Begrenzung oder Assimilationsdruck wirklich noch als liberal, mithin als frei von Ideologie durchgehen kann oder nicht vielmehr schon als linkspopulistisch angesehen werden muss.

Das Märchen von den Fachkräften

Sicherlich ist es eine gute Sache, wenn Deutschland ein attraktiver Standort für international verfügbare, hochqualifizierte Fachkräfte ist. Aus Gründen des demographischen Wandels werden tatsächlich möglichst viele junge Menschen in gutbezahlten Jobs benötigt, um die Volkswirtschaft am Laufen zu halten und so die Rentenkassen zu füllen. Dass eine Politik der offenen Grenzen hier Abhilfe schaffen könnte, darf allerdings als eines der am gründlichsten widerlegten Märchen aus dem Flüchtlingssommer 2015 gelten.

Liberal wäre, die Chancen und Erfolge der insbesondre innereuropäischen Einwanderung anzuerkennen ebenso wie die Risiken der unkontrollierten Zuwanderung und dementsprechend die Gesetzgebung zu gestalten. Die Chancen aufzubauschen und die Risiken klein zu reden, aus dem Wunsch heraus, Migranten jegliche Differenzierungserfahrung zu ersparen, ist eine linkspopulistische Marotte, die mindestens so viel Anteil am Erfolg der AfD hat wie eine Dauerbesorgtheit, die angeblich den Sound der Rechten salonfähig macht.

Deshalb will das Einwanderungsgesetz der FDP an den Knackpunkten schärfer trennen und die derzeit unübersichtliche Gemengelage aus Gesetzen und Verordnungen reformieren. Die damit einhergehende begriffliche Dekontamination durch Differenzierung hilft nicht nur den betreffenden Fachkräften, sondern auch den wirklich Schutzbedürftigen.

Integration: Der Popanz Leitkultur

Dann wäre da noch die Sache mit der Anpassung. Pyak wünscht sich, dass Liberale das „Recht des Punks sich eine Sicherheitsnadel durch die Nase zu stecken, des Volksmusik-Fans ein Dirndl zu tragen (sogar zu seinem Vollbart) und das Recht einer Muslima ein Kopftuch anzuziehen“ verteidigen. Als wäre die Forderung nach fairer Arbeitsteilung zwischen Gesellschaft und Migranten bei der Integration eine Frage der Kleiderordnung (vom „Kopftuchstreit“ mal ganz abgesehen). Worum es hier geht, ist die Eingliederung in die aufstiegsorientierte Leistungsgesellschaft des westlich orientierten Europas. Die Leitkultur als Idyll der Kirchtürme und Volksfeste ist lediglich ein Popanz, der von antikapitalistischen Ideologen dankend überzeichnet wurde, die vielmehr die bestehende Gesellschaftsordnung als neoliberalen Irrweg in Verruf bringen wollen.

Dieses Spielchen hatte man bereits beim Vorschlag der CSU beobachten dürfen, von Migranten das Erlernen und den Gebrauch der deutschen Sprache einzufordern. Aus tendenziöser Absicht wurde so getan, als wollte man die Sprachgepflogenheiten von Familien am Esstisch zwangs-germanisieren. Tatsächlich sollte die Entstehung von Parallelgesellschaften verhindert und Partizipationsmöglichkeiten am Arbeitsmarkt verbessert werden. Darin kann man eine kulturrassistische Zumutung sehen, dann ist man aber kein Liberaler, sondern ein Linker.

Linkspopulismus ist auch keine Lösung

Zuletzt warnt Pyak noch vor der „späten Rache“ von „fast 40 Prozent der Kleinkinder in Deutschland, die Eltern oder Großeltern“ haben, „die im Ausland geboren wurden“. Ihm scheint nicht bewusst zu sein, dass er damit das kollektivistische Überfremdungsnarrativ der neuen Rechten lediglich auf links krempelt: Die Vorstellung einer ganzen Generation gedemütigter und rachsüchtiger Migranten, die bald das Land übernehmen könnten, wird hier zu einem Fundus für linksliberale Wechselwähler umgedeutet. Das sind zwei Seiten einer und derselben brandgefährlichen Medaille, Individuen auf ihre Identität als Migranten zu reduzieren.

Natürlich kann man sich eine liberal-konservative Variante der FDP verbitten und stattdessen einem linken beziehungsweise grünen Liberalismus das Wort reden. Aber dann muss man das auch klar sagen. Lindner als gelb lackierten Rechtspopulisten und die Jamaika-Unterstützer als Gralshüter des lupenreinen Liberalismus hinzustellen, ist jedenfalls eine unfaire und zum Teil sogar gefährlich irreführende Unterstellung. Hier hat nicht Lindner, sondern der linke Flügel der FDP einen blinden Fleck.

Liberale sollten Populismus von links und rechts gleichermaßen skeptisch gegenüberstehen und sich anderen Parteien öffnen, wo diese den Geist ideologischer Äquidistanz teilen. In den Sondierungen mit der Union und den Grünen war das nicht möglich. Die FDP hat keinen Grund darüber verbittert zu sein. Im Gegenteil, sie sollte stolz sein auf den Dienst, den sie dem demokratischen Pluralismus damit vermutlich erwiesen hat.

Philipp Mauch

Philipp Mauch ist von Berufs wegen Stratege für Regulierungsmanagement in der Konsumgüterindustrie. Als Stipendiat der Hanns-Seidel-Stiftung hat er über Nietzsche promoviert – eine Kombination, die er als Ausweis seines liberal-konservativen Nonkonformismus verstanden wissen möchte. In seinem Blog „Variationen der Alternativlosigkeit“ grübelt er über Deutschlands politische Kultur.

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