Das Ende der Ära Merkel
Wenn Merkel noch etwas zur Stabilisierung der Demokratie tun will, muss sie jetzt schnell einen mutigen Nachfolger suchen, unterstützen – und sich dann zurückziehen. Aber sie muss sich vor allem schnell öffentlich dazu bereiterklären.
Die Ära Angela Merkel ist zu Ende. Man kann es richtig finden oder falsch, man kann es bedauern oder sich hämisch darüber freuen. Aber eins ist seit gestern Abend klar: Wer starke Parteien in der Mitte will, wer eine stabile Regierung wünscht, die von den ausgleichenden Parteien des konservativ-sozialdemokratisch-liberalen Spektrums dominiert wird, der kann heute nur noch hoffen, dass Angela Merkel morgen – buchstäblich morgen – ihren Rücktritt erklärt, wenigstes definitiv bekanntgibt, dass sie zur nächsten Bundestagswahl nicht mehr antritt. Und mit ihr die Ministerinnen und Minister, die das Fehlschlagen des Projekts „Wir schaffen das“ mit zu verantworten haben.
Ein Neuanfang ist nötig – schnell
Man mag immer wieder beteuern, dass Merkel vor einem Jahr keine andere Wahl gehabt hätte, als die hunderttausenden Flüchtlinge ins Land zu lassen. Man kann laut und tausendfach wiederholen, dass es ein Akt notweniger humanitärer Hilfe gewesen sei. Selbst wenn das wahr wäre, würde an einem schnellen personellen Neuanfang in den Regierungsparteien kein Weg vorbei führen. Denn Demokratie ist nicht in erster Linie ein Spiel von Fakten und Nutzenseffekten, sondern von Vertrauen – vor allem von Vertrauen in die Zukunft. Und dieses Vertrauen ist verloren gegangen.
Keiner kann von sich behaupten, dass er die Sache vor einem Jahr besser gemacht hätte als Merkel und ihre Leute. Aus heutiger Sicht ist klar, dass die Kanzlerin Fehler gemacht hat. Natürlich gab es Alternativen. Das unkontrollierte Chaos hätte verhindert werden können, ohne dass die Humanität auf der Strecke geblieben wäre. Auch das Chaos war inhuman, die Überlastung der Ehrenamtlichen, die Unsicherheit und die Ungewissheit bei den Flüchtlingen, die Eskalationen von Köln, die brennenden Flüchtlingsheime. Eine moderne Gesellschaft kann Humanität nur durch geordnete Verfahren sichern, ohne diese wird Humanität zum Strohfeuer, dem die Enttäuschung folgt, wenn die kalte Asche durch die trüben Straßen treibt.
Die Einreise nicht in geordneten Bahnen einschließlich Registrierung, Überprüfung und kontrollierter Unterbringung organisiert zu haben, das ist das große Versagen der Regierung. Ein paar Interviews mit Beschwörungsformeln reichen da nicht aus.
Und am Ende haben wir es nicht geschafft. Wir haben stattdessen einen faulen Kompromiss mit einem Autokraten geschlossen, der die Demokratie im eigenen Land aushöhlt, der uns nun in der Hand hat. Und der es auf diese Weise schafft, unsere eigenen demokratischen Prinzipien in Gefahr zu bringen, wie die Erklärung des Regierungssprechers zur Armenien-Resolution gerade gezeigt hat.
Nichts ist geschafft beim Flüchtlingsproblem
Und wir sind in keiner Weise darauf vorbereitet, dass sich schon bald von neuem Flüchtlinge, aus welchem Grund und aus welcher Region dieser Welt auch immer, zu uns auf den Weg machen. Nichts ist heute besser vorbereitet als vor einem Jahr. Im Gegenteil: die Bereitschaft zur Willkommenskultur ist aufgebraucht. Es wird keinen freudigen Empfang am Bahnsteig mehr geben, es wird nur noch geringe Bereitschaft geben, sich aufzuopfern für die armen Menschen, die da zu uns kommen könnten.
Der Grund ist allein, dass die Bundesregierung es nicht geschafft hat, ihrem „Wir schaffen das“ energische, klare Verfahren und Regeln zur Unterbringung, Registrierung, zur Kontrolle und nötigenfalls Abschiebung folgen zu lassen. Bis heute ist nicht zu sehen, wie diese Regierung die Herausforderung einer erneuten Öffnung der europäischen Außengrenzen meistern wollen würde.
Der Kanzlerin und der Regierung, wie sie heute ist, traut das auch niemand mehr zu. Und ohne ein solches Vertrauen ist keine Führung möglich, die notwendig wäre, um nachhaltig das Notwendige zu tun. Deshalb hilft nur ein schneller Neuanfang mit Leuten, die bisher in der zweiten oder dritten Reihe standen. Man kann nur hoffen, dass es dieses Personal in den Ländern gibt, und dass es sich jetzt mutig und selbstbewusst zu Worte meldet. Merkel könnte der Stabilität der Demokratie einen letzten Dienst erweisen, wenn sie diese Mutigen durch einen schnellen richtigen Schritt zurück in die zweite Reihe unterstützt.
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