Aus deutschen Schlachthöfen

Die Arbeitsbedingungen in der deutschen Fleischindustrie gehören dringend auf den Prüfstand, sagt Kolumnist Henning Hirsch. Lieber einen Tag lang kein Schweinenackensteak als täglich Billigfleisch auf dem Teller


Das sagt darüber überhaupt nichts aus, weil Rumänen und Bulgaren da eingereist sind und da der Virus herkommt. Das wird überall passieren,

antwortete NRWs Ministerpräsident Armin Laschet Mitte vergangener Woche auf die Frage, was der Corona-Ausbruch im Schlachtbetrieb Tönnies über die bisherigen Lockerungen aussage.

Tags darauf ruderte Laschet zurück und erklärte:

Menschen gleich welcher Herkunft irgendeine Schuld am Virus zu geben, verbietet sich.

Womit wir es auch fürs Erste gut sein lassen wollen. Jedem von uns rutscht ja hin und wieder ein politisch unkorrekter Satz raus, von dem er im Nachhinein wünscht, dass er ihm nie über die Lippen gekommen wäre. Jedoch offenbart obige unbedachte Äußerung doch Folgendes:

(a) einreisende Saisonarbeiter werden anscheinend immer noch nicht richtig auf Covid-19 getestet
(b) Rumänen und Polen scheinen in unserer Wertschätzung auf einer niedrigeren Stufe als bspw. Franzosen und Schweden zu stehen. Oder könnten Sie sich den Laschet-Satz auch mit Franzosen und Schweden vorstellen? Also ich ehrlich gesagt nicht.

Corona offenbart schonungslos Schwachstellen

Corona legt schonungslos die Schwachstellen in jeder Gesellschaft offen. Sei es ein marodes Gesundheitssystem, sei es ein zu großer informeller Sektor, der den notwendigen Lockdown nahezu unmöglich macht, seien es die Schulen, die noch nicht ausreichend auf Homelearning eingestellt sind, oder seien es eben ausbeuterische Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie.

Gemäß den zwei spätkapitalistischen Mantras:
(1) Geiz ist geil
(2) Bei kleiner Gewinnmarge muss eben die Menge kontinuierlich gesteigert werden …
… lassen wir ausländische Leiharbeiter zu Bedingungen bei uns schuften, die im Falle, dass wir Deutsche davon betroffen wären, zu monatelangen Streiks bis hin zu bürgerkriegsähnlichen Aufständen führen würden. Wir entschuldigen die Zweiklassen-Arbeitsgesellschaft damit, dass diese Menschen (zum überwiegenden Teil Osteuropäer) zum einen von zu Hause her nichts anderes gewohnt und die niedrigen Herstellkosten v.a. deshalb notwendig sind, um die riesige Fleischnachfrage der Nation sicherstellen zu können. Ein Tag ohne Billig-Schweinenackensteak ist kein deutscher Tag.

Dass die niedrigen Lohnkosten in Kombination mit den überhöhten Mieten für verschimmelte Schrottwohnungen auch dazu dienen sollen, dem Unternehmer ein schönes Leben zu ermöglichen – geschenkt. Wer auf den zweitgenannten Aspekt hinweist, ist eh ein Neider und hat nicht verstanden, dass die Fleischproduktion binnen Wochen ins Ausland abwandern kann, sobald wir es den Produzenten hier unnötig schwer machen. Wobei ich mich frage – unterstellt, das mit der Abwanderung binnen Wochenfrist funktionierte –, welche Arbeitsplätze würden dann bei uns verlorengehen? Die unterbezahlten, die eh nur von Osteuropäern wahrgenommen werden, weil wir Deutsche zu verwöhnt dafür sind, und uns unsere Hände nicht mit Tierblut besudeln wollen? Falls ja: dann wäre diese Art des Arbeitsplatzverlustes ja zu verkraften.

Und die Gewerbesteuer, was ist mit der Gewerbesteuer, fragen Sie mich nun? Stimmt, die würde bei einer Fleischfabrikverlagerung natürlich entfallen. Aber die entgeht uns ebenfalls in vielen anderen möglichen, aber aus gutem Grund nicht erlaubten, Gewerben: z.B. der Herstellung von Koks und Heroin. Nicht alles, was die Verbraucher ständig haben wollen, muss deshalb auch ständig produziert werden. Es gibt Entscheidungsfaktoren, die sich außerhalb rein betriebswirtschaftlicher Überlegungen befinden.

Betriebswirtschaft contra ethische Überlegungen

Losgelöst von der ethischen Problematik, Tiere millionenfach bis zur Schlachtreife aufzuziehen, hunderte von Kilometern eng zusammengepfercht in LKWs und Zugwaggons zu transportieren und am Ende der Reise im Sekundentakt zu bolzen, erschießen und zu vergasen, nur um den junkie-artigen Heißhunger des Volkes auf Currywurst und panierte Lendenkoteletts 365/24/7 just in time zu obszön niedrigen Preisen zu befriedigen, was nicht mehr weit entfernt vom Kannibalismus ist, wie wir ihn aus Zombiefilmen kennen, müssen die Arbeitsbedingungen der Saisonarbeiter DRINGEND auf den Prüfstand. Es kann nicht sein, dass hier mit zweierlei Vertragsmodellen hantiert wird: Die einen, die das Glück haben, einen deutschen Pass zu besitzen und die anderen, die dummerweise in Osteuropa das Licht der Welt erblickten.

Wer auf deutschem Boden arbeitet, für den müssen exakt dieselben Bedingungen herrschen wie für deutsche Staatsbürger. Völlig egal, ob der Vertrag mit dem deutschen Betrieb direkt oder via Subunternehmer geschlossen wurde. Es darf nicht sein, dass osteuropäische Saisonarbeiter zum einen weniger verdienen als ihre deutschen Kollegen und zum anderen bei den Mieten für die ranzigen Massenunterkünfte in nahezu betrügerischer Weise über den Tisch gezogen werden. Und natürlich gilt das für sämtliche Branchen. Also ebenfalls die Landwirtschaft. Und wenn dann der Spargel nicht mehr gestochen wird, dann ist es eben so. Ist noch keiner gestorben, bloß weil im Frühjahr kein frischer Spargel serviert wurde.

Sollten wir diese seit langem überfällige Gleichstellung nicht hinbekommen, dann handeln wir auch nichts anders als die Golf-Araber, die ihre philippinischen Hausangestellten schikanieren, die Kataris, bei denen die pakistanischen Bauarbeiter entkräftet von den Fußball-WM-Stadiondächern fallen und die Amerikaner, die die Mexikaner für die Orangenernte reinlassen und sobald die letzte Apfelsine gepflückt ist, sofort wieder über den Rio Grande nach Süden verjagen. Nur weil die Ausbeutung in Deutschland geschieht, bedeutet das ja nicht zwangsläufig, dass es sich hierbei auf keinen Fall um Ausbeutung handeln kann. Denn wir Deutsche sind ja qua Geburt und Erziehung immer gut. Nein, sind wir, was die Bedingungen in unserer Fleischindustrie anbelangt, ganz und gar nicht. Die Politik hat jahrzehntelang weggeschaut. Wird jetzt wirklich allerhöchste Bratwurst, dass sich bei Tönnies & Co. ZEITNAH was ändert. Und zwar nachprüfbar was ändert. Reine Lippenbekenntnisse à la:

So werden wir nicht weitermachen. Wir werden die Branche verändern
© Clemens Tönnies

… verpuffen schneller, als Sie Ihr Rumpsteak medium verputzen.

Kein Grundrecht auf Billigfleisch

Und die Fleischpreise, was ist mit den Fleischpreisen, löchern Sie mich? Die werden ja in der Konsequenz durch die Decke schießen. Wer soll sich denn dann noch ein Schnitzel und ne Scheibe deutsche Mortadella leisten können? Zum einen werden die Preise nicht durch die Decke schießen, sondern nur ein paar Prozentpunkte nach oben gehen, zum anderen kenne ich keinen Artikel im Grundgesetz, der uns den täglichen Verzehr von Billigfleisch garantiert, erwidere ich Ihnen.

Ausbeutung von Arbeitskraft bei gleichzeitig fragwürdigen Hygienebedingungen darf es im Kernland der Europäischen Union nicht mehr geben. Oder sind wir wohlstandsmäßig bereits dermaßen verderbt, dass es uns nicht mehr interessiert, wie die Produkte in unseren Fabriken hergestellt werden? Hauptsache, das (heute mal wieder im Sonderangebot-) Schweinenackensteak steht pünktlich um 12.30 auf dem Mittagstisch?

Geiz und Habsucht stellen eine der sieben Todsünden dar, wurde mir früher im Religionsunterricht beigebracht. Sehe ich mittlerweile genauso.

PS. der Autor dieser Zeilen ist weder Vegetarier noch gar Veganer. Und bei seinem bescheidenen Kolumnisten-Salär ist es ihm auch nicht völlig egal, ob die Fleischpreise demnächst durch die Decke schießen. Aber lieber einen Tag lang keine Currywurst als täglich nen Billig-Döner auf dem Teller

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern ... Wer mehr von ihm lesen möchte: www.saufdruck.de

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