Vom Hufeisenrand zur Mitte?

Wenn die Linke zum bürgerlichen Club dazugehören möchte, muss sie sich von übel riechendem Ballast trennen, meint Kolumnist Henning Hirsch


In seinem viel gelesenen Beitrag Thüringen – Der Wahnsinn der Äquidistanz nahm der werte Kolumnistenkollege Heinrich Schmitz am vergangenen Wochenende das konservative Der-Äquator-liegt-von-beiden-Polen-gleichweit-entfernt-Mantra aufs Korn. Aufgezäumt an der kurz vorher stattgefundenen Kapriole mit dem 72h-Ministerpräsidenten, der einer Zwergfraktion entstammt, im Erfurter Landtag. Hierzu seien ein paar Ergänzungen erlaubt.

Mitte als bürgerlicher Sehnsuchtsort

„Mitte ist ja was Schönes“, schreibt Schmitz, „Aber bei genauer Betrachtung ist diese Anbetung der Mitte auch etwas sehr Gefährliches. Schaut man sich mal einen Kreis an, dann besteht diese Mitte aus nur einem einzigen Punkt, der passenderweise Mittelpunkt genannt wird“. So weit zur geometrischen Definition. Die Mitte beschreibt in der politischen Realität natürlich nicht einen einzigen Punkt (z.B. Friedrich Merz) , sondern eine Bandbreite von Positionen und Meinungen. Das Intervall verläuft von der CSU über CDU und FDP bis hin zu den Sozialdemokraten. Allerdings muss sich die SPD das in Richtung Kuba weisende Adjektiv links vor ihrer Mitte gefallen lassen. Mitte klingt bürgerlich-seriös: nach Abitur und abgeschlossenem Studium, Experte statt Demagoge, nach Bausparvertrag und passender Krawatte zum Anzug, nach FAZ oder Süddeutscher als Frühstückslektüre. Ein mittiger Politiker wägt stets unparteiisch Pro & Contra ab, bevor er sich für eine Sache entscheidet. Ein Politiker der Mitte erkennt Mehrheitsbeschlüsse an, auch wenn sie ihm selbst nicht behagen. Der mittige Bürger verbeugt sich vor dem Gesetz, akzeptiert die Entscheidungen der Judikative. Die Mitte ist sowas wie ein profaner Sehnsuchtsort für Besserverdiener und Facharbeiter, die weder an das christliche noch an das sozialistische Paradies glauben. Nicht zu vergessen der Herdentrieb: wenn alle zur Mitte aufbrechen, kann es nicht verkehrt sein, dass auch ich dorthin will. Die Mitte ist allerdings nicht statisch, sondern verschiebt sich laufend, dabei an die Wanderung von Kontinentalplatten erinnernd. Mancher, der sich früher mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Mitte wähnte, ein paar Jahre lang nicht aufgepasst hat, befindet sich plötzlich außerhalb und will deshalb das Mittelmeer schließen oder gleich ganz verbieten.

Und – ganz wichtig – in der Mitte werden bekanntlich die Wahlen gewonnen. Kein Wunder, dass jeder zur Mitte strebt. Mittlerweile ebenfalls die früher anarchischen Grünen, die als jüngstes Mitglied des Mitte-Kartells noch unter strenger Beobachtung der Alte-Mitte-Hasen stehen, und selbst die reaktionäre AfD, nicht gerade als Freundin einvernehmlich-mittiger Kompromisse bekannt, begehrt Einlass in den elitären Mitte-Club. Mich würde es nicht wundern, wenn sich inzwischen auch Teile der Linken geografisch näher am bauchigen Mittelteil als dem schmalen Ende des Hufeisens verorten. Und frage mich, wenn sich plötzlich alle in der Mitte tummeln, welchen Sinn das o.g. Äquidistanzdogma überhaupt noch macht. Falls alle Mitte sind, müsste in der Konsequenz jeder mit jedem koalieren können – oder doch nicht?

Wo Mitte ist, muss es logischerweise auch (extreme) Ränder geben

Die AfD befindet sich KEINESFALLS in der Mitte, rufen Sie empört. Und schon gar nicht die thüringische Höcke-AfD, schieben Sie hinterher, deshalb dürfe man mit diesem Verein nie und nimmer koalieren und auch in der Opposition keinerlei Absprachen treffen. Das heißt in unsere politische Standortfolklore übersetzt: die Hellblauen bewegen sich außerhalb der Mitte. Allen gegenteiligen Beteuerungen ihres dem äußeren Anschein nach gutbürgerlichen Aushängeschilds Gauland zum Trotz. Die Alternative für Deutschland also nicht als frische Alternative mit neuen Ideen, sondern eher als autoritäre Alternative zum bestehenden System des Parlamentarismus, unsere demokratischen Institutionen verachtend. Bin ich völlig d’accord. Mir gefallen schon weite Teile des Programms nicht, und was Protagonisten und Fans so auf Parteitagen, Kyffhäuser-Zusammenkünften, in Talkshows und in den sozialen Medien vom Stapel lassen, verursacht mir abwechselnd schlechte Laune und Brechreiz. Spiel nicht mit den Schmuddelkindern! Wehret den Anfängen! In Weimar ging’s genauso los! Also in der Konsequenz eine Brandmauer gegen rechts errichten. Leuchtet mir ein.

Nun besagen aber sowohl Hufeisen-Theorem als auch Äquidistanz-Mantra beide, dass:
(a) sich die Extreme an den Rändern ähneln
(b) man sich als Mitte deshalb sowohl von rechts als auch von links gleich weit entfernt aufhalten muss, will man sich nicht dem Vorwurf des Extremismusverstehers aussetzen.

Werktätigenparadies vs. Conan-der-Barbar-Fantasien

Bevor mir gleich entgegengehalten wird, ich könne links und rechts nicht voneinander unterscheiden – doch kann ich. Und zwar sowohl seit früher Kindheit im Straßenverkehr als auch im politischen Kontext. Den Linken schwebt als Endzustand sowas wie ein Schlaraffenland mit Einheitskrankenversicherung bei maximal zehn Stunden Wochenarbeitszeit und kompletter Einkommensnivellierung vor, das himmlische Paradies ohne systemgefährdende Schlange und Apfel , dafür mit vielen attraktiven Evas und Gratis-ÖPNV, gespiegelt auf die raue Erdoberfläche. Trotz zahlloser Anläufe bis heute allerdings nicht zufriedenstellend in die Praxis umgesetzt. Die Rechte hingegen hat irgendwie gar kein richtiges Ziel. Sie will unbedingt an die Macht, zurück zu einer glorreichen Vergangenheit, die es so aber nie gab, die eher einer Conan-the-barbarian-Fantasystory als realistischer Geschichtsschreibung entspringt. Sie versteht sich als durch Schicksal und Blut zusammengeschweißte Volksgemeinschaft. Sie möchte schön, stark und gesund erscheinen, und wer nicht so schön, stark und gesund ist, hat eben Pech und ist schnell wieder raus aus der Volksgemeinschaft. Fremde sind ohnehin nicht zugelassen in der Grenzen-hoch-closed-shop-Nation. Rechte sehen sich – so lange sie nicht an der Macht sind – stets in der Opferrolle und sind oft übellaunig und aggro. Die Liste ließe sich verlängern; im Rahmen einer Kolumne soll das aber erstmal als Grobcharakterisierung der beiden sich jenseits des politischen Äquators befindlichen Pole ausreichen. Aber, auch wenn die Visionen unterschiedlich sind – bzw. die Rechten gar keine Vision haben –, so bleibt doch unbetritten, dass sowohl extreme Rechte als ebenfalls extreme Linke eine hohe Affinität zu Dogma bis hin zu Gewaltbereitschaft aufweisen. Deshalb kann ich die momentane Position der konservativen Mitte in Bezug auf notwendige Brandmauern gegen rechts UND links einigermaßen nachvollziehen. Denn die Linke besteht ja nicht nur aus dem – letztlich sozialdemokratische Politik betreibenden – Bodo Ramelow. Da gibt’s durchaus noch kommunistische Kader am linken Rand der Linken.

Linke: übel riechender Ballast muss über Bord geworfen werden

Wenn also die Linke möchte, dass sie als linke bürgerliche Partei wahrgenommen wird, deren potenziellem thüringischen Ministerpräsidenten ganz selbstverständlich die Stimmen der CDU- und FDP-Abgeordneten zustehen, dann muss sie ihrerseits ein paar dringend notwendige Reparaturarbeiten leisten. Bspw.: Anerkennung des Existenzrechts Israels ohne Wenn und Aber. Der im Gewand der Pro-PLO/ Hamas-Bewegung daherkommende Antisemitismus, dem einige in der Partei ungestraft frönen dürfen, wäre immer ein Hindernis für mich, jemals mein Kreuz bei der Linken zu setzen. Klares Bekenntnis dazu, dass man sich nicht als Nachfolger der SED ansieht und Anerkennen, dass es sich bei der DDR um einen Unrechtsstaat handelte. Hartes Vorgehen (z.B. Ausschluss aus Fraktion und Partei) gegenüber Stasi-Kollaborateuren. Verwarnungen bis hin zu Ausschlussdrohungen an die Adresse von Funktionären, die freudestrahlend Manduro die Hand schütteln und/ oder links motivierte Gewalt gutheißen.

Ohne diese dringend notwendigen Aufräummaßnahmen wird die Linke für den konservativen Teilabschnitt der Mitte nie satisfaktionsfähig werden. Was aus Sicht unseres Staatswesens doppelt bedauerlich wäre: Zum einen würde so die Chance verspielt, zumindest auf Landesebene in konsensuale Verhandlungen einzutreten und so beim nächsten Mal eine Wiederholung der Erfurter Posse von Anfang an zu verhindern. Denn bei allen Fehlern, die Mike Mohring bei der thüringischen MP-Wahl unterlaufen sind, war er in seiner Entscheidungsfreiheit aufgrund des bundesweit geltenden CDU-Äquidistanzbeschlusses in seiner Beweglichkeit doch nicht unwesentlich eingeschränkt. Zum anderen befördert der anhaltende Verbleib hinter einer Brandmauer die Radikalisierung der extremen Ränder. Aus meiner Sicht wäre das bei der Linken schade, weil das, was die Partei zu ungerechter Einkommensverteilung und Sozialpolitik zu sagen hat, durchaus wert ist, gehört und teils in praktisches Regierungshandeln umgesetzt zu werden. Die Akzeptanz der Linken einzig durch SPD und Grüne wird in einer von Wahl zu Wahl immer stärker fragmentierenden Politiklandschaft nicht ausreichen, um den von (noch) allen Parteien gewollten Schutzwall gegen rechts außen dauerhaft aufrecht zu erhalten.

Wenn die Linke also zum Club der Bürgerlichen (als linkes Ende des Spektrums, so wie die CSU dessen rechten Rand verkörpert) dazugehören möchte, kommt sie nicht umhin, in Vorleistung zu treten. Ein Ramelow alleine macht noch keine Mitte.

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern ... Wer mehr von ihm lesen möchte: www.saufdruck.de

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