Der neue Asterix: Gelingt Fabcaro die qualitative Kehrtwende?

Früher war nicht alles besser, aber ganz bestimmt die Asterix-Geschichten. „Die weiße Iris“ mit Boomer-Augen gelesen. Kolumne von Henning Hirsch.

Bild von Ralphs_Fotos auf Pixabay

Es gibt ein paar Sachen, die einen Boomer vom Tag der Geburt bis zur Stunde seines Todes begleiten. Dazu gehören Coca Cola, Nutella, der Sportteil der BILD (in meinem Fall wäre das der Kölner Express), die 20h-Tagesschau, Star Wars (ja ja, ich weiß, das kam erst ein paar Jahre nach meiner Geburt ins Kino), James Bond und die Geschichten von einem kleinen, unbeugsamen gallischen Dorf, in dem schrullige Charaktere wie Asterix und Obelix leben. Diese Dinge sind irgendwie unkaputtbar und das ist tröstlich, denn als Boomer spürt man (ich) mittlerweile schon, wie der Zahn der Zeit unbarmherzig an einem nagt. Mit einem (alten) Asterix auf den Knien friedlich einschlafen – das wäre nicht die schlechteste Art und Weise, um den Planeten (und Facebook) zu verlassen.

Asterix hieß anfangs Siggi

Asterix ist sogar noch älter als ich: Die erste Erzählung („Der Gallier“) erschien 1959 in der Jugendzeitschrift Pilote (Dargaud). Damals noch als Fortsetzungsstory, also häppchenweise. In der uns bekannten Album-Form kam Asterix in den späten 60-ern auf den Markt. In Deutschland anfangs in anderer Reihenfolge als in Frankreich, weshalb bei uns „Kleopatra“ als Nr. 2 firmiert, während sie im Original an 6ster Stelle rangiert. Ab Nummer 8 „Bei den Briten“ stimmen dann deutsche und französische Chronologie überein. Der Time lag bis zur Übersetzung betrug in der Anfangszeit 5, in den 70-ern 2 bis 3 Jahre. Ab den 80-ern landeten frz. und deutsche Version nahezu zeitgleich in den Verkaufsregalen. In Deutschland druckte als Erster Rolf Kauka „Asterix“ in seinen Fix & Foxi-Heften ab. Er taufte dafür die beiden Helden in Siggi & Babarras um und übersetzte das Original teilweise SEHR frei ins Deutsche, was ihm Ärger mit Dargaud einbrachte und schließlich zum Lizenzentzug führte. 1967 übernahm dann der Stuttgarter Verlag Ehapa, der die jeweiligen Geschichten als Ganzes in Alben zusammenfasste und nun die korrekten Namen Asterix & Obelix verwendete.

2 Epochen

Wir unterscheiden in 2 Epochen:
(I) Die Texte stammen von Goscinny (1959-1979)
(II) Andere Autoren versuchen es: hier kann man nochmal differenzieren in: Uderzo, Jean-Yves Ferri und Fabrice Caro aka Fabcaro (1980 bis heute).

Der letzte Band, an dem Goscinny vor seinem viel zu frühen Tod mitwirkte, war „Bei den Belgiern“, lfd. Nr. XXIV (= 24). Die bereits 1 Jahr danach erschienene Story „Der große Graben“ stammte zeichnerisch und inhaltlich aus den Federn (er wird vermutlich mehrere dafür benutzt haben) Uderzos. Der praktizierte das – also Zeichnen & Schreiben in Personalunion – bis ins späte Rentenalter, woraus insg. 10 Alben resultierten. Ab 2013 gab’s dann wieder 2 getrennte Aufgabenfelder: Jean-Yves Ferri textete und Didier Conrad produzierte die Bilder. 2022 tauschte man Ferri in Fabcaro aus (Conrad blieb). Mit „Die weiße Iris“ (seit ein paar Tagen erhältlich) sind wir mittlerweile bei Nummer XL angelangt (was 40 – und nicht extra large – bedeutet. Die, die Latein in der Schule hatten, wissen das. Für die anderen schreibe ich es hier nochmal hin = 40).

Es gilt die Faustformel = die Geschichten, an denen René Goscinny mitgewirkt hat, sind überwiegend witzig und intelligent, danach fällt die textliche Qualität drastisch ab und erreicht zwischenzeitlich Micky-Maus-Niveau. Also: die Bände 1 bis 24 sind ein Muss für Comic-Fans; die Nummern 25-39 braucht man hingegen nicht gelesen zu haben. Selbst mittelmäßige Goscinny-Erzählungen (z.B. „Die große Überfahrt“ und „Obelix GmbH & Co. KG“) sind immer noch um den Faktor 10 Wildschweine amüsanter als alles, was ab Nummer XXV (25) präsentiert wird.

Das soll jetzt erstmal mit Asterix-Historie reichen. Wer’s genauer wissen will, dem empfehle ich die Kolumne Der partout nicht sterben wollende Gallier, die ich 2019 anlässlich des 60sten Geburtstags des gallischen Nationalhelden schrieb.

70-er Jahre: fieberhaftes Warten auf die Neuerscheinung

Wie weiter oben bereits gesagt: als typischer Boomer bin ich mit Asterix (und Coca Cola und Star Wars) groß geworden. Asterix war nicht der erste Comic (meine Eltern nannten die „Witzhefte“), den ich in der Hand hielt. Das waren Donald Duck, Fix & Foxi und Bessy (handelte von einem Jungen und seinem Hund, die jede Woche ein neues Abenteuer zu bestehen hatten). Der kleine Gallier dürfte dazugekommen sein, als ich X (pardon: 10) Jahre alt war, also MCMLXXII (wenn Sie es schaffen, das eigenständig in eine arabische Zahl umzuwandeln, dann schreiben Sie mir gerne. Als Belohnung winkt 1 Gratis-Kolumne). Übrigens ein Jahr, in dem 3 Asterix-Bände kurz hintereinander getaktet in den deutschen Kiosken landeten: Arvernerschild, Olympische Spiele und Kupferkessel (lfd. Nrn. XI, XII, XIII). Alle 3 = Meisterwerke der franko-belgischen Comic-Kunst. Ich war sofort fasziniert und schockverliebt (das zweite Verb habe ich von einem deutschen Fußballtrainer geklaut) und besorgte mir peu à peu die zehn Vorgängeralben. Die kosteten damals 3 Mark Vllt. auch 3 Mark 50. Irgendwo in dieser Preisspanne), was ich mir von meinem Taschengeld leisten konnte. Notfalls mähte ich den Rasen vom Nachbarn und wusch das Auto vom anderen Nachbarn. Auch diese zehn Vorgänger-Bände waren allesamt super; um Nuancen heraus stachen „Kleopatra“ und „Legionär“. Ich mutierte binnen Tagen vom Donald-Duck- zum Asterix-Junkie und erwartete sehnsüchtig Album XIV „In Spanien“. Dieses Fieber – am Tag des Erscheinens bereits um 7h morgens vor dem Kiosk wartend, dass der endlich öffnet – hielt ein paar Jahre an. Ich schätze mal bis „Das Geschenk Cäsars“; danach flaute es allmählich ab und erlosch vollends mit „Der große Graben“. Ich probierte es nochmal mit „Obelix auf Kreuzfahrt“ gefolgt von „Bei den Pikten“ und schrieb vor einigen Jahren eine – nicht allzu wohlwollende – Rezi über „In Italien“. Danach war das Kapitel „Asterix“ für mich eigentlich abgeschlossen. Mein Eindruck, dass eine in den ersten zwanzig Jahren ihres Bestehens gute Serie durch ständige Fortsetzung totgeritten wird, und Goscinny, würde er „Asterix plaudert in der Schule“ im Texter-Himmel in die Hände bekommen, zornentbrannt von seiner Wolke herabsteigt und seinen ehemaligen Kollegen Uderzo mit einem Bleistift ersticht, wurde auch nach dem Wechsel zu Ferri nicht besser. Asterix war auf Disney-Niveau angelangt und diente bloß noch dazu, als Cash Cow gemolken zu werden. Aber weshalb sollte es dem Gallier da anders ergehen als Star Wars? Ich persönlich war mit Asterix durch. Mehr als die 24 Goscinny-Abenteuer hätte es für mich nicht geben müssen.

Als die Legionäre müde wurden, und den Generälen die Ideen ausgingen

Neugierig geworden durch positive Beurteilungen von ein paar (Boomer-) Facebook-Bekannten, die, was Comics und Filme angeht, einen ähnlichen Geschmack wie ich aufweisen und die Sachen wie, „bester Asterix seit Jahren“, „echt witzig“, „habe mehrmals laut gelacht“ und „Fabcaro ist der neue Goscinny“ schrieben, fuhr ich gestern kurz entschlossen zum Kiosk und kaufte dort (das letzte) Exemplar „Die weiße Iris“. Abends setzte ich mich dann aufs Sofa (für Halloween-Partys bin ich mittlerweile zu alt, und aus Horror-Kürbissen mache ich mir eh nicht allzu viel) und las mir die Geschichte durch.

Die ist schnell erzählt: Julius Cäsar ist besorgt über die lasche Moral seiner Legionäre und ärgert sich weiterhin darüber, dass er das kleine gallische Dorf nicht ins Römische Imperium eingliedern kann. Da Asterix & Co. aufgrund des von Miraculix gebrauten Zaubertranks körperlich unbesiegbar sind, muss eine andere Strategie her. Den versammelten Generälen & Senatoren fällt nichts Gescheites ein, da springt der kaiserliche (ja ja, Cäsar war noch kein offizieller Kaiser. Das war erst Augustus oder gar Tiberius. Aber wollen wir uns an dieser Stelle bitte nicht in Kleinigkeiten verlieren) Hof-Psychologe Visusversus auf und erläutert seinen Plan = Infiltration, Ablenkung, Verwirrung stiften und allmähliche Verweichlichung mit dem Ziel, den Feind von der Vorteilhaftigkeit der freiwilligen Unterwerfung zu überzeugen. Cäsar willigt mangels erfolgversprechender Alternativen zähneknirschend ein, Visusversus reist ab Richtung Armorica (der Teil Galliens, wo Asterix & Obelix leben), stellt sich im Lager Babaorum (das zweite Lager von links gesehen, wenn man sich dem Dorf von Süden nähert) vor und macht sich sofort ans (Verwirrungs-) Werk. Mehr soll nicht verraten werden, sonst heißt es noch, ich würde spoilern.

Ganz neu ist die Story nicht

Ja, Fabcaro gelingt ein (kleiner) qualitativer Quantensprung im Vergleich zu Uderzo und Ferri. Die Geschichte liest sich streckenweise wirklich witzig. Wenngleich die Story streng genommen ein Remake darstellt. Boomer erkennen darin unschwer Anleihen aus „Streit um Asterix“ (Bd. XV) und „Die Trabantenstadt“ (Nr. XVII). Visusversus ist nichts anderes als die akademische Version von Tullius Destructivus, der bereits vor 50 Jahren (unsere Zeitrechnung, nicht die von Asterix) vergeblich versuchte, die Dorfbewohner mittels Falschinformationen zu entzweien und so ihre Kampfunfähigkeit zu bewirken. In Trabantenstadt stand dann die Heranführung an die (römische) Zivilisation (-> Verweichlichung) im Vordergrund. In beiden Fällen erwiesen sich die Gallier (also die, die im kleinen Dorf von Asterix leben) als zwar zeitweilig verführbar, aber letzten Endes doch wertkonservativ (ein anderes Wort fällt mir auf die Schnelle für diesen beharrenden Charakterzug nicht ein) und resistent gegen die vielfältigen Verlockungen des Weltreichs. „Die weiße Iris“ knüpft nahtlos an diese zwei Vorläufergeschichten an und ist inhaltlich mehr ein Aufguss als was Neues.

Fabcaro hält uns den Spiegel vor: Soldaten, die nicht mehr kämpfen, sondern diskutieren wollen, Psychologen, die uns mit Kalenderweisheiten beglücken, Sensible (Sensitive?), die jedes Wort 3x prüfen, bevor sie es aussprechen, damit niemand durch Unbedachtes erschrickt, verbale Verrenkungen, um Minderheiten korrekt zu adressieren, Quacksalber, die neue Ernährungsmethoden propagieren, künstlerische Avantgarde, die die intellektuelle Deutungshoheit für sich beansprucht und mittendrin im 24/7 um sich selbst kreißenden Pariser (pardon: Lutetia) Rummel unsere 2 bodenständigen Gallier Asterix & Obelix (plus der dieses Mal schwermütige Majestix). Am Ende, so viel sei dann doch noch gespoilert, verliert mal wieder Cäsar, Visusversus wird auf eine Galeere geschickt (nettes Wiedersehen mit den Piraten), und die Dorfbewohner feiern ein ausgelassenes Fest (klar, Troubadix geknebelt und an einen Baum gefesselt) -> ist mitunter echt lustig, aber leider ebenfalls keine neue Idee: Ähnliches kennt man bereits aus „Der Kupferkessel“. Auch da wurden Zeitgeist-Kapriolen (der frühen 70-er Jahre) aufs Korn genommen.

Goscinny bleibt unerreicht

Ich tue mich ein bisschen schwer, „Die weiße Iris“ abschließend zu beurteilen. Versuchen tue ich es natürlich dennoch:
 ja, ist besser als alles, was seit „Der große Graben“ erschienen ist
 erreicht aber nicht das Niveau der guten Goscinny-Geschichten
 für mich eher Remake/Aufguss als was Neues
 mit den Kalendersprüchen wird es für meinen Geschmack etwas übertrieben.

Von mir gibt’s dafür 7 Punkte (z.Vgl. „Kleopatra“ = 10, „Trabantenstadt“ = 9, „Die Odyssee“ = 3, „In Italien“ = 4).

Und ansonsten sage ich das, was ich bei Endlos-Serien (Star Wars, James Bond, 2 & half men, Shameless) immer sage: Kommt irgendwann zum definitiven Finale! Lasst den Helden sterben oder auf einem Pferd in die Prärie reiten oder mit einem Mikro-Raumtransporter in eine weit entfernte Galaxie entschwinden, oder was auch immer sonst als Schlusssequenz denkbar ist. Aber hängt nicht immer wieder eine weitere Folge dran. Denn erfahrungsgemäß wird es, sobald der Zenit erreicht ist (das war bei Asterix = „Bei den Olympischen Spielen“, Bd. XII), schwer, das hohe Niveau zu halten. Bereits die späten Goscinny-Stories (Nrn. XIII bis XXIV) fielen im Vergleich zu den Vorgängern qualitativ ab und spätestens mit „Bei den Belgiern“ war die Erzählung an ihr Ende gelangt. Danach folgte nur noch inhaltliche Trivial-Ware. Den hohen Standard der Alben 1 bis 24 (oder gar 1 bis 12) wird auch Fabcaro nicht wiederherstellen können.

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern ... Wer mehr von ihm lesen möchte: www.saufdruck.de

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