Der partout nicht sterben wollende Gallier – zum 60sten einer Comic-Ikone

Asterix wird 60 und wäre besser bereits mit 18 abgetreten. Ein nostalgischer Rückblick auf einen Comic-Helden seiner Jugend von Kolumnist Henning Hirsch


Asterix wird 60, obwohl er bereits mit 18 hätte sterben müssen.

Aber der Reihe nach: im Herbst 1959 taten sich Autor René Goscinny und Zeichner Albert Uderzo zusammen und schufen eine der bis auf den heutigen Tag erfolgreichsten Comicfiguren weltweit: den kleinen, pfiffigen, und – sobald er Zaubertrank intus hatte – ein paar Stunden lang unbesiegbaren Gallier Asterix. Gemeinsam mit Kumpel Obelix frönt er exakt zwei Hobbies: Wildschweine jagen und Römer verprügeln. Beim Kuss einer schönen Frau – Falballa oder Kleopatra – wird er kurz schwach und erfüllt der Dame im Anschluss jeden Wunsch. Im Gegensatz zu Obelix käme er jedoch nie auf die Idee, sich länger als maximal eine Stunde zu verlieben. Er ahnt die auf die rosarote Phase folgende Gefahr der lebenslangen Unfreiheit voraus, hat um sich herum genügend Maulhelden à la Majestix, Automatix, Methusalix und Fischverleihnix versammelt, die zu Hause bei ihren dominanten Frauen Nullkommanix zu melden haben, und ihm so als täglich abschreckende Beispiele für die Fesseln des Ehelebens dienen, ist deshalb schlau genug, notorischer Single zu bleiben und bevorzugt sowieso Herrenabende mit dem Druiden Miraculix und best buddy Obelix. Hin und wieder geht er in geselliger (Männer-) Runde ein paar Cervisia heben. Aufgrund des nie zu sättigenden Expansionshungers Cäsars, der nicht ruht, bevor er nicht auch noch das letzte freie gallische Dorf unterworfen hat, ist Asterix ohnehin 24/7 damit beschäftigt, sein kleines Gemeinwesen vor den Klauen der stets sprungbereiten Wölfin zu schützen, sodass ihm für Dates und amouröse Abenteuer schlichtweg die Zeit fehlt. Asterix ist Held und Anti-Held in einer Figur, hat mitunter mehr von Donald Duck als von Batman, was den kleinwüchsigen schnauzbärtigen Gallier so sympathisch macht.

Kongeniales Duo: Goscinny & Uderzo

Nach einem etwas holprigen Auftakt mit „Asterix der Gallier“, in dem man jedoch schon viele der in den Folgejahren immer wieder auftretenden Charaktere kennenlernt, wirkt der Nachfolger „Die goldene Sichel“ zeichnerisch und textlich schon weitaus reifer. Es folgten: Die Goten, Gladiator, Tour de France, Kleopatra, Kampf der Häuptlinge, Briten, Normannen, Legionär (1). Allesamt Klassiker der franko-belgischen Comic-Kultur. Als Kinder fieberten wir dem Erscheinungsdatum des nächsten Albums entgegen, waren bereit, das Taschengeld eines Monats für die neueste Story zu investieren. Bis hin zu Band 20 (auf Korsika) wurden unsere Erwartungen nie enttäuscht. Danach bröckelte Goscinnys Kunst, eine spannende Geschichte zu erzählen. Der Wortwitz, der die ersten zwanzig Ausgaben ausgezeichnet hatte, wiederholte sich jetzt oft, wurde flacher. Nachdem das Piratenschiff zum 15ten Mal – begleitet vom Zitat „Auri sacra fames (verfluchter Hunger nach Gold)“ versenkt worden war, kannte man Vorgang und Spruch und dachte: Wie wär’s mal zur Abwechslung mit glücklichen Seeräubern? Cäsar, dessen sporadisches Erscheinen den einzelnen Episoden den notwendigen imperialen Glanz verlieh, nutzte sich mit jedem weiteren Auftritt immer mehr ab, sodass Asterix in Folge 22 (Die große Überfahrt) bereits gen Nordamerika in See stechen musste, um mal was grundlegend Neues zu erleben. Trotz allmählich sinkender Qualität blieb die Treue der Fans jedoch unerschütterlich.

Qualitativer Absturz nach dem Tod des Texters

Während der Arbeit für Band 24 (bei den Belgiern, 1977) starb Goscinny leider viel zu früh. Die Episode wurde noch zu Ende geführt, im darauf folgenden Jahr veröffentlicht, und man spürte als Leser zum letzten Mal wehmütig den Abschiedshauch des großen Texters. Und spätestens damit hätte man es bewenden lassen sollen. Stattdessen verfiel nun Uderzo auf die Schnapsidee, Storytelling, textliche Feinarbeit und Zeichnungen in Personalunion zu übernehmen, anstatt zumindest einen neuen Autor auszuprobieren. Es geschah, was oft geschieht, wenn der Geist von Bord geht und der Handwerker ohne Architekt weiter werkelt: es kommt Murks heraus. Nummer 25 (Der große Graben) war literarisch gesehen ein großer Reinfall. Die Texte nur noch halb so gut wie zwei Jahre zuvor bei den Belgiern und schon Lichtjahre entfernt von Perlen wie „Olympische Spiele“ und „Streit um Asterix“. Drei Ausgaben später (im Morgenland) hatte die Serie bereits Micky-Maus-Niveau erreicht. Und von diesem textlichen Tiefpunkt hat sich Asterix bis heute nicht erholt. Eine Zeit lang hoffte man als Fan der ersten Stunde noch auf Besserung, schöpfte Hoffnung, als ein frisches Gespann das Kommando übernahm: Jean-Yves Ferri (Text) und Didier Conrad (Illustration). Der erste Band (lfd. Nr. 35) „Bei den Pikten“ des neuen Duos knüpfte allerdings dort an, wo Uderzo mit „Asterix und Obelix feiern Geburtstag“ aufgehört hatte: textliche Ödnis. Fade Story, platte Witze, garniert mit Wiederholungen altbekannter Sequenzen. Zu allem Überdruss zeichnet Conrad auch weniger detailfreudig als Uderzo, sodass Asterix nun ebenfalls bei den Illustrationen auf Walt-Disney-Level schrumpft. Die letzte, vor zwei Jahren im Vorfeld von der Presse stark hochgejubelte Episode „In Italien“ hielt den Erwartungen mal wieder nicht stand, reihte sich nahtlos ein in die seit „Der große Graben“ zum Standard gewordenen Banalitäten und Trivialitäten. Vom in Kürze auf den Markt kommenden Jubiläumsband anlässlich des 60sten Geburtstages „Die Tochter des Vercingetorix“ verspreche ich mir deshalb wenig Erheiterndes. Als Comic-Junkie werde ich das Album trotzdem kaufen, es vermutlich stirnrunzelnd ob all der Plattitüden durchblättern und beim Verstauen in meinem Kellerregal nostalgisch daran denken, was für eine gute Story „Der Arvernerschild“, in der Vercingetorix zum ersten Mal gehuldigt wurde, doch gewesen war. „Alesia? Ich kenne kein Alesia!“

Werd‘ bitte nicht mehr 70!

Mit Asterix passiert das, was auch mit Star Wars geschieht: Die Reihe wird zu Schanden geritten bzw. so lange gemolken, bis auch der letzte Euro aus ihr rausgesaugt worden ist. Der leider viel zu frühe Tod Goscinnys hätte das Ende des Projekts bedeuten müssen. Es war, vom qualitativen Standpunkt aus betrachtet, ein kompletter Nonsenseinfall dem, sicher begnadeten, Zeichner Uderzo nun auch noch die Textarbeit zu überlassen. Vom abrupten Sturz in den Großen Graben hat sich die Serie nie mehr erholt. Wäre Asterix gemeinsam mit Goscinny gestorben, hätte es ihn zwar bereits mit 18 erwischt, aber er wäre ruhmreich auf seinem literarischen Höhepunkt abgetreten. So bleibt zum 60sten nicht viel mehr – in Abwandlung der Schlussszene – zu sagen als: „Nein, ihr werdet nicht mehr singen!“ oder: „Macht bitte nicht weiter bis zum 70sten!“ Irgendwann muss Schluss sein mit dem kleinen Dorf, seinen kauzigen Bewohnern, den Wildschweinen und den ständig Prügel beziehenden Römern. Von den immerfort kenternden Piraten ganz zu schweigen.

Ich schließe mit einem Zitat aus dem Arvernerschild: „Bis repetita non placent! (Wiederholungen gefallen nicht)“ und werde heute Abend in meiner Asterix-Kiste wühlen auf der Suche nach „Kleopatra“. Denn die hatte nicht nur eine hübsche Nase, sondern war ein intelligent gemachter und vergnüglich zu lesender Comic.

ENDE
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(1) Das ist die französische Reihenfolge. In Deutschland, wo Asterix erst 1968 startete, wurden die ersten zehn Alben teils abweichend nummeriert

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern ... Wer mehr von ihm lesen möchte: www.saufdruck.de

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