Archetyp des Hardrock

AC/DCs Meilenstein „Highway To Hell“ feiert sein 40 jähriges Jubiläum. Mit diesem und anderen Alben prägt die Rocklegende aus Sydney den Hardrock wie keine andere Band. Ulf Kubankes Hörmal-Kolumne mit einem Porträt.


Was haben so unterschiedliche Musiker wie Bruce Springsteen, Marilyn Manson, Billy Joel, Maroon 5, die Stray Cats und Carla Bruni gemein? Alle coverten den Übersong aller Hardrock-Hymnen „Highway To Hell“. Nun feiert das gleichnamige Album AC/DCs seinen 40. Geburtstag. Erstmals seit dem Dahinscheiden von George und Malcolm Young taucht die Band wieder aus der sozialmedialen Versenkung auf und ruft gleich einen kompletten Monat des Feierns aus. Allemal Grund genug für ein zünftiges Porträt dieser lebenden Legende.

Die Probe aufs Exempel klappt immer: Man frage in irgendeinem – auch dem gottverlassensten – Winkel der Welt nach Hardrock, sofort fällt der Name AC/DC. Frage nach einem ihrer Lieder und man landet augenblicklich auf dieser Straße zur Hölle. Frontman und Texter Bon Scott legte das Stück seiner Zeit doppelbödig an. Einerseits beleuchtet es das Rock’n’Roll-Leben auf Tour, wobei sich Glorifizierung und Selbstironie wohltuend die Waage halten. Daneben gehen die Zeilen auch auf einen ehemals von ihm aufgesuchten Pub zurück. Jene Kaschemme lag an einer vielbefahrenen Straße, aus deren totem Winkel Fahrzeuge in hoher Geschwindigkeit schossen und recht häufig Unfälle verursachten.

Ohnehin wäre es fahrlässig, Scotts Ergüsse zu unterschätzen. Egal ob devianter Outlaw, passionierter Pokerspeler, Whiskeyfreund oder Frauenheld, dessen Eroberungen nicht selten die Oberhand behalten – dieses Bühnentier hatte für jeden Hardrocksong passende Zutaten zur Hand, die aus den Liedern echte Kurzgeschichten schnitzten. Er wusste, wovon er sang. Wohl kaum jemand aus der Ahnengalerie des Rock personifiziert so sehr den Sex & Drugs & Rock’n’Roll-Lebensstil wie er. Leider zahlte er den höchsten Preis dafür und verstarb wenige Monate nach Erscheinen der Platte und dem folgenden Durchbruch in den USA an einer Alkoholvergiftung.

Doch AC/DC waren stets mehr als Scott. Die Gebrüder Young bildeten den Zellkern. Malcolm war ein an u.A. Keith Richards geschulter Rhythmusgitarrist und federführender Hauptsongwriter, der etliche Tracks weitgehend allein oder mit Bruder Angus schrieb. Letzterer ist nicht nur ein begnadeter Showman und mindestens passabler Komponist. Er ist ebenso ein hervorragender Bluesgitarrist und verantwortlich für das Einfließen dieser Urmusik in ihr Werk. Bleibt mithin die Frage, ob „Highway To Hell“ zu Recht so weit oben in ihrem Katalog steht. Die Antwort: Ja und nein!

„Ja, natürlich!“ werden viele sagen. Und es gibt gute Argumente. Neben dem Titelsong hört man weitere Perlen wie „If You Want Blood (You’ve Got It)“, den Ohrwrm „Touch Too Much“, das hymnische „Walk All Over You“ oder das Groovemonster „Girls got Rhythm“. Einen besonderen Platz nimmt der dreckig schleppende Bluesrock des „Night Prowler“ ein. Jenseits seiner msikalischen Qualitäten erlangte das Lied traurige Berühmtheit. Der Serienkiller Richard Ramirez benannte sich hiernach „Night Stalker“ und widmete seine Untaten der Band. Er missbrauchte die Musik als eine Art Soundtrack zu den Morden.

Begreift man die Platte jedoch nicht als totalen Überflieger, ist dies keine Geringschätzung, sondern zeugt von Respekt vor dem gesamten Katalog. Zum einen kochen Lieder a la „Beating Around The Bush“ oder „Get It Hot“ hörbar auch nur mit Wasser. Zum anderen sollte man nicht vergessen, wie weit entwickelt sie bereits auf ihren Frühwerken waren. Auf der Suche nach unwiderstehlichen Juwelen und Evergreens finden sich dort u.A. „It’s A Long Way To The Top (If You Wana Rock’n’Roll)“, „T.N.T.“, „Jailbreak“, „The Jack“, „Dirty Deeds Done Dirt Cheap“ oder „Whole Lotta Rosie“. Sogar weniger bekannte Nummern aus der zweiten Reihe wie „Life Wire“ oder „Little Lover“ setzten dank ihres puristischen Naturells bis heute keinerlei Patina an.

Das liegt auch an der damals innovativen, knochentrockenen Straßenköter-Produktion des ältesten Bruders George Young. Zwar war er kein Bandmitglied, aber von Beginn an die heimliche Schlüsselfigr bei AC/DC. Mit seinem Kumpel Harry Vanda schrieb er Kultsongs wie „Friday On My Mind“ oder „Love Is In The Air“. In den 80ern wurden beide als Flash And The Pan legendär mit hochwertigem New Wave-Pop. Für AC/DC erfanden sie deren typisch scheppernden, rohen Sound und produzierten bis einschließlich „Powerage“, seines Zeichens Keith Richards AC/DC-Lieblingsplatte, alle fünf ersten LPs. Das bekam „Highway To Hell“-Soundhexer Mutt Lange zwar ebenso gut hin. Aber er konnte sich dank jener Vorlagen ins gemachte Nest setzen. Langes Meisterstück war nach dieser Gesellenprüfung eher „Back In Black“.

Genau jene Scheibe von 1980 markiert nicht nur ihr Comeback nach Scotts Tod. Es ist verdientermaßen auch ein Meilenstein der Rockgeschichte. Als eines der meistverkauftesten Alben aller Zeiten – vor Beatles, Rolling Stones, Led Zeppelin, Pink Floyd oder David Bowie – katapultierte es sie in den Olymp ewiger Superstars. Hier kommt Brian Johnson ins Spiel. Der Sänger, mittlerweile auch fast 40 Jahre im Boot, machte damals alles richtig. Ersetzen konnte man Scott nicht. Statt zu imitieren, sang er auf seine, sehr individuelle Art und beachtete lediglich, dass die Vocals zum Charakter AC/DCs passen.

Wie „Highway To Hell“ als Lied für Scott steht, so steht „Hells Bells“ für Johnson. Was für eine ewige Visitenkarte! Simultan anmutig, sogar ein wenig düster; wie auch absolut partytauglich und hymnisch. Nebenbei handelt es sich um Stephen Kings Lieblingssong von ihnen. Es war Kings Herzenwunsch, dass sie später mit „Who Made Who“ den Soundtrack für die Verfilmung seines „Maximum Overdrive“ lieferten. Mutt Lange nähte ihnen mit „Back In Black“ und auf dem ebenfalls sehr guten Nachfolger „For Those About To Rock“ einen für das kommende Jahrzehnt passenden Klangmantel. An diese Glanztaten konnte er selbst nie wieder anknüpfen und verlor sich hinterher in überproduzierten Arbeiten für Def Leppard, Bryan Adams, Britney Spears, Lady Gaga oder Backstreet Boys.

Auch AC/DC irrten hernach eher uninspiriert durch die 80er. Sicher, einzelne Tracks wie „Danger“, „Heatseeker“ oder „Nick Of Time“ überzeugen auf ganzer Linie. Aber die Alben jener Dekade boten auch etliche Rohrkrepierer. Mit Bruce Fairbairn, dem Soundmeister von Bon Jovi und Aerosmith gab es zu Beginn der 90er noch einen weiteren popkulturellen Höhepunkt: Die LP „Razor’s Edge“ mit dem Monsterhit „Thunderstruck“. Doch so richtig gut wurden sie erst wieder, als sie nach der Jahrtausendwende mit dem erneut von George Young produzierten „Stiff Upper Lip“ zu ihren knochigen, bluesgetränkten Anfängen zurückfanden.

Auf ihrem langen, noch immer nicht endenden Weg gibt es auch manche Kuriosität zu entdecken. So steht keine eine andere Band symbolisch so sehr für Australien wie AC/DC. Dabei sind die Geschwister Young ausnahmslos in Schottland geboren. Die lupenreine glasgower Arbeiterfamilie emigrierte erst 1963 nach Sydney. Scott war ebenfalls gebürtiger Schotte. Er unterstrich dies, indem er auf „It’s A Long Way To the Top“ ein Dudelsacksolo spielte. Und Brian Johnson ist Engländer mit italienischen Wurzeln.

Ebenso ungewöhnlich: Scotts Erscheinung vor seiner Mutation zum wilden Rocker. Mit den vorherigen Bands The Valentines und Fraternity machte er lupenreinen Pop und psychedelischen Progrock. Fotos jener Ära zeigen ihn statt mit Nieten, Jeans und Leder im knallbunten Catsuit oder als Flöte spielender Elf in fantasytauglichem rosa Kaschmir-Outfit. Auch Angus‘ berühmte Schuluniform war nicht geplant. Als jüngstes Mitglied im Bund hatte er vor einem Gig keine Zeit, sich um zu ziehen und sprang einfach dergestalt auf die Bühne. Als das Label sie in Europa bekannt machen wollte, verkaufte man dies zum Unwillen der Band als Anti-Establishment-Geste und hängte ihnen im Fahrwasser von Sex Pistols und Co ein trendy Punk-Image an.

Ein weiteres unveränderliches Kennzeichen – vor allem Angus Youngs – ist der staubtrockene, britische Humor. Nach „Stiff Upper Lip“ fragte ihn eine Radiomodaratorin schnippisch, was er zur These sage, dass AC/DC 13 mal ein und dasselbe Album gemacht hätten. Young: „Ich würde sagen, dass es eine gottverdammte, dreckige Lüge ist. In Wahrheit haben wir 14 mal ein und dasselbe Album gemacht.“

 

Ulf Kubanke

Ehemaliger Anwalt; nun Publizist, Gesprächspartner und Biograph; u.a. für Deutschlands größtes Online-Musikmagazin laut.de.

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