Engagierte Literatur von halbrechts?

„Römische Tage“ von Simon Strauß geht den Weg weiter, den „Sieben Nächte“ begann. Es ist dabei seltener unfreiwillig komisch, offener politisch, und gerade so weit literarisch gestaltet, dass der Autor sich im Zweifel von den geäußerten Ideen distanzieren kann. Das muss dann auch ästhetisch enttäuschen. Die Sonntagskolumne von Sören Heim


Römische Tage ist ein kurzer Roman von Simon Strauß, in dem dieser einen mittelalten Mann nach Italien reisen lässt, wo der zufällig mit lauter Konservativen, Reaktionären und Rechtsextremen zusammentrifft. Es ist eine dieser besonderen Unsitten deutschsprachiger Literatur, dass diese in Massen mittelalte bis alte Männer nach Italien reisen lässt, um dort irgendwelche Epiphanien zu erleben oder auch nicht (ich schrieb zuletzt zufällig gerade davon). Bodo Kirchhoff gründet sein ganzes Schreiben darauf, Hanns-Josef Ortheil einen Gutteil; das Italien Eugen Ruges ist mal Spanien, mal Mexiko, doch das Schema bleibt. Könnte es sein, dass den Reisenden deutschen Schriftsteller-Charakteren auch deshalb die lebensverändernde Erfahrung versagt bleibt, weil man in Italien auf nichts anderes mehr trifft, als auf reisende deutsche Schriftsteller-Charaktere?

Ein didaktisches Buch mit Absicherung

Nun also auch noch der junge Strauß. Der gefällt sich bekanntlich als Provokateur, und deshalb braucht seine italienische Reise, die ansonsten grob dem Schema folgt „Typ liest Goethe und wandelt auf dessen Spuren, ohne dass ihn Goethe oder dessen Spuren allzu sehr sehr interessieren würden“, noch ein mehr Salz in der Suppe. Was wäre für einen Autor, von dem uns nach seinem letzten Roman Sieben Nächte zahlreiche literarische Weggefährten versucht haben zu versichern, er sei jeglicher rechter Tendenzen unverdächtig, naheliegender, als ein Potpourri anti-europäischer, national-nostalgischer, katholisch-konservativer, antipluralistischer Gesprächspartner? (Warum es übrigens nicht funktioniert, Sieben Nächte als Satire auf ein Blut, Schweiß & Tränen-Männlichkeitsideal zu lesen, habe ich hier herausgearbeitet).

Und so trifft das Strauß Alter-Ego diesmal unter anderem: Eine Restaurantbesitzerin, die den Faschismus quasi zur italienischen Natur erklärt, Zirkusdirektoren auf der Party eines homosexuellen Zirkuskünstlers, die sich von der EU die Lebensgrundlage zerstört sehen, Wissenschaftler, die darüber jammern, dass junge Forscher sich nicht für Rom interessieren, weil man da keine Genderforschung betreiben kann, einen alten Kardinal, dem der jetzige Papst zu lasch ist, eine emanzipierte Kamerafrau, die selbstverständlich die EU hasst, einen jungen Kellner, der von der Bekanntschaft seines Großvaters mit Borchardt und Mussolini schwärmt, und einen Philosophen, der es wagt, sich auf einer liberalen Party gegen Abtreibung auszusprechen, und dafür von der gesamten Versammlung beinahe gewaltsam zur Entschuldigung genötigt wird.

Nun bin ich kein Leser, der in seinen Büchern das eigene Weltbild bestätigt sehen möchte. Die Weltanschauung eines Autors ist keine Vorbedingung für das Gelingen eines Werkes. Ernst Jünger etwa stand sicherlich deutlich weiter rechts als FAZ-Autor Strauß, doch seine Romane Auf den Marmorklippen, Heliopolis, und Gläserne Bienen werde ich noch häufiger lesen. Die Straußsche Sentenzenparade dagegen ist vor allem auch ästhetisch eine ziemliche Zumutung, weil man ihr durchgehend anmerkt, dass sie einerseits durchweg auf die Botschaft getrimmt ist und nicht auf das Erzählen einer Geschichte, und andererseits der Autor die Botschaft immer gegen Kritik in Schutz zu nehmen versucht. Literarische Verfahrensweisen werden gerade so weit angewandt, dass man sich im Zweifelsfall noch zurückziehen kann: Das sage doch nicht ich, das sagen meine Figuren.

Wenn alle das Gleiche sagen: Schein-Polyphonie

So entsteht bei Strauß dann eben auch keine echte Polyphonie, der man unterstellen könnte, die ja tatsächlich weit nach rechts gedriftete italienische Stimmung einfach einzufangen und zu ästhetisieren. Alle Gesprächspartner, auf die der Protagonist trifft, beten eine Variante des gleichen Sermons herunter. Was derweil als Gegenrede angeführt werden könnte, wird höchstens kurz referiert, und dann eigentlich immer mit leicht lächerlichem Einschlag:

„Tag der offenen Tür bei den Maltesern: Ein paar Militärs stehen in der Sonne, eine italienische Gewerkschaftsführerin bleibt dicht am Buffet, der deutsche Fernsehkorrespondent fällt seiner aufgeregten Frau dauernd ins Wort und zupft nervös an seinem Einstecktuch. Zusammenhalt, Europa, offene Zukunft, sagen die Diplomaten und kratzen sich am Kopf. Hin- und hergerissen wenden sie den Hals unschlüssig von rechts nach links wie bei einem Tennismatch.“

Und auch die wahrgenommene Wirklichkeit, etwa vor dem Parlament, bestätigt das Bild einer internationalen Politikerkaste, die das eigene Volk nach Strich und Faden verarscht:

„Vor dem Parlament zeigen sich die Abgeordneten gegenseitig ihre Prada-Einkäufe. Die Sonnenbrillen verspiegelt, das Jackett über die Schulter gehängt. Schlendernder Gang in Mokassins, barfuß natürlich, frohen Mutes wirken sie, diese Landesvertreter, so gelassen, wie sie in ihre Kammer hineinspazieren. (…)
Nur der Parlamentspräsident hört müde zu, all die anderen schauen auf ihre Aktienkurse. Später wird über Subventionen für Erdbebenregionen abgestimmt. Die Debatte interessiert niemanden, nur wenn das Wort votazione fällt, also Abstimmung, wird es plötzlich ganz still, schauen alle von ihren Bildschirmen auf und lassen sich von ihrem Fraktionschef das gewünschte Wahlverhalten anzeigen (…)“

Und all das bestätigt zudem auch noch zufällig die Haltung, die der Protagonist selbst in nachdenklichen Momenten an den Tag legt:

„Und Deutschland dagegen? Atmet durch zwei unterschiedliche Masken. Herzrhythmusstörungen auch hier. Ost und West sind nach wie vor wegweisende Kategorien, die Steuer schreibt die Geschichte. Vor der Nation zucken die Verwalter zusammen, reden lieber von Menschen als von Bürgern und halten bei Auschwitz den Atem nicht mehr an. Strategien machen die Ordnung, Beratung ersetzt das Gespräch, behauptete Eigenheit übertrumpft kritische Empfindung.“

Wie schon über den ersten Roman des jungen Strauß lässt sich über den zweiten immerhin sagen, dass der Autor sich kurz fassen kann, und auf die heideggereske Neologistik der Jünger-Jünger Strauß Senior, Mosebach, Lewitscharow u.a. verzichtet. Das macht Römische Tage mit Leichtigkeit und an einem Tag lesbar. Als Grund, sich die Zeit nehmen, fällt mir allerdings einmal mehr nur ein, dass man vielleicht auch in der kommenden Strauß-Debatte ja wieder mitreden möchte. Viel Spaß dabei.

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

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