Helden für einen Tag

Die Supergroup Hollywood Vampires mit Alice Cooper, Joe Perry und Johnny Depp glänzt mit ihrem zweiten Album. Die Hörmal-Kolumne von Ulf Kubanke


„Johnny ist ein Mann, der Sachen nicht macht, weil er muss, sondern weil er es will.“ So lobt Alice Cooper den Hollywoodstar für die hohe Qualität in allem, was dieser anpackt. Kein Wunder mithin, dass beide sich nun als Bandkollegen bei den Hollywood Vampires wieder finden. Die Supergroup besteht neben dem Erfinder des Schockrock und Captain Jack Sparrow aus Joe Perry, seines Zeichens an der Seite Steven Tylers die treibende Kraft bei Aerosmith.

Schon der Ursprung ist eine Story aus dem Lehrbuch des Rock. Die Hollywood Vampires gehen auf Coopers Kneipentruppe der 70er Jahre zurück. Vor mehr als 40 Jahren gründete der auf den bürgerlichen Namen Vincent Damon Furnier getaufte Musiker in Los Angeles einen inoffiziellen Kneipen-Club mit befreundeten Kollegen wie Aerosmith. Analog zu echten Vampiren bestand die Mission darin, Hollywood bis auf den letzten Tropfen Alkohol leer zu trinken. Der Clou: Mitglied konnte nur werden, wer als Aufnahmeritual alle unter den Tisch soff. Bestandteil der illustren Gruppe waren u.A. Ringo Starr, John Lennon oder Keith Moon (The Who).

Um die 40 Jahre später trifft Onkel Alice am Set von „Dark Shadows“ den deutlich jüngeren Johnny Depp. Letzterer träumt bereits seit frühester Jugend davon, Rockstar zu werden. Eigentlich dienten die ersten Filmjobs nur der Finanzierung seiner Band. Wir alle wissen, es verlief anders. Doch gilt Depp nicht nur als echter Kumpel und zählt u.A. Keith Richards, Iggy Pop und zu dessen Lebzeiten Willy DeVille zum engen Freundeskreis. Er ist auch ein mindestens passabler Bassist.

So keimt in beiden eine Idee: Warum nicht die Hollywood Vampires als Tribute-Act wiederbeleben? Im Laufe von mehr als vier Dekaden haben etliche Ikonen bereits endgültig das Mikro abgegeben und befinden sich längst in den ewigen Jagdgründen. Lemmy (Motörhead), Lennon, Elvis Presley, Moon, Jimi Hendrix usw. – sie alle gingen all zu früh. Die Mission: Gemeinsam ehren sie die Toten und rocken die Lebenden. Das Trio covert 2015 auf der ersten Platte Tracks von Ikonen, die das Zeitliche segneten.

Doch das reicht ihnen nicht. Trotz voller Terminpläne schweißt die gute persönliche Chemie die drei Tinseltown-Blutsauger zur echten Band zusammen. Also beginnen sie zu touren und schreiben parallel eigene Songs. Das Ergebnis hört man auf dem taufrischen „Rise“. Sicherlich darf man die CD ohne Übertreibung schon jetzt als als das Rockalbum des Jahres einordnen. Das liegt interessanterweise nicht daran, dass ihnen die Lieder des Jahrhunderts eingefallen wären. Bei weitem nicht. Songwriterisch erfinden sie das Schießpulver nicht gerade neu. Aber warum auch ein zweites Mal? Denn das taten Cooper und Aerosmith bereits mit Meilensteinen von „Welcome To My Nightmare“ bis „Pump“.

Entsprechend speist sich der ansteckende Charme dieser Lieder gerade aus ihrer Zwanglosigkeit. Niemand muss hier fürs Konto ackern, niemand muss einem Eintrag in die Annalen des Rock hinterherlaufen. Sämtliche Töne und Zeilen beruhen schlichtweg auf purem, lustvollen Spaß an der Musik. Mit anderen Worten: Sie spielen hier nicht für Unsterblichkeit; genau deshalb sind sie es.

Wir kennen es bereits von den Vampiren: Kein Graf Dracula ohne seinen Renfield, kein Kurt Barlow ohne Straker. Als treuer Gehilfe steht ihnen Tommy Henriksen als Co-Writer und Produzent zur Seite. Henriksen ist kein unbeschriebenes Blatt im Hardrock-Zirkus. Bereits als junger Mann war er Bassist von Warlock, der Kultband um Doro Pesch und spielte dort 1987 deren Meilenstein „Triumph And Agony“ ein. Besonders als Soundhexer hat der in Zürich lebende New Yorker einiges auf dem Kasten. Das Klangbild sollte Metal- wie Rockfreunden gleichermaßen gefallen. Einerseits legt er selbiges kritallklar, nahezu blitzsauber an. Andererseits bewahrt er den Geist des rauen, urwüchsigen und von Whiskey beseelten Urviechs, der Cooper und Perry umweht. Als Joker tauchen in einem Stück noch Jeff Beck und John Waters auf, setzen jedoch keinerlei nennenswerte Akzente.

Ihrem Ethos getreu fahren sie drei hervorragende Coverversionen verstorbener Kollegen auf. Johnny Thunders „You Can’t Put Your Arms Around A Memory“ atmet Perrys ledrige Kaschemmen-Aura, klingt dabei jedoch so ausgelassen, als pflücke er Pusteblumen auf einer Frühlingswiese. Jim Carrol kennen die meisten hierzulande weniger durch sein musikalisches oder literarisches Schaffen, sondern über dessen Filmbiografie „Jim Carrol – In den Straßen von New York“. „People Who Died“ war sein Kernsong. Die Hollywood Vampires flößen dem ausgelassenen Punk’n’Roll-Stück neues Leben ein und erschaffen einen schmissigen Partytrack für sommerliche Festivitäten.

Johnny Depp schießt den Vogel jedoch komplett ab. Ganz besonders wichtig ist den drei Vampiren die Ehrung David Bowies. Der Thin White Duke passt gleich doppelt ins Konzept: Einerseits verlor die Musikwelt mit ihm vor dreieinhalb Jahren ihren Stammesführer. Andererseits schlüpfte auch er in die Rolle eines Nosferatu, namentlich als John Blaylock im kultisch verehrten Streifen „Begierde“. Etwas besorgt fragt man sich vor dem ersten Anhören von „Heroes“, ob ausgerechnet Hobbysänger Depp die Aufgabe zu schultern vermag. „Heroes“ ist zwar einer der meist gecoverten Bowie-Songs. Allerdings auch einer, der am schwersten zu singenden. Entsprechend finden sich zwar etliche Versionen, gleichwohl kaum eine angemessene Variante.

Doch Depp erweist sich mehr als würdig. Betonung und Phrasierung liegen auf demselben Level von Bowies Intensität. Nun könnte man einwenden, dies falle ihm als Schauspieler wohl kaum schwer. Doch Johnny spielt hier keine Sekunde lang. Er legt allen Respekt, alle Liebe, alle Leidenschaft in seinen Vortrag, die er zu geben vermag. Heraus kommt eine großartige Interpretation, die neben Coopers Psychopathen-Ballade „Mr. Spider“ den absoluten Höhepunkt des Albums bildet. „And we will be heroes just for one day?“ Mit dieser Scheibe ganz bestimmt!

Hollywood Vampires Johnny Depp singt Bowie Song HEROES in München am 27.06.2018:

Ulf Kubanke

Ehemaliger Anwalt; nun Publizist, Gesprächspartner und Biograph; u.a. für Deutschlands größtes Online-Musikmagazin laut.de.

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