Das Puigdemont-Problem

Carles Puigdemont i Casamajó sitzt fest. Von Dänemark kommend wurde er von der deutschen Polizei – wohl auf Hinweis des spanischen Geheimdienstes – aufgrund eines europäischen Haftbefehls festgenommen. Nun wartet er auf die Entscheidung der deutschen Justiz über seine Auslieferung.


Warum der katalanische Politiker Carles Puigdemont ausgerechnet mit dem PKW von Finnland zurück über Deutschland nach Belgien gefahren ist, weiß er wohl nur selbst. Fühlte er sich unantastbar und glaubte, trotz der spanischen Bemühungen um seine Festnahme unbehelligt durch Europa touren zu können? Oder glaubte er der Propaganda der besorgten Bürger, dass in Deutschland ein rechtloser Zustand herrsche, mit offenen Grenzen und staatlichen Institutionen, die nichts mehr unter Kontrolle haben? Oder legte er es darauf an, gerade in Deutschland festgenommen zu werden? Kann alles sein. Ich weiß es nicht.

Nun hängt er erst einmal in Neumünster fest und es kann eine Weile dauern, bis die Justiz über den Fortgang des Verfahrens entscheidet. Die erste Stufe beim Amtsgericht Neumünster ist absolviert. Da wurde aber nur festgestellt, ob Puigdemont auch Puigdemont ist und ob die Formalien des Haftbefehls in Ordnung sind.

Enger Rahmen

Der Prüfungsrahmen der deutschen Justiz im Falle eines europäischen Haftbefehls ist recht eng. Es handelt sich dabei nicht um einen echten Haftbefehl, wie wir ihn in Deutschland in der Strafprozessordnung finden, sondern um ein Verfahren, das das bis zum 1.1. 2004 geltende Auslieferungsverfahren innerhalb Europas drastisch vereinfacht und erheblich beschleunigt hat. Grundgedanke ist dabei, dass die europäischen Staaten grundsätzlich alle Rechtsstaaten sind, die die jeweiligen nationalen Haftbefehle wechselseitig anerkennen und diese eben nicht auf ihre eigentliche Berechtigung hin überprüfen. Im Rahmenbeschuss heißt es:

Nach den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere vom 15. und 16. Oktober 1999, insbesondere in Nummer 35 dieser Schlussfolgerungen, sollten im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander die förmlichen Verfahren zur Auslieferung von Personen, die sich nach einer rechtskräftigen Verurteilung der Justiz zu entziehen suchen, abgeschafft und die Verfahren zur Auslieferung von Personen, die der Begehung einer Straftat verdächtig sind, beschleunigt werden.

Am 2.8.2006 trat dann das zu dem Rahmenbeschluss der EU gehörende nationale „Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union“ (Europäisches Haftbefehlsgesetz – EuHbG) in Kraft.

Nach Art. 1 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses handelt es sich beim europäischen Haftbefehl um eine gerichtliche Entscheidung eines Mitgliedstaates (sog. Ausstellungsstaat), hier ist das Spanien, die die Festnahme und Übergabe einer gesuchten Person durch einen anderen Mitgliedstaat zur Strafverfolgung oder zur Strafvollstreckung bezweckt. Entsprechend Art. 1 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, jeden europäischen Haftbefehl zu vollstrecken.

Der europäische Haftbefehl ist nach Art. 2 des Rahmenbeschlusses nur auf einen bestimmten Katalog von Delikten anwendbar. Der Katalog enthält folgende Delikte:

Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, Terrorismus, Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung von Kindern und Kinderpornografie, illegaler Handel mit Drogen und psychotropen Stoffen, mit Waffen, Munition und Sprengstoffen, Korruption, Betrug und Betrugsdelikte, Geldwäsche von Erträgen aus Straftaten, Geldfälschung und Euro-Fälschung, Fälschung von Zahlungsmitteln, Cyberkriminalität, Umweltkriminalität einschließlich des illegalen Handels mit bedrohten Tierarten oder mit bedrohten Pflanzen- und Baumarten, Beihilfe zur illegalen Einreise und zum illegalen Aufenthalt, vorsätzliche Tötung, schwere Körperverletzung, illegaler Handel mit Organen und menschlichem Gewebe, Entführung, Freiheitsberaubung und Geiselnahme, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Diebstahl in organisierter Form oder schwerer Raub, illegaler Handel mit Kulturgütern, einschließlich Antiquitäten und Kunstgegenständen, Erpressung und Schutzgelderpressung, Nachahmung und Produktpiraterie, Fälschung von amtlichen Dokumenten und Handel damit, illegaler Handel mit Hormonen und Wachstumsförderern, illegaler Handel mit nuklearen und radioaktiven Substanzen, Kraftfahrzeugkriminalität, Vergewaltigung, Brandstiftung.

Wie Sie sehen, steht da nichts von Rebellion. Aber das alleine hilft nun Herrn Puigdemont auch nicht viel. Wenn nämlich keine der Katalogtaten vorliegt, dann muss das OLG Schleswig-Holstein nun gemäß der §§ 80 ff. des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) prüfen, ob die Handlungen, auf die Puigdemont in dem europäischen Haftbefehl vorgeworfen werden, nach deutschem Recht strafbar sind und zwar unabhängig von den Tatbestandsmerkmalen oder der konkreten Bezeichnung der Straftat.

§ 81 Auslieferung zur Verfolgung oder zur Vollstreckung

§ 3 findet mit den Maßgaben Anwendung, dass

1.
die Auslieferung zur Verfolgung nur zulässig ist, wenn die Tat nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates mit einer Freiheitsstrafe oder sonstigen Sanktion im Höchstmaß von mindestens zwölf Monaten bedroht ist,
2.
die Auslieferung zur Vollstreckung nur zulässig ist, wenn nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates eine freiheitsentziehende Sanktion zu vollstrecken ist, deren Maß mindestens vier Monate beträgt,
3.
die Auslieferung in Steuer-, Zoll- und Währungsangelegenheiten auch zulässig ist, wenn das deutsche Recht keine gleichartigen Steuern vorschreibt oder keine gleichartigen Steuer-, Zoll- und Währungsbestimmungen enthält wie das Recht des ersuchenden Mitgliedstaates,
4.
die beiderseitige Strafbarkeit nicht zu prüfen ist, wenn die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat nach dem Recht des ersuchenden Staates mit einer freiheitsentziehenden Sanktion im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht ist und den in Artikel 2 Absatz 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. L 190 vom 18. 7. 2002, S. 1), der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI (ABl. L 81 vom 27.3.2009, S. 24) geändert worden ist, (Rahmenbeschluss Europäischer Haftbefehl) aufgeführten Deliktsgruppen zugehörig ist.

Einen Tatbestand der Rebellion kennt das deutsche Strafrecht nicht. Es kennt zwar den Hochverrat des

§ 81 StGB

Hochverrat gegen den Bund

(1) Wer es unternimmt, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt

1. den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen oder

2. die auf dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beruhende verfassungsmäßige Ordnung zu ändern,

wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft.

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

 

Keine Gewalt

Aber der setzt die Anwendung oder wenigstens die Androhung von Gewalt voraus. Das wird also nichts werden.

Möglicherweise wird es aber eng für Puigdemont wegen des zweiten im europäischen Haftbefehl enthaltenen Vorwurfes der Unterschlagung öffentlicher Gelder, die Spanien damit begründet, dass Puigdemont das vom spanischen Verfassungsgericht vorher für verfassungswidrig erklärte Referendum mit öffentlichen Mitteln finanziert hat, obwohl er wusste, dass dies rechtswidrig war.

Das könnte auch nach deutschem Recht als Unterschlagung oder auch Untreue strafbar sein. Ich kann mich allerdings an keinen Fall entsinnen, in dem ein deutscher Ministerpräsident oder ein Regierender Bürgermeister wegen Unterschlagung oder Untreue verurteilt worden wäre, weil er verfassungswidrig Geld verplempert hätte. Könnte man aber mal drüber nachdenken. Immerhin, in diesem Punkt bestünde für Puigdemont eine reale Gefahr für die Auslieferung an Spanien.

Kein faires Verfahren?

Abwenden könnte er die aber dennoch, wenn das OLG feststellen würde, dass er in Spanien kein faires Verfahren zu erwarten hätte. Angesichts der grundsätzliche wechselseitigen Anerkennung der jeweiligen Justiz wäre das allerdings ein schwerwiegender Vorwurf gegen die spanische Justiz, der kaum zu begründen wäre. Ähnlich schwierig wäre die Feststellung, dass Puigdemont in Spanien politische Verfolgung drohen würde. Wenn das OLG dies feststellen würde, dann dürfte Puigdemont nicht an Spanien ausgeliefert werden. Aber glauben Sie wirklich, dass das OLG Spanien attestieren würde, dort gäbe es kein faires Verfahren und Puigdemont würde politisch verfolgt?

Theoretisch könnte auch die Bundesregierung aus politischen Gründen eine Auslieferung verweigern. Dass das geschehen wird, ist aber eher unwahrscheinlich, hat sie doch bisher die Haltung der spanischen Regierung demonstrativ unterstützt und die katalanische Sezessionsbewegung eher kritisch beäugt.

Puigdemonts Anwälte kündigten bereits an, auch das Bundesverfassungsgericht anrufen zu wollen. Das kann spannend werden.Vielleicht wäre es auch im Hinblick auf die in Katalonien aufkeimenden Unruhen gescheiter, wenn sich die spanische Regierung dazu aufraffen könnte, das Auslieferungsersuch vorerst nicht weiter zu verfolgen. Das setzt allerdings Vernunft voraus, die die Regierung in dieser Causa bisher vermissen lies. So oder so, es sollte eine Lösung geben. Bis es aber soweit ist, wird Herr Puigdemont wohl noch einen längeren Aufenthalt in Deutschland haben. Wäre er doch geflogen.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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