Die freien Geister des Bosporus

In dieser Folge der Hörmal-Kolumne widmet sich Ulf Kubanke aus aktuellem Anlass der Türkei. Dort gibt es etliche freigeistige, weltoffene und sehr warmherzige Künstler. Zwei von ihnen stellt er hier vor.


„Der Anlass ist immer „Faschismus“.“ – Woody Allen

„Ich will Kalif sein!“ – Isnogud

„There is no middle ground for us to walk or to take.
Instead we tumbl down either side, left or right
To Love or to Hate. – Peter Murphy

Es ist ein schlechtes Spiel und oftmaliges Missveständnis dieser Tage. Da gibt es jene, die Kritik an ihrer autoritären Politik pauschal als Antitürkismus brandmarken. Auf der anderen Seite gibt es etliche, die im Windschatten unsympathischer „die Türken“-Verallgemeinerung müffelnden Rassismus ausleben. Beide Gruppen wollen wir getrost rechts liegen lassen. Denn die Wahrheit ist eine andere: Überall auf der Welt und in jedem Volk gibt es Napfsülzen einerseits und Kandidaten für die „Liste der coolen Leute“ andererseits. Das ist nicht neu und wohl seit Anbeginn der Zeiten ein allgemeines Merkmal unserer Spezies. Lasst uns also – egal ob Türke, Deutscher oder wasauchimmer – solch destruktiven Tüdelkram meiden, das Über-den-Kamm-Scheren verweigern und stattdessen einen gemeinsamen Geist freier Individuen, freier Frauen, freier Männer, freien Denkens und freier Kunst beschwören.

Das tut nämlich gut und macht auch Spaß. Zu diesem Zweck und als deutliches Signal gegen alle Spalter habe ich Euch, liebe Leser, hier zwei türkische Musikprojekte – eine Band und eine Solokünstlerin – mitgebracht, die Ihr hoffentlich ebenso ins Herz schließt, wie ich.

1. Die Bosporus-Rocker Baba Zula

Seit gut 20 Jahren ziehen Baba Zula ihre musikalischen Kreise. Bekannt durch Fatikh Akins „Crossing The Bridge“ entwickelten sie seither einen Stil der sich bei beiden Welten – Okzident wie Orient – bedient und daraus einen hochgradig individuellen, sehr farbenprächtigen Killersound braut.

Die westliche Seite prägte sie besonders durch psychedelic Rock oder Latin-Groove. Die nahöstliche Seite spiegelt sich in der zusätzlichen Verwendung folkloristischer Instrumente und Elemente. Sie sehen sich selbst als Wanderer zwischen den Welten, als Botschafter von Verständigung und Liebe. Dabei nehmen sich die Istanbuler als dritte Art wahr, als istanbuler Spezies, die sich weder von West noch Ost in der eigenen Identität vereinnahmen lässt und eine eigene Zugehörigkeit zum freiem Geist, unabhängigem Denken und Empathie definiert.

Mit dieser Haltung wollen sie gerade auch jene Teile der in Deutschland, den Niederlanden etc lebenden türkischstämmigen Menschen ermutigen, die zum Teil massiv erfahrene, rassistische Ablehnung durch pluralistisch-progressives Selbstwertgefühl zu überwinden. Und zwar ohne am Ende bei Nationalismus, Totalitarismus, Autokratismus, Frauenfeindlichkeit, Intellektuellenfeindlichkeit und ödipaler Infantilität zu landen, die sich leider weltweit und in vielen Völkern momentan ausbreiten. Die tumbe Opferrolle als Selbstwahrnehmungskonzept und Rechtfertigung lediglich aufgrund eines ohnehin für alle Erdenbewohner komplizierten Lebens, ist Baba Zula ein Grauen.

Als entsprechend rebellisch nimmt der Staat die sympathische Band wahr. Denn Baba Zula widmen ihre Songs explizit unteredrückten Autoren, Journalisten und allen Aktivisten, die für ein freies Miteinander, Frieden, Individualismus und Völkerverständigung eintreten. Sie erzählen freimütig von Polizeieinsätzen in Proberäumen, bei denen Musiker drangsaliert werden. Etliche Songs sind in ihrem Heimatland verboten. Manche Platten können sie nur über auslämdische Labels vertreiben.

Trotz aller Schikanen erteilen sie dem Hass eine deutliche Absage. Ihre umarmende, sehr warmherzige Philosophie grenzt niemanden aus – auch Tiere nicht, sondern läd alle dazu ein, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen und am Besten auf diesem zu tanzen. Das vorliegende Stück besticht durch seine gleichermaßen fuzzy wie folky rockende Gitarre, effektiv eingebautes Wiehern eines Pferdes, schwelgende Psychedelik und einen süchtig machenden Groove.

2. Die türkische Musikerin und Anthropologin Gaye Su Akyol.

Die mutige Istanbulerin mit anatolischen Wurzeln verkörpert vieles:
vorbildliche Kämpferin für (nicht nur) orientalische Frauen, vorbildliche Kämpferin für eine freie, nach vorn gewandte türkische Gesellschaft und herausragende Künstlerin, die Orient mit Okzident vereint.

Sie war eine Aktivistin der Gazi-Bewegung, steht gegen totalitäre, kunst-, intellektuellen- und frauenfeindliche Bestrebungen und schreibt tolle Songs. In letzteren verbindet sie – kaum zu fassen aber wahr – tatsächlich türkisch-traditionellen Folk mit Surfrock, Indierock und Postpunk. Für sie eine ganz natürliche Verbindung, da sie eine ebenso natürliche Zuneigung zu Joy Division, Nick Cave, Nirvana oder Sonic Youth verspürt, wie zu den eigenen kulturellen Wurzeln.

So findet die mutige Songwriterin klare Worte:

„Dieser Horrorfilm wird jeden Tag schlimmer! Wir können uns gerade gegenseitig kaum helfen. Das Einzige, was wir tun können, ist unsere Jobs so gut wie möglich zu machen. Wenn du ein Lehrer bist, musst du halt den besten Lehrer abgeben, der möglich ist. Und gemeinsam warten wir auf den richtigen Zeitpunkt, um den nächsten Schritt zu machen.“

Als Anspieltipp habe ich mich für die „Bosporus meets Surfrock“-Variante entschieden:

Ulf Kubanke

Ehemaliger Anwalt; nun Publizist, Gesprächspartner und Biograph; u.a. für Deutschlands größtes Online-Musikmagazin laut.de.

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