Eine Katze namens Beethoven

Nachdem Clemens Haas letzte Kolumne über Orgelmusik nicht den erforderlichen Zuspruch erhielt, musste die Redaktion ihm klarmachen, dass es bestimmte Mindeststandards für Kolumnen gibt. Und siehe da, er hat alle strikten Anweisungen konsequent umgesetzt.


Meine letzte Kolumne über Orgelmusik – das Sequel zur erfolgreichen Kirchenmusik-Kolume – ist an der Kinokasse achtkantig gefloppt. Das war nicht schön für mich, und die Kolumnisten-Studiobosse haben mich prompt ins Hauptquartier zitiert, um mir ordentlich die Leviten zu lesen.

Orgel! Bist du von allen guten Geistern verlassen? Steck dir deine Pfeifen in den (wegen FSK-Freigabe geschnitten)! Weniger Wenders, mehr Eichinger! Katzen! Ich sag immer: Katzen müssen rein! Keine erfolgreiche Kolumne ohne Katzen!

brüllte der Boss der Bosse, während er seiner bedrohlich schnurrenden „Chica“ den Nacken kraulte, und nach einem beiläufigen Nicken zeigten mir die Sicherheitsleute, wo der Zimmermann das Loch gelassen hatte und ich fand mich achtern zwar nicht auf Pfeifen, aber auf hartem Asphalt.

Schroeders Katze

Na gut. Um meine Kolumnisten-Existenz nicht zu gefährden – ich habe schließlich eine Frau, zwei Töchter, eine Katze und einen Hu… äh ZWEI Katzen zu ernähren – hier also etwas Massenkompatibles. Beethoven finden ja alle so irgendwie ok. Den kennt man von Schroeder bei den Peanuts (mit Snoopy, der lustigen Katze) oder als Komponisten der inoffiziellen Europahymne, wenn der vierte Satz der Neunten vor Staatsgästen gespielt wird, die die darin beschworenen Werte mit Tatzen treten. Und die meisten lesen ja ohnehin nur die Überschrift: „Kadsen! Muß ich gucken!“ Klick ist Klick, dem Boss wird’s gefallen.

Und wo wir gerade bei Europahymne sind und bei Leviten lesen: So ein wenig hat Igor Levit den Brexit-Engländern die Leviten gelesen, als er als Zugabe beim diesjährigen Konzert „First Night of the Proms“ ausgerechnet diesen vierten Satz spielte, in der (verkürzten) Klavierbearbeitung von Franz Liszt.

 

Großartig. Darf man von einem Künstler fordern, politisch zu sein? Nein. Darf er es trotzdem sein? Ja. Erst recht, wenn er es auf diesem Niveau ist.

Ich hätte in dieser Kolumne gerne mehr Hörbeispiele mit Igor Levit als Interpreten gebracht, aber es sind auf youtube ziemlich wenige zu finden. Die wenigen Leser meiner letzten Kolumne wissen noch, dass ich ein Faible für Variationen habe. Darum hier wenigstens das Thema der „Diabelli-Variationen“ von Beethoven.

Kaufen Sie doch einfach mal wieder eine Platte, anstatt immer nur billig bei youtube rumzuschnorren. Die Diabelli-Variationen gibt es auch als Teil des wirklich tollen Dreifach-Albums „Bach, Beethoven, Rzewski“ mit (in order of appearance) den Goldberg-Variationen, den Diabelli-Variationen und den Variationen über „The People United Will Never Be Defeated“ mit Mengenrabatt. Nein, ich bekomme keine Provision.

Fun fact: Igor Levit ist in der gleichen Stadt geboren wie ein anderer junger Weltklassepianist, den wir wie immer hier ganz am Ende wieder hören werden. Die nach dem Orgelfiasko wenigen verbliebenen Stammleser wie etwa Der Harte H… äh Die Harte Katze werden schon erahnen, wer das sein könnte.

Die wenigen verbliebenen Stammleser wissen auch, dass ich ebenfalls ein Faible für zweite Sätze habe. Einer der für mich schönsten ist der zweite Satz aus Beethovens 5. Klavierkonzert. „Wenn doch nur alles von Beethoven so schön wäre wie dieser Satz“, seufzte einmal meine Klavierprofessorin. Was nicht bedeuten sollte, daß der Rest von Beethovens Werk etwa nicht schön sei, sondern daß selbst aus den höchsten Bergen des Olymp noch einer herausragen kann an schierer Schönheit. Dieser Ansicht schließe ich mich an.

Wir hören nicht Igor Levit, sondern Krystian Zimerman mit den Wiener Philharmoniker unter Leonard Bernstein. Es gibt schlimmeres. (Zweiter Satz ab 21:11)

Ist das nicht überirdisch? Und als Beethoven das komponierte, war er schon so taub, dass er dachte, er malt. Selbst spielen konnte er es wegen seiner Schwerhörigkeit schon nicht mehr.

Wir wechseln kurz vom Klavier zum Orchester, bleiben aber bei zweiten Sätzen: Denen aus der 5. und aus der 7. Symphonie.

Der erste Satz der Fünften (Tatata-Taaa!) dürfte neben dem ganz oben gehörten vierten Satz der Neunten das bekannteste Werk Beethovens sein. Mit dem zweiten verbindet mich neben meiner allgemeinen Vorliebe für zweite Sätze noch eine ganz persönliche Anekdote. Als ich nach der Geburt meiner ersten Tochter – die Geburtsnacht war kalt, stürmisch und regnerisch – völlig übermüdet, aber überglücklich aus dem Kreißsaal in den strahlenden warmen Junimorgen trat und in mein Auto stieg, erwartete mich das Autoradio zufällig (?) mit genau diesem Satz, und zwar just an der Stelle, als das Thema mit Glanz und Gloria und Pauken und Trompeten in triumphalem C-Dur erstrahlt. Was für ein Moment. Der zweite Satz beginnt ab 9:00, die Autoradio-Stelle werden Sie erkennen.

 

Der zweite der Siebten ist auf ganz andere Weise, aber nicht minder wunderschön (ab 11:28).

 

So wunderschön, daß ich davon für meine beiden zauberhaftesten Töchter der Welt eine Version für Spieluhr gebastelt habe.

 

 

Und damit zurück zum Klavier, das ist mein Instrument und da kenn ich mich am besten aus.

Im Klavierwerk von Beethoven nehmen die drei letzten Klaviersonaten op. 109, 110 und 111 (nicht nur für mich) eine gewisse Sonderstellung ein. Warum das so ist, würde hier den Rahmen ganz gehörig sprengen. Also ALLE Beethoven-Sonaten sind großartig, aber Sie erinnern sich ja: Olymp, höchste unter den hohen Bergen und so.

Zwischen 109 und 110 konnte ich mich damals für meine Klavier-Abschlußprüfung (irgendeine Beethoven-Sonate ist Pflichtprogramm) nicht entscheiden, mal 109, dann doch wieder 110 und wieder zurück, meine Professorin ist fast wahnsinnig geworden mit mir (auch sonst), an 111 hab ich mich erst gar nicht getraut.

Wir kümmern uns hier zunächst mal um 110, auch, weil ich ja irgendwie noch die Katze wenigstens der Form halber inhaltlich unterbringen muß, sonst gibt’s wieder Ärger mit dem Boss.

Die hedonistische Katze

Ich zitiere aus einem Interview der Berliner Zeitung von 2008 mit dem inzwischen 93-jährigen Pianisten Menahem Pressler. Das Zitat ist ein wenig lang, aber er spricht mir da aus der Seele, besser kann ich´s nicht sagen.

Da steckt für mich im Prinzip Beethovens Biografie drin. Der erste Satz ist Musik von einem Idealisten. Der zweite ist von einem Hedonisten.“ „Was? Dieses polternde, rumpelnde Scherzo nennen Sie hedonistisch?“ „Ja, da benutzt er nämlich diese Melodie (singt): „Ich bin liederlich, du bist liederlich, wir sind liederliche Leut'“. Das hat man zu Beethovens Zeit nur in den nicht so ganz anständigen Lokalen gesungen. Und Beethoven greift das auf, mit richtig viel Kraft. Dann aber kommt der dritte Satz: die Reue. Ein klagender Gesang, wie Beethoven schreibt. Ja, ein Arioso dolente mit wirklich tiefsten Gefühlen. Doch mitten in der Klage zwingt er sich, aus dem Leben etwas zu machen. Etwas, das aufbaut: eine Fuge. Diese Fuge ist gewaltig. Kurz, aber perfekt in jeder Hinsicht. Und so menschlich. Aber sie bricht zusammen, und die Reue tritt noch stärker hervor. Der klagende Gesang beginnt ein zweites Mal, wie mit letztem Atem. Bis die Fuge erneut anhebt, diesmal mit der Umkehrung des Fugenthemas. Wenn Beethoven dann das Thema wieder richtig herum hinstellt, am Ende, dann ist das so triumphierend, dass man wirklich sagen kann: Es hat sich gelohnt zu leben.“ (Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/15521926 ©2017)

Ich finde leider nirgends ein Hörbeispiel für das liederliche Sauflied, aber wenigstens eine Notierung.

Und hier zum Vergleich der Anfang des zweiten Satzes von opus 110. Man braucht keine Noten lesen zu können, um zu erkennen (die Stelle habe ich markiert): Das ist identisch.

Was Menahem Pressler nicht erwähnt: Auch das Motiv ganz zu Beginn dieses Satzes entstammt einem Volkslied, und jetzt kommt unser Katzenmoment: „Unsre Katz hat Katzerln g´habt“ – „angeblich“, wie bei wikipedia dazu steht.

Ich zeig Ihnen zuerst mal eine ganz furchtbare Version dieses Volkslieds:

 

Die Katze ist ja die Inkarnation des Hedonismus. Meine jedenfalls, der kleine Satansbraten. Und Kätzchen bzw. Katzerln bekommt man ja auch nicht vom Beten und Blumenpflücken.

Beethoven hat das selbst 1820 schon mal in ein wenig schöner gemacht, die Sonate op. 110 entstand ebenfalls 1820. Soviel zu „angeblich“. Nimm das, wikipedia. Kann aber natürlich auch reiner Zufall sein, ja sicha, komm mal klar auf deing Leben.

 

Und jetzt hören wir endlich Beethoven op. 110. Leider habe ich keinen Link mit Menahem Pressler gefunden, auch keinen mit Igor Levit (seine Platte „Beethoven The Late Piano Sonatas“ können Sie auch gleich kaufen, wo Sie gerade schon dabei sind. Nein, ich bekomme wirklich keine Provision). Zweiter Satz ab 7:26, „liederlich“ bei 7:38.

 

Und jetzt zitiere ich noch einmal aus einem anderen Medium, dem Tagesspiegel vom 6.10.2016 über Igor Levit und Daniil Trifonov:

  …handelte es sich hier nicht um zwei so exorbitant starke Bäume – wie sie niemals nah beieinandergepflanzt werden dürfen –, so würde man fast vorschlagen, die beiden sollten doch einmal vierhändig spielen. Aber das ist natürlich Unsinn.

Stimmt. Völliger Unsinn. Aber hier, in meiner kleinen Kolumne, kann ich die beiden exorbitant starken Bäume doch nebeneinander pflanzen. Daniil mit Beethoven op. 111. Nehmen Sie sich die Zeit.

Clemens Haas

Clemens Haas, geb. 1968, hat Mathematik und Philosophie durchaus studiert mit eifrigem Bemühn, dann aber doch zurück gefunden zur ersten Liebe, Klavier und Tonmeisterei und dieses Studium dann auch abgeschlossen. Er arbeitet als freier Toningenieur und Komponist für ÖR und private Rundfunk- und Fernsehanstalten und für die Werbeindustrie.

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