Sag mir, wo Du stehst

Nach ihrem Aufritt beim DFB-Pokalfinale steht Helene Fischer erneut in der Kritik. Dieses Mal wirft ihr der Frontmann der „Toten Hosen“, Campino, in einem Interview indirekt zu wenig politische Haltung vor. Dabei schießt der Punkveteran über das Ziel hinaus. Es ist ein gesellschaftlicher Fortschritt, dass Künstler in keine politischen Bekenntnisse mehr ablegen müssen. In der DDR war das anders. Da hieß es auch in der Musik oft: „Sag mir, wo Du stehst!“


Ed Sheeran ist großartig. Seit ich den Jungen das erste Mal, irgendwo in England im Autoradio, gehört habe, mag ich seine Lieder. Extrem professionell gemachter Singer-Songwriter-Pop. Eingängig, unterhaltsam, aber ohne den Anspruch, die Welt verbessern zu wollen. Auf seinem aktuellen Album „Divide“ zeigt der fusselbärtige Engländer wieder die ganze Spannbreite seines Könnens. Klang die erste Single „Shape of You“ noch irgendwie karibisch inspiriert, setzt er in seinem derzeitigen Hit „Galway Girl“ auf die volle Irland-Packung.

Wenn Sheeran spricht statt zu singen, dann klingt das sehr „down to earth“, wie die die Briten sagen. Hierzulande hieße es: Der Megastar ist auf dem Boden geblieben. Geld, so erklärt er, bedeute ihm nichts. Viel spende Sheeran für ein Kinderkrankenhaus in der Nähe seines Wohnorts. Alkohol halte er für gefährlich. Daher passe er da sehr auf sich auf. Ansonsten halte sich der Künstler an den guten Rat seines Vaters, nie über Religion oder Politik zu singen. Schließlich sei er nur ein 26-jährige Junge, der nicht viel Zeit damit verbringe, Nachrichten zu sehen oder die Zeitung zu lesen. Insofern seien seine Ansichten weder sehr ausgereift noch sehr fundiert, und deshalb halte er lieber die Klappe.

Ed Sheeran singt nicht über Politik und Religion

Da ich mich ausschließlich für die Lieder des Mannes aus West Yorkshire interessiere und nicht für dessen Weltanschauungen, kann ich, ebenso wie Millionen anderer Fans, gut mit diesem Statement leben. Bei Campino, dem Frontmann der „Toten Hosen“, indes könnte es anders aussehen. So kritisiert der Punkveteran Helene Fischer in einem Interview indirekt für ihr vermeintlich unpolitisches Auftreten. Seiner Ansicht nach sei es für Künstler wichtig, sich politisch zu positionieren – und dafür gegebenenfalls Einbußen bei den Fans in Kauf zu nehmen. Dabei geht unter, dass Campino in dem Interview auch ziemlich kluge Sachen gesagt hat. Etwa zur begrenzten Wirkung gesellschaftskritischer Lieder und der kurzen Halbwertszeit politischer Kommentare. Aber wenn man in diesen Zeiten schon den Namen Helene Fischer in den Mund nimmt, dann muss man auch damit leben können, dass dieser die Überschriften wie die Schlagzeilen bestimmt.

Nachdem ich in der vergangen Woche am Auftritt von Madame beim DFB-Pokalfinale herumgemäkelt habe, muss ich die Sängerin nun verteidigen. Bei Wikipedia habe ich mir ihren Lebenslauf angesehen. Dort steht, dass sie gleich nach der Fachoberschulreife eine Ausbildung zur Musical-Darstellerin in Frankfurt am Main begonnen hat. Von da an war Musik ihr Beruf, nie ist sie außerhalb des Business auffällig geworden. Außer vielleicht mit ihrer Beziehung zu Florian Silbereisen, aber auch der ist Musiker und Musikmoderator. Helene Fischer ist weder Politikerin, noch Politikwissenschaftlerin. Sie hat keinerlei Verpflichtung, sich politisch zu äußern, wenn sie das nicht möchte. In einer Demokratie steht es – Gott sei Dank – jedem frei, seine Meinung für sich zu behalten. Auch das Recht zu irgendetwas keine Meinung zu haben, gehört zur Meinungsfreiheit dazu.

Es gibt ein Recht, keine Meinung zu haben

Nun ist Helene Fischer in der Sowjetunion geboren. Dort war das anders. Die richtige politische Haltung spielte für die Karriere eine beinahe ebenso wichtige Rolle wie musikalisches Können. Ihre Familie siedelte nach Rheinland-Pfalz um, als die kleine Helene gerade einmal vier Jahre alt war. Sie musste also nie selbst erleben, dass jemand, der offen gegen das System stand, meist keine Chance auf Erfolg hatte. Aber erzählt hat man es ihr bestimmt. Sich nicht ohne Not auf das politische Parkett zu begeben, könnte durchaus eine Entscheidung sein, die die Schlagerdiva tief in ihrem Inneren für ihre Laufbahn getroffen hat. Das ist zwar nur eine Vermutung, aber es wäre legitim.

Nicht nur in der UdSSR, auch in der DDR, mit der wir uns besser auskennen sollten, entscheid neben Talent und solider Ausbildung ebenfalls der richtige Klassenstandpunkt darüber, ob ein Künstler eine Spielerlaubnis als Berufsmusiker (Berufsausweis) bekam. Musiker ohne Hochschulabschluss mussten eine Prüfung bestehen, die von einer Kommission des Bezirkskomitees für Unterhaltungskunst abgenommen wurde. Dabei war eine dem Regime unpassende politische Einstellung oft ein Hinderungsgrund für die Vergabe einer Spielerlaubnis.

Inzwischen ist es hierzulande glücklicherweise egal, welche politische Einstellung die Künstler haben, sofern sie dies nicht von sich aus mitteilen wollen. Ich empfinde dies durchaus als Fortschritt. Selbst wenn sich ein Musiker zu Partei X oder zum Projekt Y bekennt, geht dies zumindest den Staat nichts an. Die Fans selbst können entscheiden, ob ihnen das etwas ausmacht oder ob sie es sogar gut finden. Nun habe ich eine durchaus wirtschaftsliberale Einstellung, dennoch höre ich auch Musik von Bands, die sich schon kapitalismuskritisch geäußert haben. So what! Ich wähle die ja nicht in den Bundestag oder das britische Unterhaus. Lediglich wenn jemand an extremen Rändern fischt, montags seltsame Reden in Dresden hält oder im Umfeld des 1. Mai obskure Bräuche in Berlin oder Hamburg pflegt, würde ich ernsthaft darüber nachdenken, meine Sympathien einzustellen. Frau Fischer, deren Musik nun wirklich nicht meine ist, hat aber all dies nicht getan. Man sollte sie in Ruhe lassen.

Niemand braucht Lippenbekenntnisse

In der DDR gab es ein Agitationslied der Singebewegung. Es hieß „Sag mir, wo Du stehst“. Wikipedia beschreibt das Lied so: „In dem Lied wird der Adressat Du von einem gleichsam gewissenserforschenden Kollektiv, das sich selbst auf der Seite des gesellschaftlichen Fortschritts sieht („wir bringen die Zeit nach vorn“), aufgefordert, sich erkennenzugeben, sowie zur Abkehr vom zurückbleibenden Im-Kreis-Gehen, zum Ablegen der nickenden Maske und zur Offenbarung des wahren Gesichtes.“ Die DDR ist am 3. Oktober 1990 untergegangen – niemand muss heutzutage das Lied lernen, wenn er es nicht will.

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gilt mittlerweile auch zwischen Marienborn und Frankfurt/Oder. In Düsseldorf, wo Campino geboren ist, gilt es sogar schon seit dem 24. Mai 1949. Deswegen muss niemand irgendwo, irgendwem sagen, wo sie oder er steht, auch Helene Fischer nicht. Was sollte so ein Pflichtbekenntnis auch bringen? Im Zweifel würde es zur billigen Parole, zum schalen Lippenbekenntnis. Eben wie in der DDR, wo stets und ständig der Klassenstandpunkt gefragt war. Jeder, der da halbwegs in Frieden leben wollte, bekannte sich selbstverständlich zu Weltfrieden, Sozialismus, Himbeereis und schönem Wetter.

Dieter Nuhr bringt es auf den Punkt

Lieber halte ich es da mit Dieter Nuhr. Der Kabarettist hat einmal gesagt: „Das ist so schrecklich, dass heute jeder Idiot zu allem eine Meinung hat. Ich glaube, das ist damals mit der Demokratie falsch verstanden worden: Man darf in der Demokratie eine Meinung haben, man muss nicht. Es wäre ganz wichtig, dass sich das mal rumspricht: Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal Fresse halten.“ Nuhr ist da übrigens ganz beim Rat von Ed Sheerans Vaters.

 

 

Andreas Kern

Der Diplom-Volkswirt und Journalist arbeitet seit mehreren Jahren in verschiedenen Funktionen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Kern war unter anderem persönlicher Referent eines Ministers, Büroleiter des Präsidenten des Landtages von Sachsen-Anhalt sowie stellvertretender Pressesprecher des Landtages. Er hat nach einer journalistischen Ausbildung bei einer Tageszeitung im Rhein-Main-Gebiet als Wirtschaftsredakteur gearbeitet . Aufgrund familiärer Beziehungen hat er Politik und Gesellschaft Lateinamerikas besonders im Blick. Kern reist gerne auf eigene Faust durch Südamerika, Großbritannien und Südosteuropa.

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