Mauricio Macri, der Anti-Populist

Überall in der westlichen Welt sind Populisten auf dem Vormarsch. Eines ihrer Erfolgsmodelle heißt Kapitalismuskritik. Ausgerechnet im heruntergewirtschafteten Argentinien, wo Juan Domingo Peron den Populismus als politisches Geschäftsmodell erfunden hat, setzt Mauricio Macri auf Marktwirtschaft und Freihandel. Gewinnt er einen Wettlauf gegen die Zeit, könnte seine Politik Leitbild für ganz Lateinamerika werden.


Jahrzehntelang vermutete man das Herz des Populismus in Buenos Aires, der Hauptstadt Argentiniens. Und wenn jemand ein Patent auf den politischen Populismus hätte anmelden dürfen, dann wäre dieses Privileg Juan Domingo Peron zugekommen, einem Offizier, der zusammen mit seiner später mystifizierten Ehefrau „Evita“ 1946 die Macht am Rio de la Plata übernahm. Er erfand eine Mixtur, der sich zahlreiche Nachahmer auf dem südamerikanischen Subkontinent immer wieder bedienten: Nationalismus, Protektionismus und das Versprechen kostspieliger sozialer Wohltaten. Der ökonomischen Ratio entzog sich Populismus peronistischer Prägung weitestgehend. Ganz postfaktisch – damals nannte man es allerdings nicht so – zielten Peron und seine Gattin nicht auf den Verstand ihrer Landsleute, sondern voll auf den Bauch. Ein durchgehendes Element war dabei der „Wir-gegen-die-Gedanke“, die kleinen Leute gegen die reichen Unternehmer, die anständigen Argentinier gegen den Rest der Welt.

Wirtschaftlich war dieses Populismus-Modell ein absoluter Reinfall. Aus Argentinien, dem einst fast schon sagenhaften reichsten Land der Welt, wurde während der Jahrzehnte beinahe ununterbrochener peronistischer Herrschaft ein heruntergewirtschafteter Krisenstaat, der bei seinen internationalen Geldgebern als Bittsteller auftreten musste. Zudem sorgten ein Staatsbankrott und ein halber dafür, dass gerade der einst breit aufgestellte Mittelstand quasi sein ganzes Einkommen verlor. Ständig wuchs die Zahl der Argentinier, die direkt von staatlichen Unterstützungen leben, an. Zuletzt, unter dem Ehepaar Kirchner, waren es sage und schreibe 40 Prozent.

Herzkammer des Populismus

Die von den Peronisten immer wieder beschimpfte Oberschicht konnte ihr Geld indes in sichere Häfen wie ausländische Devisen, Wertpapiere und Immobilien retten. Die Nomenklatura der peronistischen Partei sowie mit ihr verbündete Gewerkschaftsfunktionäre und Manager von Staatsunternehmen raffte sich sogar einen geradezu frivolen Reichtum zusammen. Die bislang letzten peronistischen Machthaber von Buenos Aires, das Ehepaar Nestor und Cristina Kirchner, trieben es besonders bunt. Während die beiden in anti-kapitalistischer Rhetorik kaum zum übertreffen waren, ließen sie selbst finanziell nichts anbrennen. Einem Bericht der angesehen „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zufolge konnte das Präsidentenpaar sein Vermögen allein zwischen 2003 und 2007 fast verdreifachen. In ihrer südargentinischen Heimatprovinz Santa Cruz lief nichts ohne den „Pinguin“, wie Nestor genannt wurde, und seine Gattin.

Insbesondere der irrlichternde Regierungsstil von Cristina Kirchner, die 2007 ihrem inzwischen verstorbenen Gatten auf den Präsidentenstuhl folgte, dürfte selbst hartgesottene Anhänger der de-facto Staatspartei verstört haben. Auch Wohlmeinende kamen nicht umhin, ihre Wirtschaftspolitik unausgegoren oder gar als „Voodoo“ zu bezeichnen.

Und so gewann bei den Präsidentschaftswahlen im November 2015 ein Mann, der sozusagen der krassest mögliche Gegenentwurf zu einem populistischen Politiker ist, der liberale Bürgermeister von Buenos Aires, Mauricio Macri. Der verstoßene Sohn eines der reichsten Unternehmer des Landes hatte sich vor allem als Sanierer des populären Fußballklubs Boca Juniors, der Heimat von Diego Armando Maradona, einen Namen gemacht. Später erarbeite er sich den Ruf eines soliden Verwalters der Landeshauptstadt. Er schaffte es, dass in Buenos Aires die Müllabfuhr besser funktionierte, die Buse pünktlicher fuhren und mehr Straßen einen Anschluss an die Trinkwasserversorgung bekamen. Das ist wohl mehr als die meisten argentinischen Politiker je in ihrem Leben zu Stande gebracht haben. Und so wechselten selbst eingeschworene Anhänger der Kirchners das politische Lager.

Erfolg als Marktwirtschaftler

Seither ist die Welt auf den Kopf gestellt. Während populistische Heilsfiguren nun auch in den bislang erfolgreichen Industrienationen der Nordhalbkugel populär werden, verfolgt Macri kühl einen riskanten ökonomischen Masterplan. Hat er damit Erfolg, dann besteht die ernsthafte Chance, dass Argentinien wirklich „great again“ werden könnte. Scheitert er, dann könnte schon bei den nächsten Wahlen wieder ein peronistischer Präsident in den Regierungspalast „Casa Rosada“ einziehen, möglicherweise sogar die ungeliebte Amtsvorgängerin Kirchner. Von den liberalen Reformen dürfte nichts übrig bleiben, Klientelwirtschaft und Schuldenmachen würden erneut Urständ feiern.

Im Kern ist Macris Politik ein Wettlauf gegen die Zeit. Die Kirchners hatten versucht, die nicht mehr wettbewerbsfähige argentinische Wirtschaft mit Hilfe von Zöllen und Handelsbeschränkungen vor dem internationalen Wettbewerb abzuschirmen. Da dies die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft nur weiter schwächte und zudem die nationale Währung unter Druck geriet, wurde auch der argentinische Peso mit Handelsbeschränkungen künstlich auf hohem Wert gehalten. Jedoch musste sich Argentinien jetzt auch noch die Illusion von der stabilen Valuta teuer erkaufen. Und da ein Krug nur so lange zum Brunnen gehen kann, bis er bricht, fiel es der Regierung Kirchner zunehmend schwerer, an internationale Kredite zu kommen. Die brauchten die Peronisten aber, um das chronische Loch in der Staatskasse zu füllen und ihre Parteigänger mit sozialen Wohltaten bei Laune zu halten. Hilfe suchten die Kirchners unter anderem beim Gesinnungsgenossen Hugo Chavez in Venezuela. Solange der Caudillo aus Caracas über Einnahmen aus seinen Erdölgeschäften verfügte, gab er dem Präsidentenpaar ein paar Brosamen davon ab, nicht ohne dafür Einfluss in Argentinien einzufordern. Dann starb Chavez, und unter dessem glücklosen Nachfolger Nicolas Maduro wurde Venezuela selbst zum Krisenfall, zu einem schlimmeren als Argentinien sogar. Der eine Populist konnte nicht länger die anderen stützen.

Peronismus hat das Land ruiniert

Macri dagegen setzte von Anfang auf eine Schocktherapie. Er gab den Wechselkurs des Peso wieder frei und hob nach und nach Handelsbeschränkungen auf. Es gelang ihm sogar, einen Kompromiss mit den internationalen Geldgebern zu erzielen, die Cristina Kirchner noch als „fondos buitres“ („Geierfonds“) verdammt hatte und denen sie die Rückzahlung des einst geliehen Geldes verweigerte. Inzwischen gilt Argentinien wieder als kreditfähig, und dank des nun wieder billigen Peso sind argentinische Produkte auf den internationalen Märkten wieder preiswert. In der Folge hat das Interesse der Investoren am Pampa-Staat enorm zugenommen, und die Wirtschaft wächst seit dem Amtsantritt des liberalen Präsidenten wieder. Viele Wähler zahlen aber bislang einen hohen Preis dafür. Mit der Freigabe des Peso wurden die Importe deutlich teurer, das heißt, Produkte aus dem Ausland kosten in Argentinien jetzt einiges mehr. Dagegen haben die Einkommen der Argentinier real an Wert verloren, weil sich der Umtauschkurs zu Dollar oder Euro verschlechtert hat. Was für die Export orientierte Wirtschaft ein Segen ist, wirkt für viele Privathaushalte zunächst wie ein Fluch.

Hinzu kommt, dass Macris Regierung teure Subventionen für Energie strich, die noch in der Ära Kircher beschlossen wurden. Was ökonomisch notwendig war, ist andererseits ein zusätzlicher Schlag für die privaten Haushalte. Selbst Experten, die es mit dem Präsidenten gut meinen, befürchten deswegen einen dauerhaften Einbruch seiner Popularitätswerte. Ihnen wäre es lieber gewesen, wenn der Staatschef Handelshemmnisse und Subventionen eher schrittweise und in homöopathischen Dosen abgebaut hätte. Der indes setzt auf das Momentum und darauf, dass das neue Argentinien einen Vertrauensbonus bei den Investoren einfahren kann. Und darauf, dass es schnell zu einem Wirtschaftsboom kommt, in dessen Folge auch die Einkommen steigen würden. Dazu braucht Macri allerdings freie Märkte und einen weitgehend ungebremsten Welthandel. Allerdings wurden nach den Wahlen in den USA gerade die Globalisierung und der Freihandel in Frage gestellt. Und dieses Jahr wird in den wichtigsten Staaten der Europäischen Union, in Frankreich und in Deutschland, gewählt. Und auch hier könnten die Gegner von wirtschaftlicher Freiheit an Einfluss gewinnen.

Tanz auf dem Hochseil

Aller widrigen Umstände zum Trotz darf man Macri nicht abschreiben. Mehrfach hat der Selfmade-Mann bewiesen, dass er sich gegen widrige Umstände durchsetzen kann. Allein, dass er seinem Land den steinigen Weg der harten Sanierung verordnet, wo er doch mit Großsprecherei und in Watte verpackten Reförmchen leichter punkten könnte, zeigt, wieviel Biss er hat. Ob im Fußballbusiness oder in der Kommunalpolitik von Buenos Aires: Stets wurde Macri unterschätzt, bevor ihm am Ende selbst anfängliche Gegner Respekt für seine Leistungen zollen mussten. Und wer hätte je darauf zu wetten gewagt, dass ausgerechnet im peronistischen Argentinien ein dezidiert wirtschaftsliberaler Ex-Manager zum Staatspräsident gewählt werden würde? Am wenigsten wohl Macris eigener Vater, der Mauricio angeblich nie etwas zu getraut hat und dessen schlechte Behandlung, so wird behauptet, immer besonderer Ansporn für den Politiker gewesen sein soll.

Es bleibt zu hoffen, dass dieser Ehrgeiz dem argentinischen Präsident bei seinem Tanz auf dem Hochseil hilft. Nach dem Niedergang des Linkspopulismus à la Chavez und Kirchner braucht Südamerika ein neues Leitbild. Und niemand außer Macri scheint derzeit in der Lage, dieses liefern zu können. Die ökonomisch erfolgreichsten Volkswirtschaften Chile und Brasilien werden gerade durch eine Serie politischer Skandale durchgeschüttelt, Stichwort: Odebrecht. Ihre jeweiligen Staatschefs, Michelle Bachelet und Michel Temer, sind in der Bevölkerung denkbar unbeliebt. Kolumbien wird zwar für seinen Friedensschluss im Bürgerkrieg gefeiert und seine ökonomische Entwicklung ist seit etwa 20 Jahren eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte, aber der Präsident, Nobelpreisträger Juan Manuel dos Santos, ist im Grunde ein Scheinriese. Unter seiner Regierung ist ein gewisser Stagnationsprozess eingetreten, zudem setzt ihn sein immer noch populärer Amtsvorgänger Alvaro Uribe unter Druck. In Bolivien kämpft der umtriebige linke Präsident Evo Morales gegen Umweltaktivisten und die Opposition aus den Flachlandprovinzen.

Klares liberales Weltbild

Macri dagegen hat ein klares liberales Weltbild, er setzt auf Marktwirtschaft, Wohlstand durch nahhaltiges Wachstum und praktische Verbesserungen im Alltag der Menschen. Das ist genau das, was den lateinamerikanischen Staaten seit Jahrzehnten fehlt – und was seine Ursache nicht zuletzt im immer wiederkehrenden Auftauchen populistischer Scharlatane hatte. Außerdem würde es weit über Lateinamerika hinaus ausstrahlen, wenn ein Anhänger von Freihandel und Marktwirtschaft ausgerechnet in der einstigen Herzkammer des Populismus ein liberales Erfolgsmodell starten könnte.

Der jahrzehntelang andauernde schleichende Niedergang Argentiniens unter Peron und seinen Epigonen indes sollte aktuell Europa eine Warnung sein. Mit einer peronistischen Mixtur – wirtschaftliche Abschottung, kostspielige Wohltaten, übertriebene Staatsgläubigkeit und maßlose Schuldenmacherei – kann man auch die hiesigen Volkswirtschaften zu Grunde richten.

Lehrstück für Europa

Sollte Macri der Welt dagegen beweisen, dass man auch im postfaktischen Zeitalter mit Freihandel und Marktwirtschaft erfolgreich sein kann, dann dürfte sogar sein Vater stolz auf ihn sein.

 

Andreas Kern

Der Diplom-Volkswirt und Journalist arbeitet seit mehreren Jahren in verschiedenen Funktionen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Kern war unter anderem persönlicher Referent eines Ministers, Büroleiter des Präsidenten des Landtages von Sachsen-Anhalt sowie stellvertretender Pressesprecher des Landtages. Er hat nach einer journalistischen Ausbildung bei einer Tageszeitung im Rhein-Main-Gebiet als Wirtschaftsredakteur gearbeitet . Aufgrund familiärer Beziehungen hat er Politik und Gesellschaft Lateinamerikas besonders im Blick. Kern reist gerne auf eigene Faust durch Südamerika, Großbritannien und Südosteuropa.

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