Videoüberwachungsverbesserungs…

Gestern, am 27.1.2017, beriet der Bundestag den Entwurf eines Gesetzes der Bundesregierung zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes – Erhöhung der Sicherheit in öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen und im öffentlichen Personenverkehr durch optisch-elektronische Einrichtungen (Videoüberwachungsverbesserungsgesetz).

Es wäre gut, wenn dieser Gesetzentwurf ein Entwurf bliebe. Nicht nur die „Abkürzung“ Videoüberwachungsverbesserungsgesetz tut weh, der Inhalt tut es noch mehr.


Was möchte der Innenminister mit diesem Gesetz? Natürlich wie immer, wenn er Überwachungsmaßnahmen wünscht, die Sicherheit der Bürger verbessern. Und wie macht man das traditionell als Innenminister? Richtig, indem man den Datenschutz abbaut.

Das hinterhältige an diesen Entwürfen ist, dass sie so harmlos daher kommen.

Änderung des § 6b Absatz 1 und 3 Bundesdatenschutzgesetz mit dem Ziel bei einem Einsatz von Videoüberwachungsmaßnahmen in Einrichtungen und Fahrzeugen des öffentlichen Schienen-, Schiffs- und Busverkehrs und öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen, wie Sport- und Vergnügungsstätten, Einkaufszentren und Parkplätzen, ausdrücklich festzuschreiben, dass der Schutz von Leben, Gesundheit oder Freiheit von dort aufhältigen Personen als besonders wichtiges Interesse gilt. Diese gesetzliche Wertung ist bei der weiterhin nach § 6b Absatz 1 Bundesdatenschutzgesetz durchzuführenden Abwägungsentscheidung über den Einsatz von Videoüberwachungsmaßnahmen durch die Betreiber von solchen Einrichtungen und bei den Überprüfungsentscheidungen der Datenschutzaufsichtsbehörden zu berücksichtigen. Mit dieser gesetzlichen Wertung soll zur Erhöhung des Sicherheitsniveaus in Deutschland insgesamt beigetragen werden.

Falls Sie nicht auf Anhieb verstanden haben, was das bedeuten soll, grämen Sie sich nicht. Ich musste es auch mehrfach lesen, um die Konsequenzen zu verstehen.

Private Kameras für den Staat?

Es geht um die Ausweitung der Videoüberwachung unter anderem in Einkaufszentren, Sportstätten und Diskotheken durch eine Einschränkung der bisher im Vorwege erforderlichen Datenschutzprüfung. Bisher war es so, dass für die Genehmigung solcher Videoüberwachungssysteme eine Abwägung zwischen den Motiven der Kamerabetreiber und den Interessen und Persönlichkeitsrechten der Überwachten im Rahmen einer Überprüfungsentscheidung der Datenschutzbehörden zu treffen war. Im Gesetz ist das noch wie folgt geregelt:

§ 6b Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen

(1) Die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) ist nur zulässig, soweit sie

1.

zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen,
2.
zur Wahrnehmung des Hausrechts oder
3.
zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke

erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen.

(2) Der Umstand der Beobachtung und die verantwortliche Stelle sind durch geeignete Maßnahmen erkennbar zu machen.

(3) Die Verarbeitung oder Nutzung von nach Absatz 1 erhobenen Daten ist zulässig, wenn sie zum Erreichen des verfolgten Zwecks erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen. Für einen anderen Zweck dürfen sie nur verarbeitet oder genutzt werden, soweit dies zur Abwehr von Gefahren für die staatliche und öffentliche Sicherheit sowie zur Verfolgung von Straftaten erforderlich ist.

(4) Werden durch Videoüberwachung erhobene Daten einer bestimmten Person zugeordnet, ist diese über eine Verarbeitung oder Nutzung entsprechend den §§ 19a und 33 zu benachrichtigen.

(5) Die Daten sind unverzüglich zu löschen, wenn sie zur Erreichung des Zwecks nicht mehr erforderlich sind oder schutzwürdige Interessen der Betroffenen einer weiteren Speicherung entgegenstehen.

Diese Vorschrift soll nun so geändert werden:

1. Dem Absatz 1 wird folgender Satz 2 angefügt:

„Bei der Videoüberwachung von

1. öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen, wie insbesondere Sport-, Versammlungs- und Vergnügungsstätten, Einkaufszentren oder Parkplätzen, oder

2. Fahrzeugen und öffentlich zugänglichen großflächigen Einrichtungen des öffentlichen Schienen-, Schiffs- und Busverkehrs,

gilt der Schutz von Leben, Gesundheit oder Freiheit von dort aufhältigen Personen als ein besonders wichtiges Interesse.“

2. Nach Absatz 3 Satz 1 wird folgender Satz eingefügt:

„Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend.

Klingt harmlos, nicht wahr? Der Schutz von Leben, Gesundheit oder Freiheit von dort aufhältigen Personen ist doch auch ein besonders wichtiges Interesse. Ich sage mal, nicht nur der Schutz der dort aufhältigen Personen, sondern aller Personen. Aber was soll das mit den Videokameras zu tun haben?

Informationelle Selbstbestimmung

Um ein Grundrecht – und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist ein Grundrecht, das auf Art. 1 GG gründet – einzuschränken, muss der Gesetzgeber gute Gründe haben. Das Gesetz muss vor allem für den angestrebten Zweck geeignet und dann auch noch verhältnismäßig sein.

An beiden Voraussetzungen darf man hier zweifeln.

Es mag sein, dass die Videoüberwachung dazu führt, dass Kleinkriminelle wie Taschen-, Ladendiebe oder Haschischhändler ihren Geschäftsbetrieb in unüberwachte Zonen verlegen. Dass ein Terrorist – und um die soll es ja gehen – sich von einer Videokamera abschrecken lässt, ist allerdings mehr als unwahrscheinlich. Es ist eher so, dass diese Täter Orte mit Videoüberwachungen bevorzugen, weil ihre aus ihrer Sicht ruhmreiche Tat dann auch der Nachwelt erhalten bleibt.

Bedingt tauglich

Zur Gefahrenabwehr taugt so eine Videoüberwachung nur sehr bedingt. Natürlich könnte man die Überwachungskameras mit Gesichtserkennungssoftware ausrüsten und alle bekannten Gefährder oder andere Personen nach denen gefahndet wird, dort entdecken lassen. Das wäre allerdings nur dann für die konkrete Gefahrenabwehr hilfreich, wenn in Sekundenschnelle ein realer Beobachtungstrupp zur Verfügung stünde, der auch eingreifen könnte. Das scheitert allerdings bereits bei den vorhandenen Videoüberwachungen im öffentlichen Raum an zu wenig Personal. Warum sollte das anders sein, wenn nun auch noch private Unternehmen die Behörden mit Bildern versorgen?

Es mag sein, dass diese Videokameras auf manche Menschen eine beruhigende Wirkung ausüben. In der Wirksamkeit liegen solche Maßnahmen ungefähr in dem Bereich, in dem die Gabe von homöopathischen Kügelchen vor den Gefahren eines Supergaus im 20 Kilometer entfernten Kernkraftwerk schützt. Die bloße Erhöhung des Sicherheitsgefühls ist aber kein ausreichender Grund dafür immer mehr Kameras anzubringen.

Systemwidrig

Es ist ohnehin eine systematisch seltsame Idee, eine zusätzliche Eingriffsbefugnis des Staates von hinten durch die Brust ausgerechnet im Datenschutzgesetz zu regeln. Gegenüber der bisherigen Regelung ist das systemwidrig.

Ebenso merkwürdig mutet der Gedanke an, dass private Stellen, also z.B. Diskothekenbetreiber, zur vermeintlichen Verbesserung der öffentlichen Sicherheit, zur Gefahrenabwehr oder zur Erleichterung der Strafverfolgung herangezogen werden sollen. Der Deutsche Richterbund hat in seiner Stellungnahme klare Worte gefunden:

Diese Kernaufgaben des Staates dürfen nicht auf private Stellen verlagert werden. Hier wären andere Maßnahmen, wie z. B. eine höhere Polizeipräsenz an Kriminalitätsschwerpunkten, vorzugswürdig.

Wenn schon erhebliche Zweifel an der möglichen Wirksamkeit der Ausweitung der Videoüberwachung bestehen, dann könnte auf eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit eigentlich schon entfallen.

Massenhaft und anlasslos

Völlig zwangsläufig werden bei solchen Videoüberwachungen massenhaft und völlig anlasslos Personen erfasst, die keiner Fliege etwas zuleide tun. Würde das nur live und mit echten Menschen als Beobachtern geschehen – was unrealistisch ist – geschehen, dann wäre das vielleicht erträglich. In dem Moment, wo die Aufnahmen gespeichert werden, ist aber eine Grenze überschritten, für deren Überschreitung keine rechtfertigende Begründung geliefert wurde.

Was soll denn passieren, wenn die Kameras eine verdächtige Person erkennen? Befiehlt dann Captn De Maizière „Phaser auf Betäubung“? Wird der Verdächtige durch einen Lichtblitz kampfunfähig gemacht? Nö, nichts von alledem kann passieren. Vielleicht wird die nächste Polizeidienststelle, wie bei einer Alarmanlage informiert. Aber bis die dann vor Ort ist, ist ein Terroranschlag längst vorbei.

Wie soll das praktisch gehen mit privaten Kameras? Soll die Polizei direkten Zugriff darauf bekommen? Wenn aus Sicherheitsgründen mehr zu sehen sein sollte, als der Private überhaupt will, kann er dann dazu verpflichtet werden, auch wenn das Besucher abschreckt und ihm damit wirtschaftlich schadet? Darf er selber die Daten verwenden? Möchten Sie das?

Gute Zwecke, schlechte Zwecke

Wo immer es Daten gibt, die zu „guten“ Zwecken erhoben werden, wird sich jemand finden, der sie zu schlechten Zwecken missbrauchen möchte. Das mag ein Privater sein oder auch einmal der Staat. Es ist ja nicht so, dass der Staat ein abstraktes, reines Gebilde wäre, das über jeden Zweifel erhaben wäre. Auch da sitzen Menschen, die möglicherweise Böses im Schilde führen oder die aus Not heraus bereit sind, empfindliche Daten weiterzugeben.

Der Bundestag sollte diese Änderung des Datenschutzgesetzes nicht einfach so durchwinken, weil er meint, die Mehrheit der Bevölkerung wolle mehr Videoüberwachung. Es mag durchaus sein, dass diese Mehrheit einfach daran glaubt, dass diese Maßnahmen mehr Sicherheit bringen. Das werden sie nicht tun. Das einzige, das sie mit Sicherheit tun werden, ist den Überwachungsstaat einen Schritt voranzubringen. Das wird dann erst richtig spannend, wenn der den falschen Leuten in die Hände fällt. Und so etwas ist schnell passiert. Wer mitbekommen hat, dass es auch bei der Polizei Reichsbürger und Anhänger des Ku-Kux-Klan gibt, versteht was ich meine. Meine Daten sollen diese Leute niemals bekommen können. Ihre vielleicht?

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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