Luthers Thesen – Der Heilige Geist

Der Heilige Geist erweist uns eine Wohltat durch den Papst. Aber wer ist dieser Heilige Geist?


Wer stirbt oder in großer Not ist, kann keine Schuld auf sich laden, meint Luther in seiner neunten These, diese lautet:

Daher erweist uns der Heilige Geist eine Wohltat durch den Papst, indem dieser in seinen Dekreten Tod- und Notsituationen immer ausnimmt.

Bevor wir zum Kern dieser These kommen, welcher auch noch die folgenden Thesen bestimmen wird und der in der vorigen These ja auch schon angeklungen ist, noch kurz ein Wort zum Heiligen Geist. Wir hatten schon an verschiedenen Stellen dieser Reihe das Göttliche oder Gott mit dem Sinnzusammenhang unseres ganzen Lebens in dieser Welt, dem Guten, dem Schönen und dem Wahren, das unser Leben als Menschen ausmacht und das über uns einzelne Menschen weit hinausweist identifiziert. Der Heilige Geist ist in dieser Deutung natürlich unsere Fähigkeit, das Gute, Wahre und Schöne zu erkennen und unser Leben an diesem Sinnzusammenhang zu orientieren.

In der Tat ist es ja faszinierend, dass wir nicht nur vernünftig und bewusst unser Leben gestalten können, dass wir nicht nur rational effizient richtige Entscheidungen treffen können, Situationen angemessen analysieren, passende Schlussfolgerungen ableiten und entsprechend richtig handeln, um unsere Ziele zu erreichen. Wir haben darüber hinaus die Fähigkeit, gutes Handeln von bösem Handeln zu unterscheiden. Wir können intuitiv das Schöne erfassen und erleben, und wir können erkennen, was wahrhaft wichtig im Leben ist. Wir können zumindest ahnen, dass es etwas wahrhaft Wichtiges gibt, und wenn wir es finden und entsprechend zu leben schaffen, wissen wir, dass wir eine Wahrheit erleben, die mit den Wahrheiten der Wissenschaften nichts zu tun hat.

Das Wahre, das Schöne und das Gute sind uns durch intuitive Reflexion und durch das Gewissen, man kann auch sagen, durch unsere menschliche Seele zugänglich. Durch sie haben wir Anteil am Heiligen Geist. Ausgebildet wird diese Seele vielleicht durch einen Prozess, in dem wir menschliche Gesellschaft und das Gute, Wahre und Schöne, das in dieser Gesellschaft stattfindet, erleben. In diesem Stattfinden, kann man sagen, ist der Heilige Geist anwesend.

Auch wenn es damit so scheint, dass der Heilige Geist in jeder Gesellschaft ein anderer sein könnte, sagt uns unsere Intuition und auch unsere Erfahrung, dass das nicht so ist. Denn auch wenn jemand aus einer fremden Kultur zu uns kommt, die ihn, vielleicht auch durch Krieg, durch das Erleben des Todes und des Sterbens, durch Not und Gewalt ganz anders geprägt hat als wir geprägt sind, glauben wir, dass tief in seinem Innern sozusagen eine Seele schlummert, die das Gute, das Schöne und das Wahre erkennen kann, und die geweckt werden kann. Und wir stehen auch immer wieder verwundert vor der Tatsache, dass das Urteil über das wahrhaft Schöne und Gute in vielen Kulturen, gerade wenn sie eine lange Tradition haben, ähnlich ausgebildet ist wie bei uns.

Aber wir sind nicht immer fähig, das Schöne, Gute und Wahre unmittelbar zu erkennen. Die Seele ist im Alltag oft im Halbschlaf, oder sie ist durch die Alltagsgeräusche nicht hörbar. Deshalb brauchen wir Rituale, bestimmte Situationen und Orte und andere Menschen, die die Fähigkeit haben, uns unsere eigene Seele erleben zu lassen.

Luther hatte zu seiner Zeit den Anspruch, dass die Kirche dieser Ort sei, dass sie diese Situationen schaffen würde, und dass der Papst, die Bischöfe und Priester diejenigen seien, die uns helfen, unsere Seele zum Sprechen zu bringen und das Göttliche sehen zu können. Ganz fremd ist uns dieser Gedanke bis heute nicht geworden, aber wir müssten, um Luthers Gedanken in der heutigen Zeit mit Sinn zu versehen, die Kirche und ihr Personal wohl weiter fassen. Auf jeden Fall hilft es auch uns, wenn wir uns an bestimmte Personen wenden und bestimmte Situationen suchen, in denen wir das Göttliche erleben können.

Zu der Frage, was das Besondere der Tod- und Notsituationen ist, wenn es um die Schuld geht, sind wir noch immer nicht gelangt. Aber die Frage prägt auch noch die folgenden Thesen.

Jörg Phil Friedrich

Der Philosoph und IT-Unternehmer Jörg Phil Friedrich schreibt und spricht über die Möglichkeiten und Grenzen des digitalen Denkens. Friedrich ist Diplom-Meteorologe und Master of Arts in Philosophie.

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