Männer als Opfer häuslicher Gewalt. Ein Erfahrungsbericht

Als Opfer häuslicher Gewalt bloggt René Pickhardt zu einem noch immer tabuisierten Thema. Hier gibt er einen Überblick über seine Erfahrungen:


Gewalt gegen Männer existiert

Eine Pilotstudie im Auftrag des Bundesministeriums für Soziales zeigt auf, dass Gewalt gegen Männer existiert. Ich verstehe die Studie so, dass die Konsequenzen der Gewalt für Männer zum Teil noch drastischer sind als für Frauen, da in der Gesellschaft ein Mann als „Weichei“ gesehen wird, wenn er (häusliche) Gewalt erfahren musste. Die Studie beschreibt ein starkes Stigma, das mit Gewalt gegen Männer verbunden ist, weswegen es wohl schwierig war überhaupt die nötigen Daten zu erheben. Sucht man im World Wide Web nach Gewalt gegen Männer findet man vereinzelt Männer, die in Foren von Gewalterfahrungen gegen sich oder Freunde berichten, z.b. ausgehend von ihrer Partnerin. Manche Reaktionen auf männliche Opfer, auf die ich bei der Recherche stieß, empfinde ich als aggressiv bis vorwurfsvoll, z.B.:

aber was ich noch viel schlimmer finde, ist, dass du mit deinen 22 Jahren nicht Manns genug bist und dir das von ihr tagtäglich gefallen lässt!!!!! :schuettel:

Beschwer dich bitte nicht weiter. Du bist letztlich selbst schuld.

Wenn Frauen in dem selben Forum berichten, dass sie Gewalt erfahren haben, bekunden die Antworten tendenziell häufiger Mitleid und Mitgefühl:

Tut mir echt leid für dich, das du dich in den falschen verliebt hast. Das konntest du nicht wissen!!! Mach nicht den Fehler und bleib wegen ein paar schöner erinnerungen bei ihm. Er hat gezeigt, das er dich nicht respektiert und ehrt.

Ich möchte hier auch nach Alter differenzieren: Bei Gewalt gegen Kinder scheint das Stigma deutlich geringer zu sein, als bei Gewalt gegen erwachsene Männer.

Gewalt hat immer verheerende Wirkung

Ich habe am eigenen Leib erfahren, welche massiven Probleme unsere Gesellschaft hat mit männlichen Opfern umzugehen. Oft habe ich mich in diesem Kontext aufgrund meiner Männlichkeit diskriminiert gefühlt. Wegen dieser starken Diskriminierung, die auch meine engsten Freunde in Teilen miterlebt haben, halte ich es für nötig im Speziellen auf die Dynamik bei Gewalt gegen erwachsene Männer einzugehen. Das Ziel meiner Ausführungen ist nicht, Gewalt gegen andere Gruppen damit zu bagatellisieren. Vielmehr geht es mir darum anderen männlichen Opfern ein Forum und Sprachrohr zu bieten. Ich möchte hiermit nicht sagen, dass Männer stärkere Gewalt oder häufiger Gewalt erleben als Frauen oder Kinder. Was ich aber ganz deutlich sagen möchte, ist, dass es für männliche Opfer sicherlich hilfreich wäre, wenn die Türen der meisten Hilfsangebote nicht ausschliesslich für Frauen und Kinder geöffnet wären. Die Tatsache, dass Männer von vielen Hilfsangeboten ausgeschlossen werden, habe ich als eine zusätzliche starke Belastung empfunden. Ich denke, diese Form von struktureller Gewalt könnte männlichen Gewaltopfern recht einfach genommen werden. Einen Schlüssel zum Erfolg könnten wir in unserer Gesellschaft haben, wenn wir besser mit Sexismus umgingen. Die Problematik hat der Weisse Ring im März 2016 beim 25. Opferforum erkannt und öffentlich flächenddeckende Hilfsangebote für männliche Opfer von Gewalt gefordert.

Warum Sexismus auch Männer etwas angehen sollte

Dass Sexismus existiert, setze ich an dieser Stelle mal als Fakt voraus. Menschen (meist Frauen) werden aufgrund ihres Geschlechtes heutzutage leider immer noch diskriminiert. Auch wenn es noch Baustellen gibt, hat die Frauenbewegung meiner Meinung nach einen exzellenten Job gemacht und den Stand der Frauen in unserer Gesellschaft verbessert. Ich erlebe häufig, dass Männer den Feminismus dahingehend wenig wertschätzen. Sollten sie aber, gerade weil Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes auch Männer betrifft.

Der Scham der Opfer

Ich erwähnte bereits, dass ich mich als Opfer von Gewalt häufig stark aufgrund meines Geschlechtes diskriminiert gefühlt habe.

Es ist mir nicht leicht gefallen, vor mir und vor meinen Freunden, Kollegen oder meiner Familie einzugestehen, dass ich Gewalt in meiner Beziehung erfahren habe. Es ist im Allgemeinen etwas wofür Menschen (Männer wie Frauen) sich schämen und ich habe mich genauso geschämt. Ich trennte mich wegen anhaltender körperlicher Übergriffe und psychischer Gewalt von meiner Freundin. Nach der Trennung spürte ich, dass ich immer noch unter der Gewalt litt und begann in meinem Umfeld darüber zu sprechen.

In etwa der Hälfte der Fälle wurde mir mit Ungläubigkeit und Sprüchen begegnet wie: „Das kann doch nicht sein. Du bist doch ein Mann und viel stärker!“ Selbst meine Tränen der Verzweiflung wurden – wenn es in solchen Momenten dazu kam – nicht Ernst genommen. Stell dich nicht so an, riet man mir. Auf meine Idee, die Täterin anzuzeigen, wurde oft sogar aggressiv reagiert: „Rene das ist total feige, nur weil du damals deinen Mann nicht stehen konntest, da jetzt so nachzutreten.“ Nicht selten wurde sogar Druck ausgeübt: „Stell dir mal vor sie kommt wegen deiner Anschuldigungen und Feigheit ins Gefängnis. Damit würdest du ihr Leben zerstören.“

Ich kann von mir sagen, dass diese Form der strukturellen Gewalt, die ich in meiner damaligen Bewertung als „Männer sind keine Opfer“ abgespeichert habe, noch zusätzlich stark an meinem Selbstwert genagt hat. Schließlich habe ich mich als Opfer wahrgenommen und wenn Männer keine Opfer sind, musste ich konsequenter Weise mindestens an meiner Männlichkeit zweifeln. In dem Sinne war der oben verlinkte Forenbeitrag für mich in der damaligen Phase wie ein Faustschlag mitten ins Gesicht und alles andere als hilfreich. Diese Resonanz aus der Gesellschaft war sicherlich mit Ausschlag gebend dafür, dass ich schließlich in eine so starke Schockstarre verfallen bin, dass ich professionelle psychologische Hilfe gesucht habe.

Nur weibliche Opfer? Ablehnenung nicht nur im privaten Umfeld

Am krassesten ist mir der Verein Contra häusliche Gewalt in Erinnerung geblieben. Dieser Verein bot damals eine Gruppe an, in der Opfer häuslicher Gewalt Unterstützung finden können, um besser mit ihren Erfahrungen umzugehen. Auf meine Anfrage, ob ich an diesem Angebot teilnehmen könnte (Schließlich sei meine Täterin ja in selbigem Verein in der Täter-Arbeitseinrichtung), wurde ich vertröstet, dass dieses Angebot sich ausschließlich auf weibliche Opfer beschränke, da nur hierfür die finanziellen Mittel bereit gestellt seien. Zwar wurde mir noch eine Adresse von der Lebenshilfe der Caritas vermittelt, aber auch dort stieß ich auf eine ähnliche Argumentation. Unabhängig davon, dass ich es sehr begrüßte, dass meine Täterin an einem präventiven Angebot für Täter teilnahm fand ich besonders absurd, dass sie als Frau bei der Täter-Arbeitseinrichtung teilnehmen durfte, ich als Mann nicht bei den Opfern. Somit wurde sowohl weiblichen Opfern als auch Tätern geholfen, während männliche Opfer erst mal auf der Strecke blieben.

Bei meinen Überlegungen, meine Täterin anzuzeigen, war ich mehrfach auf der Website der Polizei, die gerade für Opfer häuslicher Gewalt zu vielen Hilfsangeboten verlinkt. Auch in diesem Fall wurde stets von weiblichen Opfern gesprochen. Zum Teil führten die Links auf den mir schon bekannten Verein Contra häusliche Gewalt. Ich fühlte mich im wahrsten Sinne des Wortes hilflos und alleine gelassen.

Die Eskalation und mein Weg in die Psychiatrie

Als es dann schließlich 3 Monate nach der Trennung zu einem sexuellen Übergriff auf mich kam und ich in eine Schockstarre verfiel, in der es mir die Sprache verschlug, wendete ich mich an meinen Freund Heinrich. Ich konnte ihn weder ansehen, noch reden. Weinend schrieb ich auf einen Zettel (s.u.) was mir passiert ist bzw. antwortete auf dem Zettel auf die Nachfragen.

Er rief einen Rettungswagen. Ich erinnere mich als wäre es gestern, dass die Sanitäter in die Wohnung kamen, mich sahen und direkt sagten: „Ganz klar, nehmen wir mit!“ Darauf folgte eine ca. 45 minütige Odyssee im Rettungswagen. Die Notärztin, die meine Situation sehr ernst nahm fand kein Krankenhaus, das mich behandeln wollte. Sie sagte zu Heinrich: „Wissen Sie, wir haben für männliche Opfer von sexuellen Übergriffen keinen Prozess in Deutschland.“ Normalerweise würde man in einem solchen Fall zunächst zum Gynäkologen gehen, aber das sei in diesem Fall nicht angesagt. Ich unterstrich den Satz auf der Rückseite meines Zettels der besagte „Männern wird bei Gewalt nicht geholfen.“ Darauf sagte Heinrich nur resigniert zur Notärztin: „Da hat mein Kollege wohl Recht.“

Nach einem weiteren Tamtam wurde uns angeboten mich ins Bundeswehrzentralkrankenhaus zu bringen. Dort würde man mir aber auch nur eine Beruhigungstablette geben und mich entlassen. Mir wurde nahe gelegt, dass ich unterschreiben sollte, dass ich auf eigene Verantwortung den Rettungswagen von seiner Hilfspflicht (oder was auch immer das war) befreie. Heinrich bestand darauf, dass ich innerhalb von 24 Stunden einen Psychologen oder Psychiater zu sehen bekomme, der die Situation beurteilen könnte. Er betonte mehrfach, dass er mich schon lange kennt und mein Verhalten komplett atypisch sei. Die Ärztin telefonierte erneut und sicherte Heinrich zu, dass wir am nächsten Morgen einen Termin in der Psychiatrie hätten. Ohne seinen Einsatz wäre ich am nächsten Morgen niemals in der Psychiatrie aufgenommen worden, was doch so bitter nötig war.

Hilfe suchen, Probleme von Männern wahrnehmen!

Dieser Artikel hat mich mehrfach zum Weinen gebracht. Gerade der letzte Absatz war für mich äußerst anstrengend. Ich denke er macht deutlich wie dringend es ist, dass wir in Deutschland akzeptieren, dass es auch männliche Opfer von häuslicher Gewalt gibt. Ich möchte nicht wissen, wie vielen Opfern Hilfe verwehrt wurde, weil sie selbst zu schwach oder ohnmächtig waren diese einzufordern und keinen Freund hatten, der für sie gekämpft hat. Mir ist wichtig zu betonen, dass ich natürlich unter massivem Stress stand, als ich die oben angesprochenen Zettel geschrieben habe. Natürlich steckt in der Aussage „Männern wird nicht geholfen :(“ sehr viel Wertung, Verbitterung und Hilflosigkeit. Letztlich wurde mir ja in der Psychiatrie und im Anschluss an meinen stationären Aufenthalt bis zum heutigen Tage sehr gut geholfen und darüber bin ich äußerst dankbar.

An alle Männer, Frauen und Kinder da draußen, die vielleicht etwas ähnliches erleben oder erlebt haben: Solltet ihr euch in einer ähnlichen Situation befinden, tut euch einen Gefallen, geht zu eurem Hausarzt. Beschreibt ihm, was ihr erlebt habt und dass ihr dringend Hilfe benötigt. Wenn ihr nicht darüber reden könnt oder wollt, dann sagt, dass ihr Hilfe aufgrund von Gewalt benötigt und sagt, dass ihr Angst und Scham habt zum jetzigen Zeitpunkt über die Details zu sprechen. Fairerweise bin ich damals nicht auf die Idee gekommen einfach mal zum Arzt zu gehen, weil ich es überhaupt nicht für möglich gehalten habe, aufgrund der Gewalterfahrung psychisch erkrankt zu sein. Ansonsten meldet euch beim Männernotruf oder beim Weißen Ring.

Mehr zum Thema: http://gewalt.rene-pickhardt.de/

Rene Pickhardt

Rene wurde 1985 geboren und war von 2011 bis 2014 in einer Beziehung in der er häusliche Gewalt erlebt hat. Seit Ende 2015 schreibt er in seinem Blog über häusliche Gewalt mit einem Schwerpunkt auf männliche Opfer. Er führt einen englischen IT Blog und promoviert über natürliche Sprachverarbeitung. Mit seiner Freundin betreibt er in seiner Freizeit das Projekt #unverschuldet, dass durch youtube videos verschuldeten Menschen Hilfe und Motivation bieten soll. Gewalt: http://gewalt.rene-pickhardt.de IT: http://www.rene-pickhardt.de) #unverschuldet: http://www.unverschuldet.org auf youtube: http://www.youtube.com/unverschuldet

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