Geschenkt

Wenn man ein Buch, etwa einen Roman, verschenkt, was verschenkt man dann eigentlich? Einen Stapel zusammengeklebtes Papier? Oder eine Geschichte?


Neulich beklagte sich jemand darüber, dass eine Freundin, der er im Laufe der Jahre einige Bücher geschenkt hatte, diese nun aus Platzgründen wieder loswerden wollte. Sie hatte alle Bücher gelesen, aber nun waren sie im Weg. Gern hätte sie ihm die Bücher sogar zurückgegeben – das verstörte den Freund aber sehr.

Klar: Es gibt Bücher, bei denen geht es weniger um den Inhalt, als um das physische Objekt. Prachtausgaben, oder signierte Exemplare, mit Widmung vom Autor, gehören dazu. Aber nehmen wir einmal an, ich habe einer Freundin ein Buch geschenkt, weil ich vermutete, dass ihr die Geschichte gefällt, die darin erzählt wird. Vielleicht habe ich später mit ihr darüber gesprochen, sie hat mir mit leuchtenden Augen erzählt, wie viel Freude sie beim Lesen hatte. Damit ist das Geschenk doch bereits gelungen. Ich habe ihr sozusagen ein Erlebnis geschenkt, die Möglichkeit, das Buch zu lesen, die Geschichte zu verfolgen und sich daran zu erfreuen. Was auch immer aus dem Buch wird, die Geschichte wird sie behalten.

Andererseits könnte ich ihr das Buch dann auch gleich nur leihen. Ich komme zum Geburtstag und sage: „Ich hab hier ein Buch für dich, tolle Geschichte, lies das mal. Und bei Gelegenheit kannst du mir das Buch ja zurückgeben.“ Das wäre auch irgendwie merkwürdig.

Hat das damit zu tun, dass wir so sehr am physischen Besitz von Sachen hängen, dass wir uns über ein bloß ideelles Geschenk nicht freuen können? Das kann auch nicht das Problem sein, denn wenn man z.B. Eintrittskarten fürs Konzert verschenkt, ist das ja auch eine Freude. Immer öfter verschenkt man pure Erlebnisse: Ein gemeinsames Essen, Zutaten zum Kochen, Kinokarten. Alles nichts dauerhaftes, es bleibt nur die Erinnerung an den Genuss – wie nach dem Lesen eines Buches. Wo also ist das Problem?

Vielleicht ist es so: Das Buch ist ein doppeltes Geschenk: Zum einen ist da die Geschichte, das Leseerlebnis. Zum anderen ist da aber auch der Gegenstand als Symbol der Zuneigung. Wenn es im Regal steht, ist es auch Erinnerung an den Freund, der es geschenkt hat. Wenn ich bei der Freundin nach langer Zeit wieder mal zu Besuch bin und das Buch bei ihr im Schrank sehe, können wir über die „alten Zeiten“ reden, an die mich der Blick auf das Buch erinnert. Der Gegenstand ist sozusagen immer eine Verbindung zwischen uns, ein Symbol der Freundschaft.

Man stelle sich vor, zwei Freunde treffen sich nach langer Zeit wieder, und der eine zeigt dem anderen eine alte Kinokarte und sagt: Die hab ich von dir mal geschenkt bekommen, das fand ich so toll, ich mochte sie nicht wegwerfen – kann man sich einen besseren Freundschaftsbeweis vorstellen? Wohl kaum.

Lesen Sie auch die Kolumne von Jörg Friedrich über die deutsche Leitkultur.

Und wenn Sie Kinderbücher verschenken wollen, dann lesen Sie zuvor unbedingt diesen Text von Sören Heim.

Jörg Phil Friedrich

Der Philosoph und IT-Unternehmer Jörg Phil Friedrich schreibt und spricht über die Möglichkeiten und Grenzen des digitalen Denkens. Friedrich ist Diplom-Meteorologe und Master of Arts in Philosophie.

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