Es ändert sich. Nichts.

Wieder ein Massaker in einer amerikanischen Schule. Wieder Betroffenheit. Wieder Trauerreden. Und wieder keine Konsequenzen. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz


Foto:Bild von Dariusz Sankowski auf Pixabay

Die Rituale sind eingeübt. Ein Täter – ich muss das nicht gendern, weil mir kein wesentlicher Vorfall mit einer Frau als Täterin bekannt ist; ein Täter also – schnappt sich eine Waffe, marschiert in eine Grundschule, tötet 19 Kinder und zwei Lehrerinnen. Wird von der Polizei erschossen. Danach werden Kerzen aufgestellt, Kuscheltiere am Tatort niedergelegt. Menschen mit betroffenen Gesichtern halten betroffene Reden und die wirklich Betroffenen, also die Eltern und Geschwister der Toten, die anderen Schulkinder, werden mit Solidaritätsbekundungen überschüttet. Sie kennen das, thoughts & prayers & blablabla. Nächste Woche dann ein anderer Ort, ein anderer Täter, dasselbe Procedere. The show must go on.

Wir Europäer schauen mit Erstaunen und Abscheu auf diese seltsamen Amerikaner, die an ihrem zweiten Verfassungszusatz kleben, wie wir Deutschen am Grundrecht auf Freie Fahrt für freie Raser. Tote gehören in beiden Fällen dazu, sind eingepreist. Sind das die vielbeschworenen westlichen Werte, die wir verteidigen? Hoffentlich nicht.

Der Hersteller der Tatwaffe kommt nicht zur Waffenmesse, um für sein grandioses Produkt zu werben. Braucht er auch nicht, das hat der Mörder schon erledigt. 21 Tote in einer guten Stunde sind eine prima Referenz. Die NRA, der große amerikanische Waffenlobbyist, erklärt zum wiederholten Mal, dass es nicht die Waffe ist, die tötet, sondern der Täter und dass sich so etwas mit mehr Waffen verhindern ließe. Ja, wenn man die Grundschullehrerinnen alle mit Waffen ausgestattet hätte, dann hätten die den Täter erschießen können. Oder vielleicht auch die Kinder. Nee, is klar.

GrundschullehrerInnen an die Waffen

Mag ich mit gar nicht vorstellen. Eine meiner Töchter ist Grundschullehrerin. Die würde sich vermutlich auch vor ihre Klasse stellen, um sie zu schützen. Aber dass die mit einer automatischen Waffe auf einen Menschen schießen würde und das auch noch in einer Klasse voller Kinder, kann ich mir – ach was, das will ich mir gar nicht vorstellen.

Ich kann schießen. Das heißt, ich konnte es einmal. Aber ich glaube nicht, dass man das wirklich verlernt. Mit 15 Jahren ging ich in einen Sportschützenverein. Also nicht so eine Art von Verein, wo es Schützenfeste und Besäufnisse, Schützenkönige und Umzüge gibt, sondern echter Schießsport. Mit Luftgewehr auf Scheibe. Ein paar hundert Schuss pro Training. Das war gut für die Konzentration, eine ruhige Hand und tat niemandem weh. Allerdings fiel mir auf, dass einige der älteren Teilnehmer nach dem Training aus der Halle gingen und noch ein paar Schuss auf Vögel abgaben. Und jedes Mal, wenn jemand einen Vogel vom Ast geschossen hatte, brach unter den Kollegen großer Jubel aus. Das gefiel mir nicht. Meine Karriere als Auftragskiller endete daher schon nach einem Jahr. Den durchaus angenehmen Geruch von Waffenöl zur Pflege der Gewehre habe ich aber immer noch in der Nase. Waffen sind faszinierend. Man visiert ein Ziel an, sucht den Druckpunkt, zieht durch und irgenwo entfernt, fällt eine leere Bierdose um, trifft man ins Schwarze oder holt einen Vogel aus dem Baum. Wenn heute eine Armada von kackenden Tauben mein Viertel zuscheissst, denke ich manchmal, schade, dass ich die Gewehre meines Vaters nach dessen Tod, bei der Polizei abgegeben habe.

Abknallen

Mein Vater wie schon mein Großvater hatten eine Baumschule. Und es gibt kaum einen größeren Feind für den Gartenmeister, der Jungpflanzen zieht, als eine Horde gefräßiger Karnickel. Denen rückten wir dann mit Kleinkalibergewehren auf die Pelle. Ja, auch ich habe in ein paar Kaninchen geschossen. Damals ganz ohne Waffenschein, aber mit der stillen Duldung des Jagdpächters. Mutter freute sich dann, wenn wir mit dem Sonntagsbraten zurückkehrten. Kaninchen im Römertopf mit Currygewürz und Sahnesoße, köstlich. Die abgezogenen Viecher hingen immer in unserer Waschküche, wo sich auch unser Klo befand. Das war früher normal. Aber wie gesagt, als mein Vater starb wollte ich die Waffen nicht mehr im Haus haben. Man weiß ja nie, was einem plötzlich für eine Laus über die Leber läuft. Wer keine Schusswaffe hat, kann damit auch keine Scheiße bauen.

In Amerika wäre das vermutlich unvorstellbar.

In den USA sind 393,3 Millionen Waffen in Privatbesitz. Glauben Sie etwa, irgendjemand könne die wieder einsammeln?

Im zweiten Zusatzartikel zur amerikanischen Verfassung heißt es:

“A well regulated Militia, being necessary to the security of a free State, the right of the people to keep and bear Arms, shall not be infringed.”

„Da eine wohlgeordnete Miliz für die Sicherheit eines freien Staates notwendig ist, darf das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, nicht beeinträchtigt werden.“

Wenn Sie nun ernsthaft glauben, dass der Tod von 19 Grundschulkindern dazu führen würde, dass diese Regelung fallen könnte, träumen Sie weiter. Und so werden also auch in Zukunft weiter Menschen jedes Alters Opfer dieses Waffenwahns werden. Und es werden weiter dicke Krokodilstränen über die Opfer vergossen werden. Gibt bestimmt eine tolle Bestattungsfeier mit Fahnen auf den Särgen und frommen Liedern. Und die NRA wird weiter den Segen der Waffen preisen,mit der man solche Taten verhindern kann, die es ohne Waffen in der Form gar nicht gäbe. Und die Hersteller und Händler werden sich weiter die Taschen voll machen. Und Eltern werden stolz mit ihren dreijährigen Kindern auf den Schießstand gehen und sie an der Waffe ausbilden. Früh übt sich, was ein Mörder werden will. The american way of dying.

Bei Kindern und Jugendlichen bis 19 Jahren in den USA ist mittlerweile Schusswaffengebrauch noch vor Verkehrsunfällen die häufigste Todesart. 4368 starben im Jahr 2020 an Waffengebrauch, wurden also erschossen. Nichts Besonderes im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Traurig, aber wahr.

Unvorstellbares Leid

Ich habe einige Eltern erlebt, deren Kinder bei einem Unfall gestorben sind. Diese Menschen waren derart in ihrer Seele getroffen, dass einige sich nie wieder davon erholt haben. Ich mag mir gar nicht vorstellen wie man sich fühlt, wenn das eigene Kind in einem beschützten Raum, in einer Grundschule, erschossen wird. Ich will mir nicht vorstellen, was die anderen Kinder, die mitansehen mussten, wie ihre Freundinnen und Freunde vor ihren Augen getötet wurden, für Albträume haben. Und ich würde mich nicht wundern, wenn einer der Eltern oder eines der Kinder irgendwann auch einmal durchdrehen und zur Waffe greifen.

Der Täter wurde erschossen. Ist ja häufig so, wenn diese Täter sich nicht selbst als traurigen Höhepunkt ihrer Aktion entleiben. Das gehört einfach zur Dramaturgie. Was der Grund für die Tat war, wird bei allen noch notwendigen Ermittlungen nie wirklich geklärt werden. Und so geht man dann wieder zum Alltag über. Es ändert sich vielleicht nur die Nonchalance, mit der wir solche Ereignisse schulterzuckend wegstecken. Vielleicht auch die einzige Möglichkeit diesen Irrsinn irgendwie zu ertragen. Es ändert sich? Nein, es ändert sich nichts.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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