Der Staatsdichter
Navid Kermani verklärt Christentum und Islam zu Religionen des Konsens und der Mystik, des allgemein menschlich Erhabenen. Das ist angesichts der realen Verhältnisse der Welt eine Form von bewusster Realitätsverweigerung.
„Ungläubiges Staunen“, das neue Buch über das Christentum, des Schriftstellers und Orientalisten Navid Kermani wirkt wie die Ouvertüre zu seiner vielbeachteten Rede zur Verleihung des diesjährigen Friedenspreises des deutschen Buchhandels. Kermani, der schon als Festredner zum 60. Jahrestag des Grundgesetzes im Alltag gefühlsharte Politiker zu Tränen rührte, fand auch dort – der über das Klangerlebnis des Koran promovierte – den richtig gesetzten Ton. Für einige Kritiker ist er der Wunschkandidat für die durch den Tod von Günter Grass vakant gewordenen Stelle des Staatsdichters. Grass, der dichtend und schnauzend der Nation gelegentlich die Leviten las, wird abgelöst durch den sanften Gelehrten aus Siegen, der den hohen Ton und den blanken Firnis preist. Er scheint damit die Gemütslage unserer Nation zu treffen, in deren gebildeten Kreisen der Kirchenbesuch wieder als Alleinstellungsmerkmal gilt.
Der Schein der Kunst als religiöse Sinnstiftung
Seine Bücher über das Christentum wie schon über den Islam definieren religiöses Erleben als christlich-sinnlichen Augenschmaus und Koranrezitationen als islam-ästhetischen Ohrwurm. Kermani redet der Schönheit der Religion das Wort, einem Ästhetizismus des Fühlen, Sehen und Hörens. Er zieht dafür nicht die Schrift selbst, sondern Malerei heran, die im Auftrag der Kirche entstand oder religiöse Motive zeigt.
Religion ist in diesem Sinne nicht mehr ein Modell von und für die Wirklichkeit, wie der Religionssoziologe Clifford Geertz es formulierte, sondern der schöne Schein der Kunst reicht dem Betrachter als religiöse Sinnstiftung.
Und er beschwört Gefahr, wo keine ist. In einem SZ-Gespräch sagte Kermani:
Selbst Goethes West-östlicher Divan wäre heute nicht mehr vorstellbar. Ein deutscher Dichter, der Arabisch lernt, den Koran preist und kein Problem damit hat, wenn man ihn Muslim nennt, würde vermutlich vom Verfassungsschutz beobachtet.
Will er sich damit selbst als gefährdet einstufen oder in die Nähe Goethes bringen? Goethes Verhältnis zu der „düsteren Religionshülle“, die der Prophet Mohammad seinem Stamme aufgezwungen hat, war nicht so eindimensional wie Kermani unterstellt.
Reaktionär im klassischen Sinne
Und er kippt im selben Gespräch auch die Aufklärung in den Orkus:
„Und Glaube ist streng genommen sogar die Auslöschung des Ich. (…) Auslöschung des Ich – das klingt ja nach Faschismus. Dabei geht es genau darum: Dass unsere Individualität reicher wird, wenn wir sie ins Allgemeine wenden und das eigene kleine Ich hintenanstellen.“
Hier redet einer dem Kollektivismus, im Islam hat man dafür den Begriff Umma, das Wort. Das ist tatsächlich im klassischen Sinne reaktionär.
Er zielt mit seiner Ästhetisierung auf elementare Dinge. Einmal versucht er Religion im Allgemeinen scheinbar von der gesellschaftlichen und politischen Dimension zu befreien und auf eine mystische Ebene zu transponieren. Er entkleidet Religion vom Leben und der Politik, hebt sie auf die Ebene der Verzückung. Da erscheint der Papst mit seinen Eingriffen in das politische Geschehen als weltlich. Nicht nur die Islamverbände, sondern das politische Berlin hat seit Jahren auf solch ein Zeichen gewartet. Kermani suggeriert, es sei schicklich die politische Dimension des Islam von Religion zu ignorieren. Das gelang bisher nicht, denn die Muslime drängten darauf, ihre Sitten und Gebräuche als religiöse Norm anerkannt zu sehen. Die unauflösliche Verquickung von Islam und Politik, die unter anderem zum Islamismus führt, wird schlicht geleugnet.
Die erlösende Meistererzählung
Kermani versucht die erlösende Meistererzählung zu liefern, die Großdeutung in dem er Religion zum rein ästhetisches Erleben verklärt. Damit werden Christentum und Islam zu Religionen des Konsens und der Mystik, des allgemein menschlich Erhabenen wie sie Hans Küng mit seinem Weltethikprojekt propagiert hat.
Kermani erteilt der politischen Elite milde Absolution. Der Schriftsteller Kermani steht ganz im geistigen Einklang mit seinem Kollegen Martin Mosebach, der so gern die lateinische Messe zurück hätte und sich im selben Gespräch beklagt „in der westlichen Welt haben die Menschen das Knien verlernt“. Kermani singt das Lob des Märtyrers: „Heute gilt die heiligste Handlung, die ein Mensch vollbringen kann, nämlich sich selbst zu opfern, als lächerlich und pathologisch.“ Mosebach ergänzt:
Religion muss unter einem Druck stehen, um ihre Stärken entfalten zu können. So grauenvoll die Martyrien der Christen sind, denen vom IS der Kopf abgeschnitten wird, aber es ist der Beweis, dass das Christentum so lebendig ist, dass noch jemand dafür zu sterben bereit ist. Wir sprechen von diesen Menschen mitleidig als Opfer, dabei wollen sie wirklich Opfer im religiösen Sinn sein.
Realitätsverweigerung
Diese beiden, man möge mir den Ausdruck verzeihen: gebärden sich wie frömmelnde Dandys. Tatsächlich sind sie tapfer im Nirgendwo, denn im Kern ist dies angesichts der realen Verhältnisse der Welt eine Form von bewusster Realitätsverweigerung. Sie trifft, weil selbst die Kanzlerin und eine ehemalige Bischöfin empfiehlt, gegen die Angst vor dem Islamismus doch mehr zu beten – den elitären Zeitgeist.
Mit solchem Schönreden kann Kermani vielleicht sein bürgerliches Publikum verzücken, mich überzeugt er damit nicht. Als Gelehrter sollte er Verantwortung übernehmen, keiner verlässt seine Kultur ungestraft, auch wenn man glaubt, sie hinter sich gelassen zu haben. Die Verantwortung bleibt. Es geht im Geiste Max Webers um Verantwortungs- statt um Gesinnungsethik.
Jemand wie Kermani könnte mit seinen Gaben und Kenntnissen den Muslimen eine kritische Lesart des Korans vermitteln, einen innerislamischen Diskurs anstoßen, zum Beispiel, um über frauenfeindliche, gewaltverherrlichende, oder chauvinistische Verse im Koran zu reflektieren. Er müsste sich eher im Geiste mit Nitsche als mit Martin Mosebach verbünden weil die Muslime erst lernen müssen Allah zu verlassen um ihn finden zu können.
Um Navid Kermani geht es auch in Sören Heims Kolumne zur Flüchtlingsproblematik und in Jörg Friedrichs Beschäftigung mit den Nobelpreisen dieses Jahres.
Schreibe einen Kommentar