Happy New Year – aber bitte nicht um jeden Preis!

Nicole Krey wünscht zum Jahresanfang ein Frohes Neues Jahr! Demjenigen, der gerade mit Schicksalsschlägen zu kämpfen hat und für den das Jahr deshalb nicht so froh anfängt, möchte sie sagen, dass es auch in Ordnung ist, wenn er gerade nicht positiv gestimmt ist.

Bild von Graphisty auf Pixabay

Ein neues Jahr fängt an und traditionsgemäß wünschen wir anderen Menschen um Mitternacht oder am Morgen danach ein Frohes Neues Jahr. Ich natürlich auch und zwar von ganzem Herzen. Manchmal muss man sich am Ende eines Jahres aber leider eingestehen, dass es doch nicht ganz so froh geworden ist und für manch einen fängt das neue Jahr auch gar nicht so heiter an. Im letzten Jahr habe ich über Optimismus, Glück sowie Freude auf der einen Seite und Pessimismus, Leid sowie Trauer auf der anderen Seite sehr viel nachgedacht. Deswegen nehme ich die Jahreswende zum Anlass über den Trend zu schreiben, alles Negative aus dem Leben verbannen zu wollen. Ich rede nicht von gesundem Optimismus, sondern von toxischer Positivität. Laut Google Trends hat dieser Suchbegriff seit 2020 enorm an Bedeutung gewonnen.

Toxisch positiv ist, wenn man jeder noch so schlimmen Situation unbedingt etwas Positives abgewinnen muss, seien es der Ukrainekrieg, eine Krankheit oder Armut. Dazu gehören Sätze wie: „Sieh es doch mal von der positiven Seite“, „Dinge geschehen nicht ohne Grund“, „Es gibt Menschen denen geht es viel schlimmer“ oder „Alles Einstellungssache“.

In Social Media herrscht oft toxische Positivität

In Bezug auf Social Media kennt man toxische Positivität. Man hört oft, es würden dort nur die schönen Seiten präsentiert. Deshalb sehe es so aus, als ob es den Leuten ständig nur gut ginge. Offline funktioniert es jedoch ähnlich. Von Leuten die nörgeln oder denen es schlecht geht, hält man sich fern unter dem Deckmantel sich lediglich mit positiven Menschen umgeben zu wollen, um die eigene positive Schwingung nicht zu gefährden. Es klingt nobel sich von niederen Schwingungen fernhalten zu wollen. Teilweise ist es aber schlichter Egoismus in einem schönen Gewand. Auf die Weise verschließt man die Augen vor dem Unglück anderer und überlässt die Hilfebedürftigen sich selbst, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen.

So hört man Ratschläge wie: „Diesen negativen Menschen bzw. diese negative Situation musst du loslassen.“ Wird das Elend auf dieser Welt also verschwinden, wenn wir Menschen mit Problemen schlicht „loslassen“ und sie ihrem Schicksal übergeben? Persönlich glaube ich nicht dass Probleme verschwinden, wenn man sie ignoriert, denn sonst hätte ich nicht den Beruf des Juristen gewählt. Zum Juristen kommen die Leute im Allgemeinen dann, sobald Sie Probleme haben. Ich glaube nicht, dass ich selbst mehr Glück anziehen würde, wenn ich diesen Menschen erst gar nicht zuhören oder ihnen nicht beistehen würde. Schicksalsschläge können jeden treffen und der erste Schritt heraus ist Anteilnahme.

Viele Leute sehen das offensichtlich anders. Sonst ist es für mich nicht erklärbar wie es in solchen Situationen zu Reaktionen kommt wie: „Mit positiver Grundeinstellung lässt sich alles meistern. Man muss nur hart genug kämpfen!“, „Denk einfach nicht mehr drüber nach“ oder „Rede mal mit einem Psychologen drüber“. Man setzt sich mit dem Menschen oder der Situation also gar nicht erst auseinander, sondern zieht sich sofort zurück in seine eigene Wohlfühl-Bubble. Derjenige, der einen Schicksalsschlag erleidet, muss kämpfen und sogar stärker aus der Situation hervorgehen. Negative Gefühle sollen bitte mit einem Psychologen geteilt werden. Demjenigen der versucht sich mitzuteilen, wird gar nicht erst zugehört. Außerdem wird implizit gesagt, dass seine negativen Gefühle falsch sind und behandelt werden müssen. Dabei können Gefühle niemals falsch sein. Gerade das Unterdrücken von Gefühlen ist ungesund. Der Ratgebende braucht sich seinerseits mit dem Gegenüber nicht mehr auseinanderzusetzen. Dieser ist letztlich selbst schuld an seinem Elend, wenn er es nicht schafft, stärker aus einer Krise hervorzugehen oder seinem Schicksal nichts Positives abgewinnen kann.

Natürlich gibt es Menschen, die nur Energie kosten und von denen man sich zu seinem eigenen Schutz fernhalten sollte. Wenn man jedoch zwanghaft alles positiv sehen muss, ist das in Wahrheit sehr negativ. Es führt im Endeffekt dazu, dass wirkliche Nähe zu einem anderen Menschen ebenfalls nicht möglich ist. Zu Verbundenheit gehören das gesamte Spektrum der Gefühle und nicht nur positive Plattitüden.

Smalltalk kann nerven

Ohnehin ziehe ich ein tiefgründiges Gespräch mit einem Nörgler einer oberflächlichen Gute-Laune-Unterhaltung mit meinem Arbeitskollegen über seinen bevorstehenden Urlaub vor. Wenn ein Arbeitskollege nun erzählt, dass er sich auf seine Mexiko-Reise freut, höre ich zu und frage nach, wann es losgeht und wie lange der Flug dauert. Ich bin zwar vom Smalltalk oft genervt, und seine Erzählung tangiert mich im Grunde genommen nicht. Dennoch bin ich empathisch genug, die Freude des Kollegen über die Reise nachzuvollziehen und meiner Empathie durch Zuhören und Nachfragen auch Ausdruck zu verleihen. Ich könnte nun natürlich stattdessen antworten, er solle mit Gleichgesinnten darüber sprechen und so jedes weitere Gespräch abwürgen und mein Desinteresse zeigen.

Kleine Herausforderungen sind für Leute wie mich – die kein ständiges positives Mindset haben – z.B. Anrufe bei meinem Internet-Provider wegen einer Störung. Glücklich werde ich begrüßt mit den Worten: „Guten Tag, wie schön dass du anrufst!“ Die Kundenberatung am anderen Ende der Leitung schafft es jedoch nicht, die Störung zu beseitigen. Stattdessen hakt die Dame aber fröhlich nach, ob ich noch eine andere Frage habe, was ich verneine. Ich rufe schließlich an, damit mein Internet funktioniert, nicht um einen tollen Kaffeeplausch zu haben. Sie verabschiedet sich mit den Worten: „Danke, wir kümmern uns darum. Wenn du sonst keine andere Frage hast, wünschen wir dir einen wunderschönen Tag.“ Dass ich den Rest des Tages genervt bin, weil mein Internet nicht funktioniert, liegt vermutlich an meiner negativen Einstellung. Am Gespräch kann es nicht liegen; das war nämlich total positiv und nett. Während ich so vor dem Laptop sitze, überlege ich, was ich Positives aus der Situation mache, und ob ich Huxleys „Brave New World“ zu Beginn des neuen Jahrs noch einmal aus dem Schrank hole, bis mein Internet wieder funktioniert.

Jetzt aber erst einmal frohes Neues Jahr! Und denjenigen, für die das Jahr nicht so froh anfängt, wünsche ich viel Kraft und jemanden, der zuhört. An dieser Stelle auch ein kleines Dankeschön an meinen Vater.
+++

Nicole Krey
Gebürtige Bonnerin, aufgewachsen in den Niederlanden. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft und anschließender Tätigkeit als Anwältin in Düsseldorf ist sie inzwischen als Unternehmensjuristin im digitalen Bereich tätig und wohnt wieder an der niederländischen Küste. Als Angehörige der Generation X hat sie in den 90ern auf einem 386er noch über MS-DOS prompt Befehle eingegeben, sich mit Unbekannten in Chatrooms über Musik ausgetauscht und Partys ohne Smartphone gefeiert.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert