Ausgezwitschert – Der enttwitterte POTUS

Twitter und Facebook sperrten die Accounts von Donald Trump, nachdem er ihnen jahrelange Aufmerksamkeit verschafft hatte. Ist das ein unzulässiger Eingriff in die Meinungsfreiheit? Kolumne von Heinrich Schmitz


Bild von gfk DSGN auf Pixabay

Da wird der größte aller Großen, der wunderbarste aller Wunderbaren und fleißigster Twitterpräsident aller Zeiten blöde bzw. noch blöder geguckt haben, als er ohnehin meistens guckt. Da nehmen ihm die sozialen Medien doch tatsächlich sein Lieblingsspielzeug weg und sperren seine Accounts. Dürfen die das?

Wie schon Henning Hirsch in seiner Kolumne  schrieb, gibt es Stimmen, die der Meinung sind, das sei ein Eingriff in die Meinungsfreiheit. Und auch die von Hirsch zitierte Kanzlerin äußerte Bedenken:

Die Betreiber sozialer Netzwerke tragen zwar Verantwortung dafür, dass die politische Kommunikation nicht mit Hass und Anstiftung zu Gewalt vergiftet wird. Die Meinungsfreiheit als Grundrecht von elementarer Bedeutung kann aber nur durch den Gesetzgeber, nicht nach der Maßgabe von Unternehmen, eingeschränkt werden“.

Wenn Henning Hirsch nun draus aber den Schluss zieht:

Hört also die Meinungsfreiheit gar nicht jenseits der staatlichen Garantie auf, sondern umfasst auch Teile des privaten Sektors? Meiner Meinung nach: JA. Denn Facebook & Twitter sind schlichtweg zu groß und kommunikationsmächtig, als dass sie im Bedarfsfall wie ein erzürnter Kneipenwirt handeln dürfen.

Dann scheint mir das der falsche Ansatz zu sein.

Hausrecht

Auch wenn häufig in der Diskussion vom Hausrecht des Kneipenwirts die Rede ist, trifft das eben nicht den Punkt. Man muss auch gar nicht den Kneipenwirt bemühen, der im Moment eh keine Not hat, jemanden rauszuwerfen, sondern man kann sich das Hausrecht eines Jeden ansehen und erkennt schnell, dass dies hier nicht der springende Punkt ist. Wenn Sie sich in meinem Haus befinden, dann entscheide ich ganz alleine, ob und wann Sie das Haus zu verlassen haben. Dazu müssen Sie gar nichts Schlimmes machen, wie auf den Teppich kacken oder meine Frau anbaggern. Ich kann Sie jederzeit auffordern, ganz ohne Angaben von Gründen, meine Wohnung oder mein Haus zu verlassen, ganz willkürlich. Und wenn Sie das nicht machen, darf ich Sie auch mit Gewalt vor die Tür setzen oder die Polizei rufen, damit die das auch erledigt und Ihnen gleichzeitig ein Verfahren wegen Hausfriedensbruchs verpasst. Das darf ich einfach so, weil ich das Hausrecht habe.

Vertragsrecht

Bei den sozialen Netzwerken ist das aber anders. Twitter und Facebook haben Verträge mit den Usern, auch wenn denen das womöglich gar nicht bewusst ist. Und diese Verträge unterliegen bestimmten Vertragsbedingungen, die da Nutzungsbedingungen o.ä. heißen. Die Plattform stellt einen Account zur Verfügung und Sie zahlen mit reichlich Informationen, für die Sie dann wieder mit personalisierter Werbung zugeschissen werden. Wenn Sie gegen diese Nutzungsbedingungen verstoßen, dann darf die Plattform darauf angemessen reagieren. Das bedeutet, dass entweder einzelne Ihrer Tweets oder Posts gelöscht werden dürfen oder Sie bei dauernden Verstößen eine mehr oder weniger lange Sperre bekommen – oder aber auch, dass Ihr Account komplett gecancelt wird. Watt fott is, is fott.

Das hat nun gar nichts mit einem Eingriff in die Meinungsfreiheit zu tun, denn Ihre Meinung können Sie nach wie vor frei äußern, nur halt nicht auf dieser Plattform.

Grundsätzlich stellt dies gar keine Problem dar, wenn die jeweilige Plattform nicht willkürlich handelt. Das ist der wesentliche Unterschied zum Hausrecht, das eben durchaus willkürlich ausgeübt werden darf.

Rechtsweg

Ob die Voraussetzungen für eine solche Sperre tatsächlich vorlagen, können Sie gerichtlich überprüfen lassen. Der Rechtsweg ist nicht ausgeschlossen. Und obwohl der Plattformbetreiber in den USA sitzt, können Sie das gleich hier in Deutschland tun, nach den hiesigen rechtlichen Vorschriften. Und Sie können das sogar auf Deutsch machen und brauchen es nicht einmal übersetzen zu lassen, da die Gerichte mittlerweile eingesehen haben, dass ein Unternehmen mit vielen Millionen Kunden in Deutschland wohl auch jemanden haben muss, der eine deutsche einstweilige Verfügung oder eine Klageschrift lesen kann.

Ein schönes Beispiel ist die Sperrung der Seite „Ein Prozent für unser Land“, deren Betreiber vor dem OLG Dresden eins auf die Mütze bekamen, als sie gegen die Sperrung ihres Facebook-Accounts vorgehen wollten.

Hier ging es um die Sperrung einer sogenannten „Hassorganisation“. Das sind Organisationen, die furchtbar gerne Hass verbreiten, aber der absurden Meinung sind, die Hassäußerungen seien von der Meinungsfreiheit gedeckt und deshalb müsste Facebook die auch zulassen. Das ist ein Denkfehler. Es ist zwar richtig, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung auch widerliche, ekelhafte und rassistische Äußerungen grundsätzlich deckt, das bedeutet aber nicht, dass der Betreiber eines sozialen Netzwerkes solche Äußerungen nicht für seinen Bereich vertraglich ausschließen kann.

Das OLG Dresden sagt dazu:

Der Ausschluss von Hassorganisationen und deren Unterstützern und die Regelung in Nr. 2 der Gemeinschaftsstandards begegnen gleichwohl im Grundsatz keinen Bedenken. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass die Beklagte ohne eine solche Kündigungsmöglichkeit der Gefahr ausgesetzt wäre, als Intermediär für Äußerungen der Klägerin auf Unterlassung in Anspruch genommen zu werden. Die Gefahr, dass “Hassorganisationen” auch durch ihre Aktivitäten in sozialen Netzwerken die Rechte Dritter verletzen, ist auf der Hand liegend höher als dies bei einem Durchschnittsnutzer der Fall wäre. Die Beklagte sähe sich in diesem Fall nicht nur einem erheblichen Imageschaden ausgesetzt, der nicht an nationalen Grenzen haltmacht, sondern verstieße hierdurch auch gegen ihre auf europäischer Ebene eingegangenen Verpflichtungen, gegen “Hate-Speech” und “Hate-Crime” auf ihren Seiten aktiv vorzugehen. Es erscheint zudem ohne weiteres plausibel, dass sich zahlreiche Nutzer von der Teilnahme an einem Netzwerk abschrecken ließen, das “Hassorganisationen” grundsätzlich tolerieren müsste und nur im Einzelfall oder bei konkreten Vertragsverletzungen deren Äußerungen löschen dürfte. Dies kann langfristig auch das auf hohe Nutzerzahlen ausgerichtete Geschäftsmodell der Beklagten bedrohen.

Das gilt natürlich nicht nur für Hassorganisationen, sondern auch für einzelne Hassprediger und Menschen die zum Marsch auf das Kapitol oder den Reichstag aufrufen. Auch dem Jammerbarden und dem Gurkenführer darf man den Account sperren.  Warum in aller Welt sollte man denen nicht das Kabel kappen?

Nicht zuletzt erhöht der Verbleib derartiger Organisationen den Kontrollaufwand und damit die Kosten für den Betrieb des Netzwerkes; absehbar wird der Betreiber hierdurch zudem dem Risiko zahlreicher Rechtsstreitigkeiten über die Zulässigkeit grenzwertiger Äußerungen ausgesetzt. Dem Anbieter muss angesichts dessen nicht nur das Recht zustehen, einzelne Beiträge zu löschen oder einen Ausschluss des Nutzers bei einer schwerwiegenden Vertragsverletzung auszusprechen, sondern auch “Hassorganisationen” wegen ihrer grundsätzlichen Zielsetzung insgesamt und dauerhaft ausschließen zu können. Für die Zulässigkeit einer solchen Befugnis spricht auch § 1 AGG, der eine Diskriminierung aufgrund der politischen oder ideologischen Ausrichtung einer Person nicht ausschließt; der Gesetzgeber hat vielmehr bewusst davon Abstand genommen, das Diskriminierungsverbot auf Benachteiligungen wegen politischer Überzeugungen zu erstrecken (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 16/2022, S. 13). Auch die der Regelung zugrunde liegenden Richtlinien 2000/43/EG vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft (ABl. EG 2000 Nr. L 180 S. 22) und 2004/113/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen (ABl. EU 2004 Nr. L 373 S. 37) enthalten insoweit keine weitergehenden Anforderungen (BGH, Urteil vom 09. März 2012 –V ZR 115/11 –, Rn. 9, juris)

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verbietet es gerade nicht, Nazis, Reichsbürger usw. zu diskriminieren. Das darf man ungestraft machen.

Und auch das Argument, wegen der schieren Größe seien Facebook, Twitter usw. gezwungen, mit jedermann Verträge abzuschließen und jeden Tünnes seinen Mist in die Welt blasen zu lassen, zieht beim OLG Dresden nicht.

Einem mittelbaren Kontrahierungszwang gegenüber allen Interessenten, der zugleich eine Kündigungssperre darstellen würde, unterliegt die Beklagte schon deshalb nicht, weil es –wenngleich erheblich “reichweitenschwächere” -Alternativportale gibt und ein Nutzer auch nicht gehindert ist, seine geschäftlichen Aktivitäten lediglich über eine eigene Homepage zu betreiben. Schon aufgrund dieser Konkurrenzsituation ist es daher nicht geboten, soziale Netzwerke staatlichen Stellen hinsichtlich ihrer Grundrechtsbindung vollständig gleichzustellen.

Und genau das ist der entscheidende Punkt.

Nun gibt es Ideen, die unzweifelhafte Macht der sozialen Netzwerke durch staatlich organisierte Alternativen zu ersetzen oder zumindest solche öffentlich-rechtlichen Plattformen anzubieten. Aber mal ganz ehrlich, wer die Lahmarschigkeit von staatlichen Stellen bei der Digitalisierung kennt, der weiß, dass die vernünftig funktionierende Plattformen, die auch nur annähernd die Leistungen von Facebook und Twitter bieten könnten, in diesem Jahrhundert garantiert nicht mehr hinbekämen.

beA

Ein kleines Beispiel: In der Justiz wird der sogenannte elektronische Rechtsverkehr eingeführt. Da müssen wir Anwälte seit dem 1.1.2021 eine sogenanntes beA (besonderes elektronisches Anwaltsfach) verwenden. Ich nenne das besonders erbärmliches Anwaltspostfach. Dazu gibt es kostenpflichtig eine Karte, ein Kartenlesegerät, ein Passwort und eine elende Software, die alle Nase lang Zirkus macht. Aber egal. Die Idee ist ja schon mal gut. Aber die Praxis ist zum Schießen. Statt nun z.B. einen elektronischen Schriftsatz unmittelbar elektronisch einer ebenso elektronischen Akte zuzuordnen, sodass der Schriftsatz im Moment des Eingangs tatsächlich eingegangen ist, passieren lustige Dinge.

Ein Anruf auf der Geschäftsstelle einer Staatsanwaltschaft in NRW einen Tag nach Versendung eines elektronischen Schriftsatzes:

Ich: Guten Tag, mein Name ist Rechtsanwalt Schmitz. Ich rufe zum Aktenzeichen XYLOL an und wollte nur nachfragen, wann der Antrag bearbeitet wird.

Geschäftststellenbeamtin GS: Der liegt uns noch gar nicht vor.

Ich. Der ist gestern morgen per beA bei Ihnen eingegangen. Das kann ich im Sendebericht sehen.

GS: Ja, wir verwenden das beA ja so nicht.

Ich: Bitte was? Ich werde gezwungen, das zu verwenden und Sie nutzen das nicht?

GS. Das geht alles auf der Wachtmeisterei ein und die drucken das dann aus und geben es in den normalen Posteingang. Das kann schon mal fünf Tage dauern. Könne Sie das denn nicht faxen?

Jepp. Ich habe noch so ein Faxgerät, sicherheitshalber, obwohl diese Technik eigentlich ins letzte Jahrhundert gehört und jüngere Menschen noch nie davon gehört haben. Aber okay, machen wir weiter Faxen.

Und nun soll also dieser Staat, der nicht mal ein funktionierendes digitales Rechtswesen mit überschaubarer Teilnehmerzahl auf die Kette bekommt oder die Schulen so digitalisiert hat, dass Distanzuntericht einfach und sicher möglich wäre, so etwas wie Facebook oder Twitter stemmen? Never ever.

Gut, das ist nur die technische Seite.

Vertrauen

Inhaltlich wüsste ich nicht, warum ich einer staatlichen Plattform mehr zutrauen sollte als den Privatunternehmen. Nach welchen anderen Regeln sollte es denn da zugehen? Und vor allem: wer sollte die denn überprüfen? Und was hilft mir ein Netzwerk, an dem nur Teilnehmer einer Nation teilnehmen können? Es macht ja gerade den Reiz der großen internationalen Netzwerke aus, sich mit Jedermann auf der Welt verbinden zu können.

Die sozialen Netzwerke sind kein rechtsfreier Raum. Das gilt sowohl für die Netzwerksbetreiber, die ihre liebe Mühe haben, sich weltweit an die jeweiligen nationalen Regeln zu halten, also z.B. in Deutschland Nazisymbole zu löschen und dabei noch unterscheiden zu müssen, ob die nun ernst gemeint oder satirisch eingesetzt wurden, in den USA aber nicht, da geht es dann um das berühmte prüde Nippelverbot.

Es gilt aber auch für die User. Zum einen haben auch die die nationalen Gesetze bei ihren Äußerungen zu beachten und müssen halt damit rechnen, wenn Sie mich z.B. beleidigen, eine Anzeige zu kassieren, zum anderen haben sie aber auch die Möglichkeit, falsche Entscheidungen der Netzwerksbetreiber vor Gericht überprüfen zu lassen. Das passiert auch zig-tausendfach. Und die Gerichte lernen täglich dazu.

Ich hätte es toll gefunden, wenn therealdonald gegen Twitter geklagt hätte und noch toller, wenn er von einem amerikanischen Gericht bestätigt bekommen hätte, dass er ein elender Hetzer, Lügner und Aufwiegler ist, der in einem sozialen Netzwerk nichts verloren hat.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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