Kopftuchträgerinnen: Referendarinnen zweiter Klasse?
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum hessischen Kopftuchverbot sendet ein Signal der Bevormundung an unsere muslimischen Mitbürger, meint Kolumnist Henning Hirsch
Die aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, einer hessischen Rechtsreferendarin das Tragen eines Kopftuchs im Gerichtssaal* zu untersagen, sorgt aus zweierlei Gründen für Kopfschütteln. Zum einen war der Zeitpunkt der Verkündung kurz nach den Anschlägen in Hanau, bei denen neun junge Menschen mit kurdischen, bosnischen und afghanischen Wurzeln ums Leben kamen, äußerst unglücklich gewählt. Zum anderen leuchtet nicht ein, dass eben dieses BVerfG vor drei Jahren diametral entgegengesetzt urteilte und kein Problem damit zeigte, dass eine Kindergärtnerin aus Baden-Württemberg das beanstandete Kleidungsutensil während der Arbeitszeit anbehalten darf. Interessant die damalige Begründung: eine allein abstrakte Bedrohung [z.B. der Missionierung] reiche für ein Verbot nicht aus. Sind Kinder weniger schutzbedürftig als Gerichtsbesucher?
Kopftuch und goldenes Kruzifix – wo ist der weltanschauliche Unterschied?
Die Begründung des Zweiten Senats, das Kopftuch als religiöses Symbol verstoße gegen den Grundsatz der strikten weltanschaulichen Neutralität der Justiz, wirkt aus der Zeit gefallen. Denn damit wird fälschlicherweise unterstellt: Die Trägerin setzt sich das Tuch oder den Hidschab einzig aus religiösem Beweggrund auf. Selbst, falls das stimmen sollte – worin läge das Problem? So lange die derart gekleidete Juristin sich an die Buchstaben unserer heimischen Gesetze hält, erachte ich das Kopftuch für genauso kritisch oder unkritisch wie das christliche Kruzifix am Goldkettchen, das – verdeckt durch Pullover und Bluse – an manchem Richter- und Staatsanwaltshals baumelt. Nicht jede, die sich einen Hidschab anlegt, will sofort die Scharia in Deutschland einführen.
Nicht selten entscheiden sich junge Muslima allerdings aus Diskriminierungsgründen heraus für das Kopftuch. Da die Mehrheitsgesellschaft sie nicht integriert, ihre Chancen auf gleichwertige Teilhabe an Bildung und sozialem Aufstieg deutlich schlechter ausfallen als die der Kinder ihrer biodeutschen Nachbarn, wird der Hidschab als Zeichen der Rückbesinnung auf die eigene kulturelle Identität aufgesetzt. Zum Teil auch abweichend zum Verhalten der säkular eingestellten Eltern. Nicht jede Kopftuchträgerin wird zu diesem Utensil gezwungen, genauso wie nicht jede Kopftuchträgerin den Glaubenskrieg in unsere Gesellschaft hineintragen möchte.
Rote Roben und Perücken sind okay, ein Hidschab aber nicht?
Vorne sitzen Richter in roten Talaren, die Anwälte oft in schwarzen Roben, in England haben sie sogar Rokoko-Perücken über ihre schütteren Haarkränze gestülpt – und wir wollen einer muslimischen Referendarin allen Ernstes das Tragen eines Kopftuchs untersagen? Weshalb? Weil sie dadurch in ihrer juristischen Denk- und Beurteilungsfähigkeit eingeschränkt ist? Da sich Zuschauer und Richter vor ihr fürchten müssen; was sie aber interessanterweise nicht mehr tun, sobald sie ihr offenes Haar zeigt? Um sie, zumindest für die paar Stunden, die sie sich im Gerichtssaal aufhält, vom unseligen Zwang zu befreien, sich derart kleiden zu müssen? Welche weltanschauliche Neutralität – ohnehin mehr hehres Ideal als tatsächliche Realität – wird durch einen kleinen Fetzen Stoff verletzt? Immer vor dem Hintergrund betrachtet, dass die Bundesverfassungsrichter der baden-württembergischen Kindergärtnerin die Wahrung strikter Neutralität auch unter einem Kopftuch zutrauen.
Oder reiht sich dieses Urteil nicht vielmehr ein in die Kette der Disziplinierungsversuche der Mehrheitsgesellschaft gegenüber einer nie so richtig geliebten Einwanderergruppe? Ob es der westlichen Frau in Saudi-Arabien untersagt ist, unverschleiert auf die Straße zu gehen, man sich also an den Sitten des Landes auszurichten hat, in dem man sich aufhält, ist dabei ein fadenscheiniges Argument. Wir leben nun mal in Mitteleuropa und nicht auf der arabischen Halbinsel und somit gelten bei uns Toleranz und Unschuldsvermutung für sämtliche Bürger. Nicht jede Referendarin, die ein Kopftuch trägt, will gleich den Gerichtssaal in die Luft sprengen.
Ein selbstbewussterer und souveränerer Umgang mit jeder Andersartigkeit in der Gesellschaft wäre zielführender gewesen.
© Reaktion der vor dem BVerfG unterlegenen Rechtsreferendarin
Hauptsache, der Job wird professionell gemacht
Mir persönlich wäre es völlig egal, ob die Anwältin, die mich in einer Rechtssache vertritt oder die Staatsanwältin oder auch die Richterin einen Hidschab umgelegt haben, so lange sie ihren Job professionell ausüben. Dasselbe gilt für muslimische Lehrerinnen, Kindergärtnerinnen, Krankenschwestern, Busfahrerinnen, Mitarbeiterinnen der Kfz-Zulassungsstelle und wo sonst auch immer man Kopftuchträgerinnen im öffentlichen Dienst begegnen kann. Ich unterstelle keiner dieser Damen, dass sie mich in ihrer Berufsausübung anders behandelt als ihre Glaubensgenossen oder gar vorhat, mich subtil zum Islam zu missionieren.
Dass wir uns mit Kopftuch und Hidschab – beides letztlich harmlose Accesoires – immer noch derart schwertun, liegt vor allem darin begründet, dass wir Abweichungen von unserer westlichen Norm nicht tolerieren wollen und dem Islam seit knapp eintausendfünfhundert Jahren misstrauisch bis hin zu feindselig gegenüberstehen. Was uns aber nicht daran hindert, eine Woche Urlaub in Dubai zu verbringen oder uns an der All-inclusive-Hotelbar in Antalya richtig die Kante zu geben. Aber das ist natürlich was anderes, weil wir als Touristen Geld mitbringen und nach spätestens 14 Tagen wieder weg sind. Wer länger bleibt und seine Kröten bei uns verdienen will, muss sich anpassen. Auch, und vor allem, an unsere Kleidungsvorschriften. Ja, ja, die alte Leier. Der Generalverdacht, jede muslimische Frau trage den Hidschab gezwungenermaßen, weshalb es geradezu unsere aufgeklärte Pflicht sei, sie von diesem Stück Stoff zu befreien, ist an Hybris kaum zu überbieten. Wird dabei doch kaltlächelnd vorausgesetzt, dass die Damen keinen eigenen Willen besitzen und äußerliche Manifestationen von Gläubigkeit und/ oder kultureller Identität ins finstere Mittelalter und nicht in die Neuzeit gehören. Beide Annahmen sind nichts anderes als Kulturrassismus und einer toleranten Gesellschaft unwürdig.
Die Entscheidung zementiert, dass kopftuchtragende Rechtsreferendarinnen letztlich als Referendarinnen zweiter Klasse behandelt werden.
© Nurhan Soykan, stv. Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland
Fazit: Das Urteil zum Kopftuchverbot am Richtertisch sendet ein Signal der Bevormundung an unsere muslimischen Mitbürger und ist deshalb jenseits formaljuristischer Überlegungen gesellschaftspolitisch als verunglückt einzustufen.
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* für diejenigen, die es ganz genau nehmen: Eine kopftuchtragende Rechtsreferendarin darf zwar auf den Zuschauerbänken im Gerichtssaal Platz nehmen, jedoch nicht am Richtertisch sitzen. Ihr ist es des Weiteren verwehrt, eine Sitzung zu leiten und Beweise aufzunehmen
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