Unseren abendlichen Glühwein gib uns heute

Lasst uns in der Vorweihnachtszeit weniger saufen, sagt Kolumnist Henning Hirsch. Plädoyer für eine moderne Alkoholpolitik


Die Adventszeit ist angebrochen. Wir besuchen Weihnachtsmärkte, am liebsten drei pro Woche, trinken dort, sobald die Dunkelheit anbricht, was in dieser Jahreszeit Gottseidank früh geschieht, zum Aufwärmen einen Glühwein, am nächsten Stand einen Met aus Bio-Produktion, machen weiter mit einem Piccolo, bevor wir am Ende nochmal zum Glühwein zurückkehren. Mit einem wohlig warmen Gefühl in der Magengegend und in beschwingter Stimmung setzen wir uns, wenn wir klug sind, danach in die Straßenbahn oder doch lieber ans Steuer unseres japanischen SUVs; denn was soll uns in einer solchen Monsterkarre schon groß passieren? Und den Weg zurück nach Hause finden wir auch leicht angesäuselt. Soviel war’s ja schließlich gar nicht, und das meiste ist eh schon wieder verflogen. Nächste Woche steht die alljährliche Weihnachtsparty im Betrieb auf dem Kalender, auf der wir uns auf Kosten des Chefs alle mal wieder ordentlich volllaufen lassen können. Sobald wir den Megakater auskuriert haben, was je nach Promillespiegel bis zu 48 Stunden dauern kann, freuen wir uns auf Heiligabend mitsamt den ihn einrahmenden Champagner-, Rotwein- und Irischer-Whiskey-aus-Handmanufaktur-Flaschen. An den Feiertagen geht es munter weiter, Silvester ohne Schampus brauchen wir gar nicht erst zu feiern. Dezember = Stresstest für Leber und Neurotransmitter in Groß- und Kleinhirn.

Alkohol = Volkskiller Nr. 1

Alkohol ist die bei weitem gefährlichste Droge im westlichen Kulturraum. Gefährlich sowohl für die körperliche als auch die geistige Gesundheit der Konsumenten. Keine andere psychotrope Substanz fordert mehr Menschenleben. Jährlich gehen zigtausend Abhängige aufgrund von geplatzter Leber, Herzinfarkten, Bauchspeicheldrüsenkrebs und gebrochenem Genick nach Treppensturz in die ewigen Säuferjagdgründe ein. Und genauso wie beim Nikotin gibt es ebenfalls beim Alkohol unschuldige Opfer zu beklagen: nämlich all diejenigen, die von beschwingten Weihnachtsmarktbesuchern, die sich benebelt ans Steuer ihres SUVs setzen, nachts auf einsamer Landstraße übergemangelt oder die vom unter Alkoholeinfluss zu Gewalt neigenden Lebenspartner ins Krankenhaus geprügelt werden. Um von all den, sich in psychologischer Behandlung befindenden, Co-Abhängigen gar nicht erst zu reden. Dass Bier und Schnaps bloß den Trinker selbst schädigen, ist ein frommes Märchen, das wie ein Mantra von Alkoholindustrie und Pseudoliberalen, die jedem das Recht auf Selbstschädigung zugestehen, stets aufs Neue beschworen wird, sobald jemand aufgrund der klar ersichtlichen Missstände vorsichtige Regulierungsschritte anregt, um den exzessiven Konsum zumindest partiell einzudämmen.

Mit dem Alkohol verhält es sich wie mit dem Klima. Die Experten warnen vor den negativen Folgen, die sich unweigerlich einstellen, wenn wir nicht so langsam mal auf die Bremse treten und über sinnvolle Maßnahmen nachdenken. Ein Teil der Bevölkerung hält das – in der gemäßigten Variante – für künstlich aufgebauschte Probleme oder befürchtet sogar Fake news. „Jetzt wollen sie uns sogar den letzten Spaß mit unserem Feierabendbier verderben. Sollen sie sich besser um die Kiffer und Junkies kümmern. Die werden viel zu sehr mit Samthandschuhen angefasst“, bekommt man zu hören, sobald man für Regulierungen bei der Volksdroge Nr. 1 eintritt. „Prohibition hilft kein bisschen weiter“, sagen die etwas Gebildeteren, die ihr Wissen über diese Zeit vor allem aus Robert-DeNiro-Filmen speisen, „Zwischen 1919 und 33 wurde in den USA mehr getrunken als in der Zeit davor, und die Beschaffungskriminalität nahm aberwitzige Ausmaße an.“ Das stimmt: allerdings nur zur Hälfte. In Wahrheit sank der Pro-Kopf-Alkoholkonsum in den Vereinigten Staaten in diesem Zeitraum um dreißig bis fünfzig Prozent. Das mit Al Capone, Lucky Luciano und Meyer Lansky steht wieder auf einem anderem Blatt. Denn natürlich bewirkt ein Komplettverbot mafiöse Produktions- und Vertriebsstrukturen. Weshalb bis auf fanatische Abolitionisten auch niemand, der seine fünf Sinne beisammen hat, ein Komplettverbot fordert.

Ein halbes Dutzend Maßnahmen reichen aus

Deutschland belegt Jahr für Jahr aufs Neue eine Topposition im Ranking der globalen Trinkernationen und niemanden außerhalb der 24/7 bis auf den letzten Platz ausgebuchten Suchtkliniken juckt das großartig. Obwohl der Politik natürlich bewusst ist, dass dem Alkohol zwischen Neujahr und Silvester zehntausende Menschen zum Opfer fallen, tut sie hartnäckig nichts gegen dessen Verbreitung. Dabei ist das zu ergreifende Maßnahmenbündel einfach und bereits in anderen Ländern erfolgreich erprobt:
(a) Erhöhung der Preise (der Stoff ist bei definitiv uns zu billig)
(b) Heraufsetzung des Bezugsalters (keine Alkopops, kein Bier an Minderjährige)
(c) Ausdünnung der Verkaufsstellen (was um Himmelswillen hat Wodka in den Regalen von Tankstellen zu suchen?)
(d) keine Abgabe nach 22 Uhr (mit Ausnahmeregelung für Clubs)
(e) konsumfreie Räume (z.B. ÖPNV, öffentliche Plätze)
(f) Promillegrenze Nullkommanull am Steuer (erspart die lästige Rechnerei nach dem zweiten Weihnachtsmarkt-Rumpunsch).

Würde, unter der Voraussetzung, alle sechs oben genannten Instrumente gelangen zur Anwendung, zu einer merklich spürbaren Reduktion des Konsums führen. „So einfach ginge das?“, fragen Sie? „Ja, so einfach geht das“, antworte ich. Aber es muss halt auch mal konsequent durchgeführt – und ebenfalls überwacht – werden. Weshalb Tabakwerbung böse, Alkohol-Spots zur besten Sendezeit jedoch völlig okay sind, versteht außer Bitburgertrinkern und den oben genannten Pseudoliberalen auch niemand.

Und nochmal: es handelt sich dabei nicht um Prohibition. Es geht einzig um die Erschwernis des Erwerbs und in der Konsequenz die Verringerung der alkoholverursachten Todesfälle. Es käme ja auch niemand auf die Idee, Heroin frei verkäuflich in der Apotheke und Ecstasy im Drogeriemarkt anzubieten.

Grundbedürfnis nach Rausch bleibt unangetastet

Das Grundbedürfnis nach Rausch bleibt selbstverständlich weiterhin unangetastet. Es wird nur etwas schwieriger gemacht, sich in den Orbit zu katapultieren. Die vielen Menschen, die in Zukunft nicht wegen Alkoholexzessen in der Kühlschublade des Leichenschauhauses landen, werden es uns danken, wenn wir bei den offenkundig notwendigen Regulierungsschritten endlich auf die Stimmen der Experten hören.

Und eine Weihnachtsfeier mit Obstsaft-Cocktails und Softdrinks ist durchaus denkbar. Ich mach’s seit knapp zehn Jahren und bin froh, wenn ich am nächsten Morgen mit klarem Kopf aufwache und mich erinnere, dass ich der hübschen Kollegin aus der Exportabteilung zu vorgerückter Stunde keine sexistischen Witze erzählt und dem Chef nicht mit schwerer Zunge endlich mal die Meinung gegeigt habe. Von anderen Weihnachtsfeierpeinlichkeiten à la mit blankem Arsch auf den Kopierer ganz zu schweigen.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine schöne, möglichst alkoholarme, Adventszeit.

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern ... Wer mehr von ihm lesen möchte: www.saufdruck.de

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