Die unerlässliche Traurigkeit des Seins

Lana Del Rey bringt wie kaum eine andere den Unterschied zwischen Kunstfigur und Kunstprodukt auf den Punkt. Das aktuelle Werk „Norman Fucking Rockwell“ krönt alles bisherige mit exquisiter Melancholie in Pop. Kolumne von Ulf Kubanke


Während übliche Verdächtige der weiblichen Megastarriege es zu oft vermeiden, auch nur Spurenelemente von Tiefgang zu zeigen, präsentiert die gebürtige Elisabeth Grant mit ihrem Alter Ego Untiefen unter schillernder Oberfläche. Sechs Alben in einer Dekade bauten sie zur überlebensgroßen, stets unwirklich anmutenden Erscheinung auf.

Im Gegensatz zu Kolleginnen von Madonna bis Lady Gaga, setzt Del Rey nicht auf plastiniertes Katzengold steriler Trendsounds. Tonangebender Spielgefährte ist vor allem ein weltschmerzend angeschlagenes Piano. Von hier aus seziert sie den Denkmal gewordenen, aber blutleeren Archetypus Norman Rockwellscher Spießeridylle und entlarvt ihn als tumbe Illusion eines irrigen US-Selbstbildes. Doch so typisch amerikanisch alles wirkt, was sie aufs Korn nimmt, so allgemeingültig lässt sich das Gezeigte auch auf jede andere Gesellschaft beziehen. Hier ist alles total Roxy Musics „Dream Home Heartache“, so Tori Amos auf Valium, Suizid per Cocktail-Schirmchen zwischen Bacardi, Koks, und enthemmtem Sex. Das Lächeln der Cheerleader bleibt hohl. Das Grinsen des dandyhaften Yuppies bleibt gierig. Schon im eröffnenden Titelstück kann sie nur schwer ihre Verachtung für den zwar miesen, aber selbstherrlichen Künstlertypen zügeln. Und das auch nur, weil er wenigstens gut im Bett war. Sollte sich der nächste Gespiele sich ein paar Songs später dann als Serienkiller entpuppen, macht das auch nichts mehr. Was sollte so einer dem ohnehin längst emotional ausgezehrten Mädchen noch antun können?

So dreht sie die Mystik des Amerikanischen Traums heftig durch den Fleischwolf und zeichnet alles im Gegensatz zu Rockwell so entfremdet, kaputt, verloren und bar jeder Hoffnung, wie Lied gewordene Edward Hopper-Gemälde. Der Clou: Zwar bekommen alle unwürdigen Gestalten – besonders sich meist als unzulänglich oder ebenso waidwund erweisende Lover und das „laute, aus Konfusion geborene“ Trump-Amerika – ihr sarkastisches Fett weg. Doch auch sie selbst spart sich insofern nicht aus, als dass sich die Beobachterin mitunter gern zum Teil der jeweiligen Geschichte macht. Wie ein trauriger, sedierter Engel wirft ihr Gesang einen weiten Mantel aus Schwermut und fatalistischer Erotik über die Stücke. Er unterstreicht die betörende Raffinesse der Arrangements. Gerade weil die Grenze zwischen gleichmütiger Kommentatorin und essentiell Beteiligter von Zeile zu Zeile variiert, geraten ihre Skizzen des Versehrten so ausdrucksstark. Zahlreiche popkulturelle Referenzen – u.A. an die Beach Boys, Cyndi Lauper oder Leonard Cohen, den ewig unerreichten Meister poetischen Trübsals – runden das dunkelbunte Bild vortrefflich ab.

Inmitten all dieser unerläßlichen Traurigkeit des Seins entsteht manche Perle. „Bartender“ tänzelt seinen so elegant wie angeschickerten Reigen ersäufter Desillusion. „The Greatest“ lockt als hymnisches Kaleidoskop mit Streichern und effektiver E-Gitarre. Im Zentrum wartet die „Venice Bitch“, ein zehnminütiger Monolith, der als sinistrer Folkpop beginnt, um sich peu a peu zum psychedelisch schillernden Space-Cookie zwischen Pink Floyd und Tangerine Dream zu steigern.

„Mariners Apartment“ und „Hope Is A Dangerous Thing For a Woman Like Me“ ziehen alle Register auf der gehobenen Balladenskala. Ersteres verknüpft Streicher, Piano und zarte Akustikgitarren so anmutig wie Rotwein um Mitternacht. Letzteres bietet die womöglich intensivste Melodie ihrer bisherigen Karriere. Mit dieser Grandezza in Moll kredenzt sie dem Publikum im Finale dann doch noch einen zaghaft glimmenden Funken der Hoffnung.

Lana Del Rey – hope is a dangerous thing for a woman like me to have – but i have it

Ulf Kubanke

Ehemaliger Anwalt; nun Publizist, Gesprächspartner und Biograph; u.a. für Deutschlands größtes Online-Musikmagazin laut.de.

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