Liebesgrüße aus Damaskus

Omar Souleyman aus Syrien ist mit seinem eigenwilligen Mix aus cartoonesker Erscheinung, arabischer Folklore und westlicher Elektronik der vielleicht verschrobenste Weltstar der Worldmusic. Die Hörmal-Kolumne von Ulf Kubanke


Wir sind im Exil, und unsere Nächte sind lang. Das Leben verursachte uns so viel Schmerz – unsere Wunden sind zu viele und jede Wunde schreit.
Omar Souleyman

Stellen wir uns einen Musiker oder eine Band vor, die hierzulande jeder kennt, international erfolgreich ist und ihre Scheiben in verschiedenen Ländern aufnimmt. Klar: Rammstein. Überlegen wir uns nun, wer international Musikgeschichte schrieb und über 100 Live- und Studioscheiben herausbrachte: Klar, The Grateful Dead. Eng wird es jedoch, sucht man einen Mann, dessen Musik an jedem heimischen Kiosk verkauft wird, der bei gehobenen Jazzfestivals wie auch in Roskilde oder Glastonbury gern gesehener Gast ist, für eine ganze Kultur Musikgeschichte schrieb, CDs auf mehreren Kontinenten aufnahm und nebenbei weltrekordverdächtige 500 Live- und Studioalben veröffentlichte. Das hat bislang nur ein einziger Mensch auf dem Planeten vollbracht: der Syrer Omar Souleyman.

Geboren in einer Kleinstadt mit dem an Lovecraft erinnernden Namen Ra’s al’Ayn ist er ein Kuriosum der popkulturellen Gegenwart. Gleichwohl haftet ihm nichts lächerliches an. Seine Band besteht seit einem Vierteljahrhundert aus befreundeten Musikern, teils arabischer, teils kurdischer Herkunft. Die versierten Virtuosen verbinden etliche Musiktraditionen der Region. Traditionell arabischer Mawal-Gesang mischt sich unter anderem mit dem Dabke, einem regionalen Volkstanz, der als beliebte Partymusik fungiert. Hinzu kommen irakische Elemente (Choubi), türkische sowie kurdische Rhythmen und vieles mehr.

Hierzu nutzen sie unter anderem diverse Percusssion-Instrumente sowie mit Oud und Saz zwei Lauten, deren Saiten mit spezieller Technik gezupft gehören. Daneben schreibt Kumpel Mahmoud Harbi ihm poetische Zeilen auf den Leib, die nahezu ausnahmslos von den Irrungen und Wirrungen der Liebe künden.

So althergebracht die Beschreibung bis hier klingt, so revolutionär modernisieren sie das Konzept. Knallhart befeuern sie den Sound mit grellen Keyboards. Souleyman nutzt das sogenannte Phase Shifting – klangliches Überlagern und Akzentverschiebungen – , um einen fliegenden Klangteppich zu erzeugen. In Kombination mit zeitweise waghalsiger Geschwindigkeit mag Souleyman für manch westliches Gemüt zunächst klingen, als sei eine Art heiserer Muezzin auf Koks am Werk, der Van Goghs Ohr für Musik habe. Dies wäre jedoch eine fatale Fehleinschätzung. Denn Souleyman ist ein Meister seines Fachs, der sicherlich ungewohnt, nicht jedoch unfähig agiert. Die Vermischung westlicher und fernöstlicher Hörgewohnheiten gelingt auf hohem Niveau und ist musikhistorisch alles andere als unbedeutend.

Von der Pike auf begab sich die Band ab Mitte der 90er auf Ochsentour durch die Wüste ohne das geringste Sandkorn im Getriebe. Als Hochzeitskapelle der etwas anderen Art versprühten sie so viel Lebensfreude und stilistische Einmaligkeit, die in Syrien nicht nur ihresgleichen vergeblich suchte, sondern auch Traditionalisten und Modernisten, alt wie jung an einen Tisch brachte. Ethnische Zugehörigkeit? Politik? Gesellschaftlicher Status? Alles nivelliert sich zur großen Partygemeinde und zelebriert Romantik mit diesem mitunter leicht cartoonesk wirkenden Zeremonienmeister im Ölscheich-Outfit. Der Lohn: An jeder Ecke, jedem Kiosk, in jedem Laden bietet man offizielle Mitschnitte seiner einmaligen Gigs und Studiofassungen an. Die genaue Zahl der meist per Kassette feilgebotenen Tonträger ist nicht einmal ihm bekannt, bewegt sich jedoch jenseits der 500er Marke.

Mittlerweile gilt er in Nahost als Legende und mutierte auch weltweit zum Star. New York, London oder Paris verliebten sich in diesen verschrobenen Künstler, der zwar in kein Schema passt, aber längst zum Star der Weltmusik avancierte; inklusive Remixjobs für Björk oder Damon Albarn. Aufgrund des tragischen Bürgerkriegs in Syrien, der auch in unserem Land gelegentlich ebenso geschichtsvergessene wie kaltherzige Unsolidarität mit den Opfern nach sich zieht, lebt Souleyman nunmehr im türkischen Exil. Musikalisch bleibt er seinen Hymnen an die Liebe treu. Dennoch wird er auf seinem aktuellen Album „To Syria With Love“ deutlich: „Es ist sechs Jahre her, dass ich weg musste, und ich bin es leid, nach meinen Lieben zu fragen. Meine Seele ist verwundet und es ist, als hätte ich Staub in den Augen. Wir sind im Exil, und unsere Nächte sind lang. Das Leben verursachte uns so viel Schmerz – unsere Wunden sind zu viele und jede Wunde schreit.“

Die genannte Platte ist ein perfekter Einstieg in diesen flirrenden Kosmos großer Gefühle. Sehr zugänglicher, gnadenlos zum Tanz animierender Ethnopop lockt clubtauglich mit Anspieltipps wie „Chobi“ oder „Khayen“. Beim genauen Hinhören finden sich sogar Parallelen zu gängigen Mittelalterrockkapellen und deren Metkrug-Sound. Wer es besinnlicher mag, lausche der sanften Folklore von „Mawal“. Schlussendlich erliegt man dem exotischen Zauber ebenso wie einst König Schahryâr seiner Scheherazade.

Ulf Kubanke

Ehemaliger Anwalt; nun Publizist, Gesprächspartner und Biograph; u.a. für Deutschlands größtes Online-Musikmagazin laut.de.

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