100 Jahre Bauhaus = 40 Jahre Bauhaus

In seiner Hörmal-Kolumne erläutert Ulf Kubanke, warum 100 Jahre Bauhaus auch 40 Jahre Bauhaus bedeuten.


Wenn es um 100 Jahre Bauhaus geht, geht es auch um 40 Jahre Bauhaus. Dies mag auf den ersten Blick kryptisch wirken. Bei näherer Betrachtung indes enthüllt sich das Mysterium. Bauhaus, die Band nämlich, begeht in diesen Tagen ihren 40. Geburtstag simultan zum 100. Wiegenfest der Design- und Kunstrichtung. Unübersehbar steht letztere Pate für den Bandnamen. Doch damit sind die konzeptionellen Gemeinsamkeiten längst nicht erschöpft.

Möchte man Bauhaus in einem Satz zusammenfassen, hieße dieser: Bauhaus sind bzw. waren vier höchst unterschiedliche Engländer, die in der ersten Hälfte des Jahres 1979 den Gothic Rock erfanden. Doch wie so oft bei Slogans gilt auch hier: Je griffiger desto treffender, aber auch desto verkürzender. Denn genau wie die Bewegung um Walter Gropius läuten auch die Brüder Haskins (Drums, Bass), Daniel Ash (Gitarre) sowie Sänger Peter Murphy eine komplett neue Ära ein. So markiert das 1919er Bauhaus den totalen Bruch mit dem Wilhelminischen Zeitalter. Es erfindet eine bis heute nicht altmodisch wirkende Ästhetik, der die Aura ewiger Moderne anhaftet.

Mit den musikalischen Nachkommen verhält es sich strukturell ähnlich. Zwar wird hier keine Monarchie zu Grabe getragen, wohl aber eine popkulturelle Diktatur aus Progressive Rock zur linken, Punkrock zur Rechten und Disco in der Mitte. Nicht von ungefähr kommt der Begriff des Postpunk auf. Ist es doch vor allem jene von Murphy und Co als grobschlächtig, flach und eindimensional wahrgenommene Richtung, deren Stumpfheit man Schärfe entgegensetzt, ohne den hohen Level explosiver Energie preiszugeben.

Teils berstend, teils bis ins chansoneske zurückgenommen erzeugen Bauhaus eine Welle absoluter Sinnlichkeit, deren mysteriöse Düsternis überwältigt. Besonders auf ihrer Debüt-LP „In The Flat Field“ huldigen sie mit jedem Ton jener monochromen Erscheinung, in der sich ebenso etliche Gegenstände der gleichnamigen Kunstrichtung bewegen. Man höre nur den Opener „Dark Entries“. Der Song ist ein glühendes Fest synästhetischer Wahrnehmung. Klänge zwischen Stroboskop und Stalinorgel, strenge Muster und flackernde bis hämmernde Kontraste planieren den Weg ins Gehör des Publikums. Live unterstützen sie diesen Effekt durch perfekt abgestimmte Lichteffekte und Peter Murphys darstellerisches Charisma.

Murphy setzt seine äußere Wirkung ein. In Gestik und Mimik schaut er sich viele Tricks bei stilbildenden Stummfilmen ab und kreiert eine komplett einzigartige Atmosphäre. Auf den Punkt gebracht kann man mit Fug und Recht konstatieren: Bauhaus sind die Murnaus des Postpunk. Auch hierin liegt eine Parallele zur künstlerischen Ausrichtung der innovativen Weimarer Phase.

Ob schneidig wie ein Bajonett, sezierend wie ein Skalpell oder wabernd wie eine Lavalampe – sie vermeiden stets Kitsch und Stereotypismen. Immer bleibt ihr Ansatz kreativ bis ins Mark. Wer sich näher mit ihrem Kernkatalog bis 1983 beschäftigt, erkennt unweigerlich, wie weit das Quartett bereits im Alter von 20-25 Jahren war. Die Vision, große Unterhaltung zu bieten, ohne sich dabei künstlerisch nach unten zu orientieren, trägt gravierend dazu bei. Keines ihrer Alben weist auch nur geringste Spuren von Patina auf. Mithin gelingt ihnen sogar die Integration heftiger Saxophon-Attacken aus der Freejazz-Abteilung oder dem Reggae entnommener Dub-Elemente. Balladenfreunde hingegen werden an der galeerenhaft wogenden Moritat „The Three Shadows Part II“ ihre finstere Freude haben. Der grandiose Song hat viel vom Geist von Jaques Brel oder Scott Walker. Mit dem tanzbaren „She’s In Parties“ verbuchten sie sogar einen veritablen Charts-Erfolg.

Doch all diese qualitativen Höhenflüge kommen nicht an jenem einen Stück vorbei, das ihren Namen für immer in die Musikgeschichte meißelt. Die Rede ist von „Bela Lugosi’s Dead“. Einerseits bilden diese zehn Minuten Urknall und ewigen Maßstab der nachfolgenden Gothic-Kultur. Gleichzeitig ragt die Bedeutung des einen Liedes weit über jegliche Szenegrenze hinaus. Vor 40 Jahren erschien das Kleinod. Es verkörpert einen der interessantesten Tracks der 70er, um diese durch seine Andersartigkeit lässig zu beenden. Seiner Zeit weit voraus beeinflusst der Song verschiedenste spätere Ikonen ihres Fachs. Zu den Jüngern zählen so unterschiedliche Künstler wie Massive Attack, Nine Inch Nails, Chris Cornell, Mike Patton oder Sepultura.

Sogar bei David Bowie errang das Lied 1982 Lorbeeren und bescherte der Band einen Auftritt in „Begierde“ bzw. „The Hunger“, einem Vampirthriller, in dem neben dem Thin White Duke auch Catherine Deneuve und Susan Sarandon glänzten. Verdient sind derlei Meriten allemal. Murphys inbrünstiges Timbre erhebt sich aus einem filigranen Geflecht nachtschattiger Percussion, Gitarren und Basstöne. Lugosi, erster und nie übertroffener Dracula-Darsteller, ließ sich willensgetreu im Kostüm jener Rolle bestatten, die ihm zeitlebens Fluch wie Segen bedeutete. Doch Bauhaus drehen den Pflock um und kredenzen statt eines Requiems eine untote Erweckungshymne. Vor des Hörers geistigem Auge erscheint das Bild des aufgebahrten Lugosi. Die Lider öffnen sich langsam, erfüllt von unirdischem Leben. Ein Lächeln auf den Lippen entblößt er lange, spitze Zähne, so scharf wie Rasierklingen. „Oh Bela….Bela’s undead.“

Ulf Kubanke

Ehemaliger Anwalt; nun Publizist, Gesprächspartner und Biograph; u.a. für Deutschlands größtes Online-Musikmagazin laut.de.

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