Der nimmermüde Tüftler

Zum 70. Geburtstag Jean Michel Jarres hat Ulf Kubanke ein Porträt parat.


Es gibt weltweit ein Geschäftsmodell mit der Katastrophe, mit Gewalt und Dunkelheit. Mit Furcht wird das meiste Geld verdient. Als Künstler muss man mit so etwas spielen, und es ins Gegenteil verkehren.

So spricht Jean Michel Jarre über die Triebfeder seiner Musik. Zum 70. Geburtstag blickt er auf ein große eigene Lebensleistung. Als Pionier der elektronischen Musik von Ambient bis hin zu tanzbarem Instrumentalpop steht der Franzose auf Augenhöhe mit Kollegen wie Tangerine Dream oder Kraftwerk. Als Popularisierer des Synthesizers darf man ihn getrost als Monsieur Moog bezeichnen.

Das künstlerische Talent wurde ihm bereits in die Wiege gelegt. Sein Vater ist der bedeutende Filmkomponist Maurice Jarre, der etwa die Musik zu „Lawrence Von Arabien“ oder „Doktor Schiwago“ schrieb. Als sprichwörtlicher goldener Löffel im Munde erwies sich diese Abstammung gleichwohl nicht. Jarre senior verließ die Familie, als Jean Michel ein Kleinkind war. Bis zu seinem 18. Geburtstag gab es keinerlei Kontakt. Auch danach blieb das Verhältnis väterlicherseits lebenslang desinteressiert und distanziert.

Umso interessanter gestaltet sich Jarres autarke Frühphase. Auf der Suche nach sich selbst und dem eigenen Ausdruck durchstreift er etliche Felder. So versucht er sich recht erfolgreich als Maler, erhält in seiner Heimatstadt Lyon Ausstellungen und lebt zeitweise von den Erträgen. Dennoch setzt sich die Besessenheit von der Musik letzten Endes mit Macht durch. JMJs Umtriebigkeit in den verschiedensten musikalischen Ecken begründet ein Netzwerk höchst unterschiedlicher Kontakte und Einflüsse. Letztere reichen von Jazz über die Klassik Strawinskys und Bachs bis hin zu Ray Charles oder Musique Concrete.

Das macht ihn zum Hansdampf in allen Gassen. Hier kreiert er ein Ballett für die Pariser Oper, dort schreibt er Texte für Stars wie die französische Kultsängerin Francoise Hardy. Nebenher komponiert er einen psychedelischen Soundtrack für den Alain Delon/Simone Signoret-Film „Les Granges Brûlées“ („Die Löwin Und Ihr Jäger“). Schon bevor er zu einer Schlüsselfigur der elektronischem Musik wurde, stellte Jarre bis Mitte 20 mehr innovative Kunst auf die Beine, als mancher Kollege im ganzen Leben.

„Ich bin keiner von denen, die immer behaupten, dass früher alles besser war. Wenn du zurück blickst, siehst du, dass das nicht stimmt. Warum soll das nicht auch für die Zukunft gelten?“ Dieses Credo unterstreicht sein methodisches Vorgehen. Er verbindet atmosphärische Gegensätze ebenso gern, wie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Ganz besonders deutlich zeigt sich dies in seinem Hauptwerk, den drei „Oxygene“-Alben. Das erste aus dem Jahr 1976 gilt heute berechtigt als Meilenstein des Genres. Mit über 12 Mio verkauften Einheiten ist es die weltweit meistverkaufte Platte eines französischen Musikers. Von surreal wabernden Flächenkompositionen bis hin zu rhythmisch sprudelnden Elektro-Geysiren ergießt sich eine Science Fiction-taugliche Klanglandschaft in des Hörers Ohrmuschel. Etliches elegant abgeschmeckt mit einem Hauch von Mahler, Bach und dem Denken Arthur C. Clarkes, mit dem Jarre befreundet war.

Alle 20 Jahre setzte er den Zyklus gemäß des obigen Mottos fort. Auch die beiden folgenden Teile überzeugen. Der Mittelpart verfügt 1997 über eine beschwingte, eher leichtfüßige Note. Im Grande Finale mischt er 2016 Melancholie und Leichtfüßigkeit zum hypnotischen Sud. Dennoch handelt es sich beim Klangmagier Jarre nicht um einen reinen Albenkünstler. Wie kein zweiter verfügt er als nahezu einziger Artist im Elektrozirkus über ein göldenes Händchen für pointierte Bonbon-Melodien. Ganz besonders die knallbunten Ohrwürmer „Eqinox 5“ und „Magnetic Fields 2“ mauserten sich zu Radiohits auf allen Kontinenten. Ein Aufhören kommt auch zukünftig nicht in Betracht. „Musik ist für mich wie kochen. Es ist eine höchst sinnliche Angelegenheit, wenn du die richtigen Zutaten findest.“

 

Ulf Kubanke

Ehemaliger Anwalt; nun Publizist, Gesprächspartner und Biograph; u.a. für Deutschlands größtes Online-Musikmagazin laut.de.

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