Die potente Philosophin
Die Philosophin Svenja Flaßpöhler hat ihre Sicht auf den #Hashtag-Feminismus nun in einer Streitschrift veröffentlicht. Ist es ein philosophisches Buch? Jörg Friedrich hat es gelesen.
Als ich das erste Interview von Svenja Flaßpöhler zur #metoo-Debatte gesehen hatte, war ich begeistert. Ich schrieb bei Facebook, das dieses Interview ein schönes Beispiel dafür sei, wie eine Philosophin sich zu einem aktuell-politischen Thema äußern könne: reflektierend und auf Konsequenzen und tiefere Gründe von Argumentationen hinweisend, somit verstörend und zum kritischen Hinterfragen anregend.
Nun hat Flaßpöhler ihre Gedanken zu diesem Thema in einem Buch zusammengestellt, und auf dem Cover steht das Wort „Streitschrift“. Ist es ein philosophisches Buch? Ist alles, was eine Philosophin zu einem Thema in mehr als drei Sätzen sagt, Philosophie, insbesondere, wenn sie auf Standpunkte und Traditionen von Philosophien verweist und darauf wiederum die eigene Argumentation aufbaut? Spricht eine Philosophin immer, wenn sie sich öffentlich, aber monologisch äußert, als Philosophin, ist der Monolog also als Stück Philosophie aufzufassen?
Das ist eine schwierige Frage, aber immerhin muss sich ein solcher Text philosophische Rückfragen gefallen lassen, insbesondere bezüglich der Stellen, an denen er philosophische Argumente referiert. Zwei Stellen will ich genauer ansehen:
Die Pflicht zur Selbstverantwortung
Einmal geht es um Autonomie und um die Pflicht, die jede Person habe, sich selbst aus seiner Unmündigkeit zu befreien. Ein Gedanke, der mir eigentlich sehr gefällt. Flaßpöhler meint, jeder Mensch, der Handlungsoptionen hat, ist auch dazu verpflichtet, diese Optionen zu prüfen und trägt selbst die Verantwortung dafür, welche Option er wählt.
Ich stimme dem zu und ich vertrete auch den Standpunkt, dass jede Person viel freier ist, als wir es im Alltag darstellen. Oft reden wir vom Zwang der Verhältnisse, wir sagen, dass wir keine Wahl haben, und reden uns dabei doch nur heraus, entschuldigen unsere Feigheit oder unseren Opportunismus. Ich bin dafür, immer wieder deutlich zu machen, dass wir fast immer eine Wahl haben, und ich stimme Flaßpöhler völlig darin zu, dass Veränderung immer damit anfängt, dass wir eine Wahl treffen, die uns das Leben nicht gerade einfacher macht.
Aber ist es wirklich so einfach, dass damit die ganze Verantwortung dem einzelnen Subjekt, das Optionen hat, zufällt?
Reden wir abstrakt: Wir haben zwei Personen, Alice und Bob. Bob möchte auf dem Gebiet A etwas erreichen, wofür er die Unterstützung von Alice benötigt. Er bietet ihr dafür eine für das Gebiet A legitime und anerkannte Gegenleistung an. Alice aber fordert von Bob eine Gegenleistung auf dem Gebiet B, das mit A überhaupt nichts zu tun hat und nicht als legitime Gegenleistung für das, was Bob von Alice wünscht, angesehen werden kann.
Man könnte sagen, dass Bob dazu gezwungen ist, auf Alices Forderung in B einzugehen, weil sie die Macht hat, Bob die notwendige Unterstützung für sein Ziel in A zu verweigern. Die Hashtag-Aktivisten würden das anprangern und vom Staat wirksame Mechanismen fordern, die Alice zwingen, auf Bobs Dienst in B zu verzichten.
Flaßpöhler würde erwidern, dass Bob ja durchaus die freie Wahl hat, er kann Alices Forderung in B akzeptieren, um sein Ziel in A zu erreichen – oder er kann sich in B verweigern, erreicht dann in A nicht sein Ziel und sucht sich ein anderes Ziel.
Wenn man die Sache so abstrakt formuliert, dann sieht man, dass sich eine ganze Reihe schwieriger Fragen der Bewertung von A und B auftun. Ist es Bob zuzumuten, auf sein Ziel in A zu verzichten? Ist es moralisch akzeptabel für eine Leistung auf einem Gebiet eine Gegenleistung auf einem anderen zu verlangen. Was darf A und was darf B sein, damit das akzeptabel ist? Welche As und welche Bs gibt es, bei denen man von einer Wahl für Bob sprechen kann, wann können wir sagen, dass er eben doch keine Wahl hatte?
Kann ich wissen, wie es ist, ein Mann zu sein?
Die andere Stelle, bei der Flaßpöhler explizit philosophisch argumentiert uns sich mithin philosophische Nachfragen gefallen lassen müsste, ist die wo sie mit einer „Neuen Phänomenologie“ argumentiert. Es sei mal dahingestellt, ob diese Phänomenologie des Leibes wirklich so neu ist. Auch ist es bedenklich, dass sie einfach so schreibt: „Nicht das Sein, sondern der Schein ist die Grundlage der Erkenntnis“ in der Phänomenologie. Mir scheint die ganze Argumentation, die sich da anschließt, schwach.
Gewiss kann ich nicht wissen, wie es ist, eine Fledermaus zu sein. Aber kann ich wissen, wie es ist „ein Mann“ zu sein, kann jede Frau wissen, wie es ist „eine Frau“ zu sein? Nimmt man die Leibphänomenologie ernst, kann jede Person erst mal nur wissen, wie es ist, sie selbst zu sein, ich weiß wie es für mich ist, einen Penis zu haben, aber ich weiß nicht, wie es für einen anderen Mann ist. Die Verständigung darüber, dass es für jemanden anders ähnlich ist, das gleiche Körperteil zu haben wie ich, ist nicht so einfach – und sie ist vor allem kulturell, sprachlich vermittelt und hängt an Bedeutungen, die bereits vorgefunden werden. Wie es ist, einen Penis zu haben, „weiß“ ich womöglich schon lange bevor ich das erste Mal etwas mit diesem Körperteil erlebe, was mit Sexualität zu tun hat. Und ich erlebe (interpretiere, deute) in meine Erfahrungen meine Erwartungen mit hinein. Die interessanteste Erkenntnis der Phänomenologie ist ja gerade, dass ich eben nicht mich selbst erlebe, sondern das, was „man“ erlebt. Daran ändert auch die Leibphänomenologie nichts.
Und die Sache wird noch problematischer, wenn Flaßpöhler den Begriff des Erlebens der Frau (oder des Mannes) auf die Potentia ausdehnt, also auf die Möglichkeiten. Weiß ich, wie es ist, einen Samenerguss haben zu können, bevor ich ihn zum ersten Mal gehabt habe? Weiß eine Frau, wie es ist, schwanger werden zu können, bevor sie das erste Mal schwanger geworden ist? Wenn ja, dann eben nur vermittelt über das „Man“, denn „man weiß“ wie es ist, weil man weiß, dass man jemand ist, der das erfahren könnte, und weil andere einem schon gesagt haben, wie es sein wird, wenn man es mal erleben wird.
Es ist eine Streitschrift
Diesen Schritt geht Flaßpöhler leider nicht und sie bleibt damit auf halber Strecke stehen. Man könnte sagen: Das Buch ist nur gut 40 Seiten lang. Es ist eine Streitschrift, es ist keine Philosophie, sondern Politik, die mit ein paar philosophischen Gedanken und Thesen argumentiert. Das würde dann zeigen, dass die philosophische Argumentation zu dem Thema eben noch fehlt. Aber die ist eben nicht sexy, mit der kommt man nicht ins Rundfunkprogramm und nicht in die Feuilletons. Und in die muss man hinein, wenn man den einseitigen Deutungen der Hashtag-Aktivisten etwas entgegensetzen will.
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