Dauerschwellender Bocksgesang

Was ist eigentlich eine Kolumne? Werner Felten hat keine Ahnung. Deswegen fühlte er sich prädestiniert, eine Kolumne über die Epidemie der Kolumnenschreiberei zu verfassen


Was treibt Menschen an, anderen ungefragt ihre Sicht der Dinge zu erklären: Rechthaberei oder Eitelkeit? Beides! Noch schlimmer als der Kolumnist ist sein kleiner alberner Bruder: Der Schwadroneur. Thomas Mann hat ihm in seinem Roman „Der Zauberberg“ in Person des Mynheer Peeperkorn ein Denkmal gesetzt. Das ist umso lustiger, weil der Autor und selbst ernannte Dichterfürst in seiner grenzenlosen Eitelkeit jedem und allen seine wahre Sicht der Dinge mitteilen musste.

Was ist eigentlich eine Kolumne?

Kolumne: Ist das jetzt Gepolter am Stammtisch oder ein Leserbrief oder ein längerer Post auf Facebook ohne Rechtschreibefehler? Oder eine Predigt ohne Verhaftung im Göttlichen? Und was ist denn mit der Satire, dem Kommentar oder der vornehmsten Form der Schlaumeierei: der Glosse?

Wiki und seine Freunde wissen alles: “Die Kolumne unterscheidet sich vor allem in Abgrenzung zur Glosse dadurch, dass diese stark personalisiert ist und weniger recherchiert. Die Autoren werden zu öffentlichen Figuren hochstilisiert.“ Hier muss energisch widersprochen werden: Die Autoren von Kolumnen recherchieren nie, stilisieren sich selbst zu was auch immer oder leiden schlichtweg an Hirnwichserei.

Ein Kerl muss eine Meinung haben, so Alfred Döblin in den zwanziger Jahren des 19 Jahrhunderts. Frauen hatten damals keine Meinung zu haben, und auch heute sind wenige unter den Kolumnenschreibern zu finden. Denn die meisten Frauen sind klug, sie lassen den Gockeln gerne den Vortritt, sich mit schwellendem Kamm auf den medialen Misthaufen zu stellen und ihre Meinung zu jedem und allem zu krähen. Die Hähne sind die Nachfahren der Böcke aus der griechischen Tragödie, nur dass sie nicht wie in der Antike dem Gott Dionysos huldigen, sondern sich in ihrem dauerschwellenden Bocksgesang selbst verehren.

Studienräte schreiben Leserbriefe

Der Leserbrief war in alten Zeiten die häufigste Form, unaufgefordert seine Meinung zu verbreiten. Er wurde gern genutzt von pensionierten Oberstudienräten, die vor lauter Verzweiflung, dass schon ihre Schüler ihnen nicht zugehört hatten, um der Menschheit oder wenigstes den Lesern einer Zeitung, die Welt zu erklären. Nun klingt Leserbrief irgendwie hausbacken, Kolumne dagegen staatstragend und erhebt den Verfasser in den Adelsstand der Besserwisserei. Nun ist Besserwisserei das nette Synonym für Klugscheißerei. Jede Menge Meinung, aber keine Ahnung. Wenn es ganz schlimm kommt, schreibt manch einer sogar ein ganzes Buch darüber. So geschehen, als ein Mitglied des Vorstandes der Bundesbank in seiner Dienstlimousine vor einem Bushaltehäuschen zum Halten kam, und er dort „drei Kopftuchmädchen“ warten sah. Seine von ihm in Auftrag gegebenen Ergüsse krempelten gleich das ganz Land um. Dem Land sei Dank, beschränken sich die meisten Kolumnisten auf kürzere Abhandlungen und haben meistens nur 25 Likes als Unterstützer.

Die eleganteste Form eine Kolumne anzufangen, ist der Satz: „Jetzt muss ich auch mal meinen Senf dazugeben“. Denn dauerschreibende Kolumnisten haben ein sich nie leerendes Senfglas neben ihrem Rechner stehen. Und wie soll sich der geneigte Leser von Kolumnen die Verfasser vorstellen: Überwiegend ältere Männer, mit wenig Haupthaar und Bauchansatz, die ihre Meinungswürste ständig in das Senfglas tauchen, deren einzige Erektion der erhobene Zeigefinger ist? Das ist der Moment, in dem junge Menschen verzweifelt aufschreien, dass ihnen alte Kerle die Welt erklären wollen, die sie selbst nie verstanden haben. Es gibt auch jüngere Exemplare, die ihrer Kolumne keck ein Brustbild von sich voranstellen. In Anzug und Krawatte, optimistisch grinsend, vermutet der Leser in ihnen entweder einen Versicherungsvertreter oder einen Vermögensverwalter.

Kolumnisten sind auch nur Menschen, die keine Ahnung haben

Der Höhepunkt der Lustigkeit ist erreicht, wenn Kolumnisten, die ewig über ein Thema rhabarbern, über das sie, erkenntlich aus ihrem schmalen Lebenslauf, keine Ahnung haben, den Fachleuten auch noch gute Ratschläge erteilen. Zur Zementierung ihrer Meinung schreiben sie gerne: Eine Studie hat ergeben, einer Umfrage folgend. So lassen sie andere an ihrer Dummschwätzerei teilhaben.

Ludwig  Wittgenstein hatte es vorausgesehen. Seiner Beobachtung „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“ wurde erst im  Zeitalter der elektronischen Meinungsverbreitung die wahre Bedeutung zuteil.

Seien wir ehrlich: Hinter jedem Leserbrief, jeder Kolumne oder jedem Facebook Post steckt doch nur ein verzweifelter Mensch / Mann: Verdammt noch mal, warum hört denn keiner auf MICH!

Übrigens meine nächste Kolumne erscheint Morgen um 8:15 Uhr: „Das Sterben des Regenwaldes am Amazonas“. Ich kann zwar keine Buche von einer Lerche unterscheiden, wo der Amazonas so genau liegt, weiß ich auch nicht. Kein Problem: Ein paar Klicks im Internet und schon habe ich meine Meinung.

Der Autor
Werner Felten ist auch ständig empört, aber zu faul, seine wichtigen und maßgeblichen Meinungen in die elektronische Umlaufbahn zu senden. Beharrlich weigert er sich, im Netz Texte, die mehr als 2.500 Zeichen (inklusive Leerzeichen) umfassen, zu lesen, geschweige denn zu schreiben.  Er beschränkt sich mehr auf das Verbale. Seine Familie verlässt dann immer schweigend den Raum. Der Einzige, der auf ihn hört, ist sein Hund; der aber auch nur selten.

 

Werner Felten

Werner Felten (58) schrieb während seines Studiums der deutschen Philologie in München, Glossen und Kolumnen u.a. für die "Süddeutsche Zeitung". Nach seiner journalistischen Ausbildung beim Südwestfunk, leitete er mehrere deutsche Radiounternehmen in Erfurt, Leipzig, Stuttgart und Berlin. Dort entwickelte er das erste türkisch-sprachige Radio in Deutschland. Hierfür erhielt er 2003 den „B.Z. – Kulturpreis“. Über seine Erfahrungen in der deutsch-türkischen Community berichtet er in seinem Buch "Allein unter Türken" (Südwest Verlag 2010). Heute schreibt Werner Felten für die Deutsche Welle, Migazin, vorwärts, hält Vorträge, moderiert und geht gelegentlich als Comedian auf die Bühne. Videoporträt: http://blogs.dw.com/treffpunkt/werner-felten/

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