Höllenjazz mit Ulf Kubanke, Ray Celestin & Frank Zappa

„Höllenjazz in New Orleans“ von Ray Celestin ist mehr als nur ein Krimi. Sören Heim hat sich den Titel zum Deutschlandstart angeschaut und als musikalische Verstärkung den Hörmal-Kollegen Ulf Kubanke mit ins Boot geholt. Die erste kollaborative Literatur/Musik-Kolumne für DieKolumnisten.


Beginnen wir mit dem größten Manko: Höllenjazz in New Orleans? Was haben sich die Verantwortlichen nur bei diesem Titel gedacht? The Axemans Jazz heißt Ray Celestins fast rundum gelungener Roman im Original. Ein eleganter Titel, der ein Leserspektrum von Krimijunkies bis zum High-Brow-Fetischisten mit morbider Ader ansprechen könnte und zugleich auf die realen Morde in New Orleans zwischen 1911 und ’19 verweist, die der Krimihandlung zu Grunde liegen. Höllenjazz – das klingt dagegen doch ein wenig billig. Und der Roman hat das Niveau, auch anspruchsvolle Leser zu begeistern. Es ist mindestens ebenso sehr Großstadtroman wie Krimi und schafft es, ein seltenes Kunststück, sowohl The Big Easy anschaulich zum Leben zu erwecken, als auch eine spannende und durchdachte Geschichte zu erzählen. Aus Marketingperspektiven immerhin ist die Titelwahl vielleicht nicht so schlecht. Ohne den New-Orleans-Bezug hätte ich wohl keinen zweiten Blick gewagt – ich recherchiere gerade zur Geschichte der Stadt. Den Suhrkamp-Intellektuellen wird Höllenjazz allerdings so wohl größtenteils verschlossen bleiben. Andererseits ist das dann auch deren Problem.
Um möglichst viele Leser anzufixen, habe ich mir diesmal Verstärkung von Ulf Kubanke geholt, der die Buchbesprechung mit atmopsphärisch passenden Anspieltipps würzt.1

New Orleans ist anders“

„In New Orleans ist alles anders (…) Sicher, es ist eine amerikanische Stadt, aber es ist eine amerikanische Stadt, die nach einem französischen Herzog benannt wurde, in einem Staat, der einen französischen König im Namen trägt. Wir trinken unseren Kaffee anders, kochen anders, spielen andere Musik. Wir benennen unsere Plätze nach afrikanischen Ländern und unsere Straßen nach griechischen Mythen. Wir begraben unsere Toten über der Erde, bauen unsere Stadt aber unter dem Meeresspiegel. Wir feiern Mardi Gras und nicht den Faschingsdienstag, wir haben Parishes und keine Counties, wir verbieten das Laster nicht, wir legalisieren es (…)“

So beschreibt Bürgermeister Behrman in einer seit Jahren eingeübten Rede die Vorzüge seiner Stadt. Kitsch, findet Journalist Riley, der der Polizei bei den Ermittlungen zu den Axeman-Morden auf den Fersen bleibt. Die tappt nämlich seit Ewigkeiten im Dunkeln. Autor Celestin tut im Laufe der minutiösen Untersuchungen der Mordumstände sein möglichstes, den Leser an die verschiedenen Ecken und durch die verschiedenen Milieus der Stadt zu führen, und dem idealisierten offiziellen Bild von The Big Easy ein drohendes, brutales, triebhaftes, manchmal schaurig schönes Gegenbild zu zeichnen. Denn (so wieder Riley):

„New Orleans war anders – es war die dunkle Seite Amerikas. Die frankophone Bevölkerung, das Verwischen von Rassengrenzen, das tropische Klima– der Rest des Landes betrachtete New Orleans als exotische, fremde Enklave, versteckt im Herzen des tiefen Südens. Ein Ort, der mehr gemein hat mit den düsteren, dampfenden Häfen der Karibik und Brasiliens als mit den Städten des puritanischen Nordens“

Ist das das „echte“ New Orleans? Hey, ich war nie da, und schon gar nicht um 1918. Aber dieses New Orleans zwischen Marktszenen, wo die Einwandererkulturen aufeinanderprallen, sumpfigem Bayou, wohin die alten französischen Creolen und die Schwarzen gedrängt wurden, Hafen, Jazzclub, Puff und Missisippi-Dampfer ist ein faszinierendes Szenario für einen Krimi. Und, so eine These des Romans: gewissermaßen der eigentliche Mörder.

Die Axeman-Morde

Darum geht es. Seit mindestens 1917 schlachtet ein unbekannter Axtmörder vor allem italienische Amerikaner ab. Beim Morden geht er äußerst brutal vor, alles drumherum scheint akribisch geplant. In den Schädeln der Opfer hinterlässt er Tarotkarten. Die weißen Einwohner New Orleans schreiben die Tat allein schon wegen der Bestialität einem Schwarzen zu. Die Tarotkarten lassen an ein Voodoo-Ritual glauben. Bei der Polizei ist man sich nicht so sicher. „Einwanderer bleiben unter sich“, und wenn Italiener gemordet werden ist wahrscheinlich ein Italiener Schuld. Der NSU lässt grüßen. Doch der Axeman bleibt unauffindbar. Irgendwann erreicht Journalist Riley ein Brief, in dem vorgeblich der Mörder fordert:

„Also, um genau zu sein, werde ich New Orleans in der nächsten Dienstagnacht um 00:15 Uhr (irdischer Zeit) beehren. Doch in meiner unendlichen Gnade möchte ich Euch Menschen einen kleinen Vorschlag machen. Er lautet wie folgt:
Ich bin ein großer Liebhaber der Jazzmusik, und ich schwöre bei allen Teufeln der Unterwelt, dass jeder verschont werden soll, in dessen Haus zum oben genannten Zeitpunkt eine Jazzband spielt. Wenn überall Jazz gespielt wird, nun, dann umso besser für Euch Menschen. Eines ist sicher, und zwar, dass einige von Euch, die in jener Dienstagnacht nicht jazzen (falls es welche gibt), die Axt zu spüren bekommen werden“.

Celestin lässt insgesamt vier Personen oder Gruppen sich auf die Spur des Axtmannes begeben. Für die Polizei ermittelt der ungeliebte Michael Talbot, der vor einigen Jahren den Kollegen Luca D’Andrea wegen Mafiaverbindungen in den Knast gebracht und sich damit selbst in der Truppe mehr Feinde als Freunde gemacht hat. Luca wurde gerade wieder auf freien Fuß gesetzt, er klemmt sich gezwungenermaßen für die „Familie“ hinter den Fall. Auf eigene Faust macht sich die junge Pinkerton-Detektivin Ida Davis an die Arbeit, ihr steht ein Watson-artiger Sidekick bei, auf den ich noch gesondert eingehen werde. Und dann ist da natürlich noch unser bereits bekannter Journalist. Celestin nutzt das breite Figurenspektrum klug, lässt die Stränge geschickt auseinander und wieder zusammen laufen und verliert trotz dem sichtlichen Bemühen, New Orleans in all seinen Facetten zu zeigen, nicht aus den Augen, dass, wer einen Text als Krimi aufbaut die Krimihandlung auch stringente und spannend entwickeln sollte. Keiner der Handlungsstränge wirkt einfach nur aufgesetzt, alle erfüllen ihre Funktion in der Logik des Ganzen. Für Freunde nicht ganz trivialer Krimis klare Leseempfehlung.

Die Stadt

New Orleans entsteht im Roman plastisch als multikulturelle Metropole, die von einem Netz allgegenwärtiger Verdächtigungen durchzogen wird, das vor allem entlang ethnischer Linien verläuft. Mit bildhaften Beschreibungen steckt Celestin die Atmosphäre ab, etwa:

„Mitten auf dem Markt drängten sich die Kunden um die Stände der Bauern; es war Mittagszeit, und in der Ferne rollte eine Werbekutsche eine Straße hinunter, auf deren Pritsche ein Jazzensemble spielte, um die Aufmerksamkeit der Menschen zu erregen.
Die Jazzklänge vermischten sich mit den Liedern der Händler, und Ida überlegte, ob es in anderen Städten auch so war, dass die Musik sich immer Gehör verschaffte, dass sie entweder nah und ungestüm oder weich und fern durch die Straßen geisterte. Sie dachte an den kreolischen Ausdruck gumbo ya-ya – gumbo bedeutete »Mischung«, und ya-ya hieß »reden«, und zusammen hieß das »alle reden gleichzeitig«.“

Doch zum Glück belässt er es nicht dabei. Die gespaltene Stadt ist in Höllenjazz nicht Folklore, sondern in den Äußerungen und Handlungen von Haupt- und Nebencharakteren gegenwärtig und nicht zuletzt von unmittelbarem Einfluss auf die Handlung. Wie die sozialen und ethnischen Spannungen die Vorstellungen vom Axeman prägen, wurde bereits angerissen. Und auch die Protagonisten haben sich mit den allgegenwärtigen Vorurteilen und dem Rassismus des Deep South auseinanderzusetzen. So ist etwa Polizist Michael erpressbar, da er mit einer Schwarzen zusammen lebt. Ermittlerin Ida hat selbst schwarze Vorfahren und wurde aufgrund der One-Drop-Rule bei der Polizei abgelehnt. Aber auch in den Schwarzenvierteln wird sie kritisch beäugt.

Luca verschlägt es bei seinen Untersuchungen unter anderem in die stickige, armutgeplagte Sumpflandschaft des Bayou. Dort lernt er unter anderem Voodoo weniger als schillernden „Aberglauben“ akzeptieren, denn als die Tätigkeit von Heilern, da sich die Bewohner des Bayou Ärzte nicht leisten können. Die offiziell stillgelegten, noch immer frequentierten Rotlichtetablissements von Storyville, die Touristenstraße Elysian Fields, der Hafen, der Mississippi – alles findet seinen wohlüberlegten Platz in Höllenjazz. Anders als reine Spannungsautoren, die, nachdem sie eine Szenerie einmal etabliert haben, sich rein auf das Vorantreiben der Handlung konzentrieren, trifft Celestin die richtige Balance, um die Atmosphäre lebendig zu halten und sie trotzdem nicht zum reinen Selbstzweck verkommen zu lassen.

Die Musik

Der erste Teil des Romans beginnt mit einer Trauerprozession. Gleich fünf Blaskapellen begleiten den Sarg eines Verstorbenen. Die Stimmung kippt: Katholische Totenlieder gehen in wilde Jazzmelodien über. In dem ganzen Trouble nimmt die Ermittlerin Ida mit dem jungen Jazztrompeter Lewis Kontakt auf – und zieht den Freund in einem Fall hinein, dessen Ausmaß die beiden noch nicht erahnen können. Gemessen an diesem Auftakt, am Titel und an der eindeutigen Forderung des Axemans nimmt die Musik in der Folge nicht all zu viel Raum ein. Ja: manchmal weht eine passende Melodie durch die jeweilige Szenerie. Man trifft sich schon mal in verrauchten Jazzclubs und auch in den Bordellen von Storyville wird musiziert. Doch wenn man bedenkt, dass Idas Freund und späterer Watson niemand anders ist als der allerdings sehr frei gestaltete junge Louis Armstrong, hätte es hier ruhig ein wenig mehr sein dürfen. Mehr Passagen wie diese:

„In dem ganzen Durcheinander lachten Menschen und tranken Mondlicht oder fielen einander taumelnd in die Arme, und im Fallen zerrissen ihre Kleider, und ihre Augen flammten rot auf. Andere hakten sich bei den Dämonen unter und tanzten zur Musik von Blaskapellen, die in einem dunklen Land jenseits der Stadtgrenzen fremdartige Nocturnes spielten. Die Musik wurde lauter und immer lauter, ging in ein beharrliches Läuten über, unaufhaltsam, wie ein schmerzhaftes, dumpfes Trommeln.“

Auch sprachlich: ein wenig mehr Mut zur Moderne, zur Gestaltung der Sprache im Geiste des frühen, noch wenig von kommerziellen Vorstellungen glattgebügelten New Orleans Jazz. Das müsste ja nicht gleich so radikal geschehen wie in Toni Morrisons Jazz, ein wenig mehr, das würde schon reichen. Dennoch spürt man, eine Analogie zu Morrison, auch wo die Musik fehlt durchaus deren Brodeln: Celestins Höllenjazz macht dem Titel (meist) alle Ehre.

Nicht so glücklich ist dagegen die Besetzung der Watson-Rolle mit Armstrong. Nicht, dass der Charakter im Buch nicht funktionierte, doch es hat seinen Grund warum die meisten Autoren historischer Romane lieber das Umfeld der Könige behandeln als die Könige selbst: Dass sich Schmücken mit den Großen, es hat etwas von Holzhammer, von Fanservice, von fremden Lorbeeren eben. Und es nötig den Leser zum Vergleichen. Ein sicher spannendes Unterfangen. Aber dann muss der Vergleich auch auf etwas Neues stoßen, wie etwa jener mit Charlie Parker in Cortazars Der Verfolger. Und das gelingt im Fall des junge Lewis-Louis nicht wirklich. Ein fiktiver Musiker hätte es genauso gut getan, und das heißt hier: besser.

Abseits davon: Ein begeisternder Roman, der es schafft, Anspruch und klassischen Krimi engzuführen. Ich überlege tatsächlich, mir das Buch noch einmal auf Englisch zuzulegen, um zu prüfen, wie viel es noch durch die muttersprachliche Gestaltung, Dialekte und Local Colour zu gewinnen vermag.

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1Ulfs Anmerkung zu den verlinkten Soundtracks zur Kolumne:

Offenkundig verstehen sich die von mir angebotenen Tracks nicht als authentische, zeitgenössische New Orleans-Skizze. Das wäre in Anbetracht des schmalen Fensters „geographische Herkunft“ und „zwischen 1911 und 1918“ auch ein sehr limitiertes Vergnügen; sowohl bzgl der Tonqualität als auch der stilistischen Kinderschuhe von Jazz’n’Blues.

Meine Inspiration bewegt sich zur Untermalung der Kolumne eher im Gleisdreieck ihrer vermittelten Stimmung „Höllengroove“ trifft „Film Noir“ – ganz ohne Rücksicht auf Erscheinungsdatum oder Herkunft der Musiker. Die Ausnahme ist Dr. John. An diesem Urgestein, der in nahezu jede Facette des Bayou verkörpert, kommt man einfach nicht vorbei.

Ebensowenig an Frank Zappa, der so schön zum Titel des Romans passt und hier sein musikalische Schlusspunkt sein soll.

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

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