Erinnerungswolken

Tina Schlegel räumt zu Hause auf, stolpert über Erinnerungsstücke an längst verflossene Beziehungen und überlegt nun: was soll ich behalten, was werfe ich in die Mülltonne und was schicke ich ihm zurück?


Ich habe diese Woche Post bekommen. Nein, nichts Explosives, das ich dann zur Polizei hätte bringen müssen, auch kein Lego, das ich gerade für meine Tochter zu Weihnachten ersteigere; nein, etwas ganz anderes: Kleidungsstücke, die noch bei einem Ex-Freund gelegen hatten. Hab mich sehr gefreut, weil ich sie mir schon länger gewünscht und darauf gewartet habe. Schnell ausgepackt und dann lagen sie da, erinnerungsschwer könnte man meinen, aber das war es nicht, was mich zum Nachdenken brachte.

Erinnerung in Plastiktüten

Werden wir älter, dann haben wir natürlich auch verschiedene Partner (gehabt), die wenigsten bleiben ja tatsächlich mit ihrer Sandkastenliebe zusammen. Daraus folgt natürlich auch die Ansammlung von Erinnerungsstücken. Was macht man damit? Manchmal teilt man vielleicht ganz rational die entsprechenden Sachen wieder auf, trennt sich und jeder ist zufrieden. Manche müssen radikal alles entsorgen, was an den Partner erinnert, machen gar Dinge kaputt. Gewiss hängt es davon ab, wie eine Beziehung auseinanderging. Wenn sich die Beziehung für den einen ausschleicht und er oder sie denkt, es sei so offensichtlich, dass es gar nicht erwähnenswert wäre, der andere aber eine komplett andere Wahrnehmung hat, dann ist der ausgesprochene Schlussstrich doch ein Schock.

Oder wer lange um den anderen kämpft und lange hofft, muss vielleicht wirklich erst einmal einen harten Schnitt machen und alles verschwinden lassen, was ihn an die Vergangenheit erinnert. Ich habe das einmal gemacht. Ein sehr übles Ende vor vielen Jahren. Da habe ich alles in der Wohnung eingesammelt und in eine Plastiktüte gepackt und dann dem Mann vor die Füße geworfen. Schon in dem Moment wusste ich, dass das nicht ich bin, viel zu theatralisch, aber damals agierte ich eben sehr impulsiv – manchmal bestimmt nicht schlecht, seinen Gefühlen ungefiltert freien Lauf zu lassen. Ansonsten habe ich gern Erinnerungsstücke, sogar an unglückliche Lieben. Es dauerte eine Weile, bis ich jene Musik wieder hören konnte, in der dieser tolle Gitarrist mitwirkte, in den ich vor einigen Jahren so Hals über Kopf und sehr grundlos verknallt war. Tatsächlich, es war ein euphorisches Verliebtsein verbunden mit einer großen Portion Neugier auf diesen Menschen. Inzwischen höre ich die Musik und finde den Mann noch immer ungeheuer spannend, und wenn er dies jetzt liest, dann schmunzelt er, und falls wir einander begegnen, dann würden wir beide lachen.

Die Dinge sind gut, wie sie gerade sind, Neugier im Raum zu haben, ist ja auch nichts Schlechtes. Immerhin habe ich mich damals erinnert, wie verrückt schön es sich anfühlt, so jugendlich, haltlos verknallt zu sein. Das darf gern wieder passieren. Ob ich deswegen die CD aufhebe? Irgendwie wohl schon. Jetzt mit Abstand erinnert sie mich nicht an den Kummer, sondern vor allem an dieses tolle Gefühl, das ich hatte. Da kann dieser Mann gar nichts für. Behält man Erinnerungsstücke also auch deshalb, weil man sich an sich selbst erinnern möchte? Wie man sich einmal fühlte? Ganz unabhängig von dem anderen Menschen? Ich denke ja.

Teekannen für die Liebe

Meine Post schlängelt sich über den Glastisch, winkt mir zu, verlangt, dass ich etwas mit ihr mache, allein ich weiß  nicht so recht was … Ohne dass bei mir zuletzt ungute Gedanken im Raum waren – ich wollte diese Dinge einfach zurück. Hatte ich mir eigentlich überlegt weshalb?

Erinnerungsstücke sind wie Wolken, mal wünschen wir sie uns herbei, damit sie uns Schutz vor der Sonne bieten, mal würden wir sie am liebsten wegschieben, wenn sie Regen bringen, Schäfchenwolken hingegen können wir stundenlang beobachten und werden dabei innerlich beruhigt und glücklich. Das Problem ist nur, dass zwei Menschen am Ende einer Beziehung aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf diese Erinnerungswolken schauen. Verständlich. Alles Gemeinsame soll plötzlich wieder zurückgeführt werden in Privates, doch was dem einen als zu privat erscheint, um es bei einem fortan „Fremden“ zu belassen, bedeutet dem anderen eine wertvolle Erinnerung. Ganz besonders schwer wird es, wenn es sich um wirkliche Geschenke handelt und ich spüre, dass bei einigen jetzt der Puls schneller geht, aber vielleicht waren dennoch manche schon einmal in der Situation, dass sie ein sehr persönliches Geschenk lieber zurück hätten. Eine Teekanne wäre jetzt nicht so das Problem.

Apropos Teekanne. Mein erster ernstzunehmender Freund hat mir zum ersten gemeinsamen Weihnachtsfest eine Teekanne geschenkt. Wir waren sehr jung und ich war so entsetzt, dass ich dachte, das war’s. Eine Teekanne! Mir! Weshalb?!? Es war nicht so schwer herauszufinden: Ich war seine erste Freundin, also auch die erste zu beschenkende Frau und wen bittet Mann da um Rat? Genau, die Mutter. Die fand eine Teekanne ganz toll, und da ich ja gern Tee trinke (naja …) auch passend. Ich hab mich damals beruhigt und war viele Jahre mit dem Teekannen-Schenker zusammen und man glaubt es kaum, inzwischen bin ich alt genug, dass alle, die bei mir sind, diese tolle Teekanne bewundern, war nämlich wirklich ein sehr besonderes Stück.

Intuition für Schäfchenwolken

Das bringt mich zu einer weiteren Beobachtung: Als ich damals die Plastiktüte mit den Erinnerungsstücken packte und dem Mann vor die Füße warf in einem recht hysterischen Anflug von Wut, hatte ich sehr wohl sortiert, ganz intuitiv. Die Teekanne habe ich behalten, die hatte mir zu dem Zeitpunkt schon gute Dienste erwiesen (Potential für viele Schäfchenwolken), und vor allem – und das ist viel erstaunlicher –: Einen Ring habe ich auch behalten. Mein Lieblingsring, den wollte ich einfach nicht … Nein, da war im Bruchteil einer Sekunde klar, dass dieser Ring zu mir gehört. Intuition. Er wird mich immer begleiten und nie hatte ich ein schlechtes Gefühl dabei. Trotz allem. Jahre später sollte mir ein anderer Mann einen Ring aussuchen und dieser sollte so ähnlich sein (aber eben nur so ähnlich, nicht gleich gut), so dass ich zum ersten Mal bemerkte, dass das vielleicht doch ein wenig merkwürdig ist, den perfekten Ring von einem nicht mehr passenden Mann zu tragen – wie bekomme ich das je auseinander?

Ein Freund sagte mal, wir seien wie ein Wollknäuel, das man nicht mehr entwirren kann. Ja, vielleicht ist der Ring so etwas wie der innerste Knoten, nicht für eine Liebe, aber für eine andauernde Verbundenheit. Der Ring war also geblieben. Und tatsächlich sind wir heute beste Freunde. Die richtige Intuition also? Ob ich den Ring damals zurückgegeben hätte, wenn er es gewünscht hätte? Ja, ich denke schon.

Versorgt – mit Aussicht auf Sonne

Die beiden Wäschestücke liegen dort, räkeln sich nicht mehr und winken auch nicht. Irgendwie scheinen sie begriffen zu haben, dass ich nicht reagieren werde. Ich wollte sie unbedingt haben und stelle jetzt fest, dass sie mir gar nicht so viel bedeuten wie ich das angenommen hatte. Ich glaube, es war eher das Gefühl, dass sie nicht mehr „dort“ sein sollten. Was hat meine Intuition mir da vorgegeben? Meine Tochter kommt um die Ecke und entdeckt das schöne Nachthemd. Klar will sie es anprobieren und natürlich gefällt es ihr. Aha! Ob sie es jetzt für immer haben dürfe? Warum nicht. Sie sieht sehr süß aus darin. Bestimmt viel süßer als ich. Das ist schön. Das andere aber lag da noch für einen Moment, und als ich es einfach in den Schrank packen wollte, da sah ich urplötzlich eine Schäfchenwolke aus einer längst vergangenen Zeit vorbeifliegen. Sie grinste. Ein Kribbeln in meiner Magengegend mischte sich dazu und ich begriff, dass dieses eine Stück auch noch eine alte Erinnerung in sich geborgen hatte, die lange verdeckt gewesen war. Und ich dachte erneut: Aha.

Erinnerungen haben ihre Zeit. Es verschiebt sich auch der Fokus auf sie. Sie rücken enger an einen heran. Aus der Erinnerung an den anderen wird eher eine Erinnerung an sich selbst und wie man sich damals fühlte. Das kann gut sein. Vielleicht sollte wirklich die Intuition entscheiden und auch ein wenig das Glück und manchmal schlicht die Überzeugung, dass Schäfchenwolken, solche in die wir uns so liebend gern hineinlegen würden, immer wieder kommen und wir das „Erinnerungsstück“ an sich gar nicht so sehr benötigen.

Tina Schlegel

Die Kolumnistin Tina Schlegel ist Kulturjournalistin und Autorin. Für die Zeitung schreibt sie über die schönen Dinge im Leben – Kunst, Musik, Theater und Literatur. In ihren Romanen dagegen lotet sie die düstersten Abgründe der Menschen aus und erschrickt oft selbst beim Schreiben. Doch genau so muss es sein: Texte, die fesseln und nachhaltig im Gedächtnis bleiben oder wenigstens eine hübsche Idee wecken, können bleiben, alles andere kann weg, findet sie. Für die Augsburger Allgemeine schrieb sie eine wöchentliche Kolumne über das LiebesLeben einer Alleinerziehenden mit Kind, denn wer über sich selbst lachen kann, hat es grundsätzlich viel leichter im Leben. Nach rund 20 Umzügen quer durch Deutschland lebt sie heute mit ihrer Tochter und einer diäterprobten, aber dennoch übergewichtigen Katze im Unterallgäu und liebt das Leben schon sehr. Die Kolumne: Liebesgeflüster im Haifischbecken Seit sie von ihrer Zeitung für ihre Kolumne als „Alleinerziehende, die gerne denkt“ angekündigt wurde, überlegt Tina Schlegel ob das stimmt. Ihrer Chancen auf sozialen Anschluss hatten sich mit diesem Teaser in der Kleinstadt ohnehin erledigt, steht hinter dieser Beschreibung (gewissermaßen auf ihrer Stirn) doch eindeutig das Prädikat „kompliziert“, blieb also viel Zeit zum Nachdenken. Irgendwann aber lehnte sie sich zurück und gestand sich ein, ja, sie denkt ausgesprochen gern und ausführlich nach. Überraschend oft hat es mit Liebe zu tun, aber als Tochter eines Berufssoldaten und einer Friedensbewegungsaktivistin ist sie im politischen Diskurs groß geworden. Unpolitisch kann sie daher nicht einmal über Kitsch nachdenken … Oder doch? Tina Schlegel im Netz Tina Schlegel ist mit ihrer Autorenseite auf Facebook vertreten und kann selbstverständlich auch abonniert werden. Zwei Romane sind bislang von ihr erschienen: „Schreie im Nebel“ (Emons Verlag, Oktober 2015, ISBN 978-3-95451-723-7) und „Die dunkle Seite des Sees“ (Emons Verlag, April 2017, ISBN 978-3-7408-0078-9), zwei weitere Bücher sind für 2018 geplant.

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