Der NSU-Prozess und die Befangenheit

Im NSU-Prozess kommt es in der Phase der Plädoyers zu Verzögerungen durch Ablehnungsanträge gegen das Gericht. Das sorgt vielfach auch in der Presse für Unmut. Ein Grund sich mit der Besorgnis der Befangenheit einmal intensiver zu beschäftigen.


 

Den idealen, völlig objektiven Richter gibt es nicht. Richter sind keine standardisierten Rechtsanwendungs- und Entscheidungsautomaten, sondern Menschen. Unter der Robe steckt immer ein Mensch mit persönlichen Ansichten, Vorlieben und ja auch mit Vorurteilen. Der eine ist privat ein Schuldkultbeender, der andere schreibt schlechte Bücher und der nächste brillante Kolumnen. Der eine ist Veganer, der andere nimmt Zuckerkügelchen. Auch unter Richtern ist jeder Jeck anders. Das lässt sich gar nicht verhindern. Und auch wenn das Gesetz den Richter grundsätzlich als neutrale Figur betrachtet, ist es in diesem Punkt nicht blind.

Der gesetzliche Richter, der über eine bestimmte Sache zu urteilen hat, ist aufgrund der Geschäftsverteilung von vorneherein festgelegt. Und so kann auch ein Richter zuständig sein, der aufgrund persönlicher Motive besser nicht zuständig sein sollte, weil man in dem speziellen Fall nicht davon ausgehen kann, dass er die ihm zugedachte Neutralität tatsächlich gewährleisten kann.

Ausschließung

In den Fällen des § 22 StPO wird das auch jeden direkt einleuchten.

§ 22 Ausschließung von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes

Ein Richter ist von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen,

1. wenn er selbst durch die Straftat verletzt ist;

2. wenn er Ehegatte, Lebenspartner, Vormund oder Betreuer des Beschuldigten oder des Verletzten ist oder gewesen ist;

3. wenn er mit dem Beschuldigten oder mit dem Verletzten in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war;

4. wenn er in der Sache als Beamter der Staatsanwaltschaft, als Polizeibeamter, als Anwalt des Verletzten oder als Verteidiger tätig gewesen ist;

5. wenn er in der Sache als Zeuge oder Sachverständiger vernommen ist.

Und auch bei § 23 StPO ist klar, dass man nicht zweimal denselben Richter in verschiedenen Instanzen entscheiden lassen kann.

In all diesen Fällen ist der Richter von Gesetzes wegen ausgeschlossen, d.h. da muss niemand was rügen oder beantragen. Ob einer der Gründe vorliegt, muss der Richter selbst prüfen.

Verschweigt der Richter einen der Ausschließungsgründe, dann kann er ebenso abgelehnt werden, wie im Falle der Besorgnis der Befangenheit.

Ablehnung

§ 24 Ablehnung eines Richters; Besorgnis der Befangenheit

(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.

(2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.

(3) 1Das Ablehnungsrecht steht der Staatsanwaltschaft, dem Privatkläger und dem Beschuldigten zu. 2Den zur Ablehnung Berechtigten sind auf Verlangen die zur Mitwirkung bei der Entscheidung berufenen Gerichtspersonen namhaft zu machen.

Neben der Staatsanwaltschaft – die das so gut wie nie tut – sind der Privatkläger und der Beschuldigte zur Ablehnung berechtigt – nicht aber der Verteidiger. Genau genommen stellen die Verteidiger die Anträge also immer im Namen der Beschuldigten, auch wenn es in der Presse heißt, der Verteidiger habe den Richter abgelehnt..

Was hat es nun mit dieser Besorgnis der Befangenheit auf sich?

Jede Person hat Anspruch darauf, dass über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Das ist in Art.6 der Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert.

Gründe

Wenn er Gründe gibt, die beim Beschuldigten den Eindruck entstehen lassen, der Richter sei nicht unparteiisch oder er habe ihn entgegen der Unschuldsvermutung bereits vorverurteilt, dann muss der Beschuldigte die Möglichkeit haben, diesen Richter loszuwerden. Die Gründe für eine solche Besorgnis können ganz vielfältig sein.

Flotte Sprüche wie

 Jedes mal, wenn Sie etwas sagen, biegen sich hier die Balken.

oder ein kerniges

Ihnen wird das Lachen noch vergehen.“

gleich zu Beginn der Sitzung, dürften bei jedem Angeklagten Zweifel an der Objektivität des Richters aufkommen lassen und eine diesbezügliche Besorgnis der Befangenheit begründen. Man wird auch aufhorchen, wenn man zufällig erfährt, dass der Richter zwar nicht mit dem Opfer verwandt oder verschwägert ist, aber noch einen Monat zuvor mit ihm zusammen im Liebesurlaub war oder privat mit ihm in einer Band spielt. Esist auch sinnvoll, sich das private Facebookprofil oder die Homepage eines Richters – und das sind auch die Laienrichter – ganz genau anzusehen. Wem die Seite Todesstrafe für Kinderschänder gefällt, der sollte kein Richter oder Schöffe sein. Der Phantasie sind da keine Grenzen gesetzt.

Zwar lässt die höchstrichterliche Rechtsprechung auch emotionsgeladene Äußerungen des Richters als unbedenklich passieren, wenn sie in einem „vertretbaren Verhältnis zu dem sie auslösenden Anlass“ bestehen, wirklich nachvollziehbar ist diese Zubilligung allerdings nicht. Ein Wutrichter würde mir auch Angst machen, wenn ich der Angeklagte wäre.

Contenance

Richter sollten zumindest nach außen hin so tun, als hätten Sie sich in jeder Phase des Verfahrens im Griff. Ich kenne da ein paar Richter, die immer freundlich sind und lächeln, hinter dem Rücken aber das Schlachtbeil gut geschärft bereit halten. Die sind für den Angeklagten wesentlich gefährlicher – weil kaum abzulehnen – als diejenigen, die aus ihrer Seele keine Mördergrube machen. Ich erinnere mich an einen Richter, der mir vor dem Verfahren nicht die Hand geben wollte, weil ich „so ein Schwein“ verteidigen würde. Es ging um Drogenhandel und seine Tochter war – wie ich später erfuhr – heroinabhängig. Menschlich nachvollziehbar, aber als Strafrichter, jedenfalls in BtM-Verfahren nicht haltbar.

Maßstab

Es kommt aber auch gar nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich befangen ist – das kann gerade so ein über-korrekter Richter durchaus sein – sondern darauf, ob beim Beschuldigten aufgrund des Verhaltens des Richters eine solche Besorgnis entstehen kann. Nun ist der Maßstab für dieses Empfinden allerdings nicht die persönliche Hochempfindlichkeit des Beschuldigten, sondern eine verständige Würdigung des gesamten Sachverhaltes. Der Bundesgerichtshof hat das wie folgt zusammengefasst:

Wegen Besorgnis der Befangenheit findet eine Ablehnung statt, wenn ein Grund vorgebracht wird, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§24 Abs. 2 StPO). Die Vorschrift ist einfachgesetzlicher Ausdruck der verfassungsrechtlichen Prinzipien des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs.1 Satz 2 GG) und der Unabhängigkeit der Gerichte (Art.97 Abs. 1 GG), die garantieren, dass der Rechtsuchende im Einzelfall voreinem Richter steht, der unabhängig und unparteilich ist und der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet (vgl. BVerfG 2 BvR 958/06 http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/bverfg/06/2-bvr-958-06.php vom 27.Dezember 2006 = NJW 2007, 1670 mwN; 2 BvR 115/95 vom 19. August 1996 = NJW 1996, 3333). Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters ist gerechtfertigt, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln.

Der Vorwurf, ein Verfahren mit Ablehnungsgesuchen torpedieren oder zumindest verzögern zu wollen, wird gegenüber Verteidigern gerne immer wieder einmal erhoben. Aktuell meint die Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen im Zusammenhang mit dem NSU-Verfahren diesen Vorwurf unter der Überschrift „Dieser Monsterprozess zeigt viele hässliche Fratzen“ erheben zu müssen.

Was in München passiert oder besser: nicht passiert, wäre mit dem Begriff „Missbrauch des Ablehnungsrechts“ durchaus zu umschreiben. Dieses Wort kommt allerdings keinem Richter des Oberlandesgerichts über die Lippen.

Dass das keinem Richter des Senats über die Lippen kommt, ist gut so. Das mag schon daran liegen, dass von einem Missbrauch bisher noch nicht die Rede sein kann.

Missbrauch

Der Verteidigung einen Missbrauch des Ablehnungsrechts vorzuwerfen, wird gerne gemacht und stößt fast immer auf den Applaus des Publikums. Auf Verteidigern rum zu hacken ist gerade in. Die werden halt als Störfaktor auf dem Weg zum schnellen Urteil empfunden.

Es ist aber falsch. Die Verteidigung hat im Interesse ihres Mandanten alle rechtlich erlaubten Mittel auszuschöpfen. Das ist nicht ihr Vergnügen, sondern ihre Pflicht. Damit wird im Ergebnis ein richtiges Urteil nicht etwa verhindert, sondern vielmehr gefördert. Dass ein Verfahren dadurch verzögert wird, liegt in der Natur der Sache und macht nichts. Dass bisher alle Befangenheitsanträge im NSU-Verfahren als unbegründet verworfen wurden, bedeutet ja nicht, dass sie rechtsmissbräuchlich gestellt wurden, es bedeutet nicht einmal, dass sie tatsächlich alle unbegründet waren. Solange ein Ablehnungsgesuch mit einer entsprechenden – jeweils neuen Begründung – gestellt wird, hat das mit einem Missbrauch nichts zu tun. Auch nicht wenn es mehrere hintereinander sind.

Verschleppung

Wenn Frau Friedrichsen meint:

Die Verteidiger im NSU-Verfahren beleidigen mit ihrer Verschleppung nicht nur die Angehörigen der Opfer. Auch die Geduld des Rechtsstaats wird in diesem endlosen und teuren Verfahren überstrapaziert.

sind das zwar starke Worte, inhaltlich aber nicht haltbar.

Der Vorwurf der Verschleppung ist hart und durch nichts begründet. Wieso sollten denn durch prozessordnungsgemäße Anträge der Verteidigung die Opfer beleidigt werden ? Soll die Verteidigung vielleicht gleich einpacken und ihre Arbeit einstellen, weil die Dauer des Verfahrens alle Beteiligten belastet? Das kann nicht ernsthaft gemeint sein. Ist Frau Friedrichsen – was ihr ja zusteht, da sie nicht zum Gericht gehört – vielleicht selbst schon zu einem abschließenden Urteil gekommen und mag nun nicht mehr länger auf das gerichtliche Urteil warten? Wieso sollte die „Geduld des Rechtsstaats“ überstrapaziert werden, wenn Verteidiger nach den Regeln dieses Rechtsstaats handeln? Alle Anträge der Verteidigung bewegten sich im Rahmen der Strafprozessordnung. Mehr kann man beim besten Willen nicht verlangen.

Opfer

Nun kommt garantiert wieder der ein oder andere Leserbrief, ich nähme nicht genug Rücksicht auf die Belange der Opfer und deren Angehörigen und träte deren Leid mit Füßen. Weit gefehlt. Denn auch den anderen Beteiligten, den Nebenklägern und -klägerinnen ist nicht damit gedient, wenn das Verfahren auch nur den geringsten Anschein aufkommen lässt, die Strafprozessordnung sei in irgendeiner Weise missachtet worden, um zu einem schnelleren Abschluss zu kommen. Ja, das Verfahren ist ein Monsterverfahren, aber nicht wegen einer Fratzen zeigenden Verteidigung, sondern wegen des monströsen Umfangs der angeklagten Taten.

Es ist daher gut und richtig, wenn die Verteidigung alle Möglichkeiten ausschöpft und es ist auch sehr, sehr gut, dass das Gericht dies nicht mit Unmut, sondern mit einem professionellen Selbstverständnis und jedenfalls äußerlicher Seelenruhe abarbeitet. Was wäre denn gewonnen, wenn der Senat nun vor lauter Ungeduld die Wut bekäme und einen der Anträge als offensichtlich rechtsmissbräuchlich für unzulässig erklären würde – und dann das Bundesverfassungsgericht die Sache dann ganz anders sieht. Dann würde das Verfahren platzen.

Der Begriff Prozess kommt vom lateinischen procedere, das voranschreiten, aber auch dauern bedeutet. Und dieser Prozess wird noch eine ganze Weile dauern. Das ist aber kein Grund zur Aufregung.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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