„Manchmal kommen sie wieder….“ – Comeback eines Verschollenen

In der Hörmal-Kolumne wartet Ulf Kubanke dieses Mal mit einer schier unglaublichen Geschichte von Aufstieg, tiefem Fall und einem Happy End nach Jahrzehnten auf. Es geht um Peter Perrett, der mit The Only Ones Musikgeschichte schrieb und knapp 40 Jahre später mit einem großartigen Solo-Album zurück ins Rampenlicht kehrt.


„Sometimes they come back.“ (Stephen King)

„You’ve got such a story to tell.“ (Lou Reed)

Etliche Leser haben es bereits bemerkt: Ich habe beim Vorstellen großer Musik ein Faible für die Storyteller-Seite von Songs und Künstlern. Diese Woche gibt es eine ganz besondere Geschichte zu erzählen; eine Geschichte, die schier unglaublich ist. Wir alle wissen: Tragödien schreibt das Leben zuhauf. Man denke nur an Syd Barrett. Doch manchmal kommen sie wieder. Auch beim englischen Urgestein Peter Perrett sah alles lange Zeit nach einem Trauerspiel aus. Lange Zeit? Achwas, der Mann hat den ultimativen Weltrekord geknackt: Weit über 30 Jahre nach dem totalen Versinken im Drogensumpf, hüpft er quietschfidel zurück auf die Bühne und veröffentlicht nebenbei mit „How The West Was Won“ eines der besten Alben des laufenden Jahres.

Doch lasst uns der Reihe nach vorgehen. Perretts Band The Only Ones mag hierzulande lediglich Insidern ein Begriff sein. International gelten sie mit ihrem selbst betitelten Debütalbum von 1978 als sehr einflussreich. Besonders die Single „Another Girls, Another Planet“ entwickelte sich im Laufe der Zeit zum wegweisenden Track für Postpunk, Alternative Rock, Grunge, Britpop und New Wave. Egal ob Nirvana, Blur, die Violent Femmes oder Pete Doherty/Carl Barat von The Libertines: Zahlreiche Bands von Weltrang geben Perretts Combo als prägend an.

Bis hierhin klingt alles noch nach einer recht konventionellen Rock’n’Roll-Story über Pioniere ihrer Zeit, die dem Geist selbiger voraus waren. Doch gerade als The Only Ones sich vor fast 40 Jahren anschickten, richtig los zu legen, brachen sie auseinander. 1982 waren sie als Support von The Who unterwegs. Hier kam es zum Zerwürfnis. Exzessive Drogensucht der Bandmitglieder und Streitereien untereinander waren die Gründe.

Im Sumpf versackt

Von hierab versackte Perrett komplett im Drogensumpf. Zwar gab es im Verlauf von 35 Jahren zaghafte, eher halbherzige und ausgebrannt wirkende Andeutungen einer Rückkehr. Sogar die Only Ones vereinigten sich kurz, nachdem Vodafone „Another Girl, Another Planet“ 2007 durch einen Werbespot ein weiteres Mal zum Hit machte. Aber Perretts nie überwundene Abhängigkeit von Crack, Heroin und allerlei weiteren Substanzen zogen stets einen kräftigen Strich durch die Rechnung. Sein Gesundheitszustand – besonders die Lungen – waren zeitweise dermaßen angegriffen. Er konnte sich kaum auf den Beinen halten, geschweige denn singen oder spielen. Ausgebrannt und sich vor der Welt samt ihren Gesetzeshütern verbarrikadierend gab es höchstens Schlagzeilen in den Klatschpalten der Yellow Press. Und selbst das erstarb mit der Zeit.

Bereits als Teenager nahm er reißaus von jenem autoritären Elternhaus, in dem der kreative Jungspund sich unverstanden fühlte. Er lernt das Überleben auf der Straße und findet ausgerechnet im Drogenmilieu mit seinen Dealern und Musikern der wilden Spätsechziger und frühen 70er eine Art vorübergehender Ersatzfamilie. In Künstlerkreisen lernt er seine Frau Zena kennen. Zena ist eine Schlüsselfigur in Perretts Leben. Neben der Managertätigkeit hält sie die gesamte Zeit seiner Drogensucht zu ihm und gibt nie den Versuch auf ihn zu heilen. Eine Engelsgeduld und anscheinend große Liebe, die sich schlussendlich auszahlen sollte.

Ausgerechnet Perretts Elternhaus, vor dem er floh, erweist sich späterhin als biografischer Rettungsanker. Jüdische Genies wie Einstein faszinierten ihn seit jeher. Jüdische Musik-Ikonen wie Lou Reed und Bob Dylan waren ihm stets Vorbild und qualitativer Ansporn. Und ja: Das Schicksal beschreitet mitunter merkwürdige Pfade. Spät erst entdeckt Perrett die eigenen jüdischen Wurzeln. Lang verschwieg seine Mutter ihre Abstammung. Die gebürtige Wienerin und Jüdin entkam als einziges Familienmitglied der Vernichtung und floh unter haarsträubenden Umständen nach Palästina. Dort lernte sie später Perretts Vater, einen Polizisten, kennen. Erst durch die zufällige Begegnung seiner älteren, israelischen Halbschwester (von einem Mann, mit dem seine Mutter vorher zusammen war) erfuhr er die Umstände seiner Herkunft. Perrett, dem mit der Zeit vieles klarer wurde über die Ursachen seiner familiären Konflikte, nimmt sein Judentum mittlerweile an und versteht es auch als Triebfeder, analog Dylan und Reed, sein Bestes für die Musik zu geben. Perrett: „Mir gefiel es, heraus zu finden, dass ich Jude bin.“

Plötzlich zurück. Und wie!

So ist er 2017 urplötzlich zurück auf der Bühne und veröffentlicht mit nunmehr 65 Jahren tatsächlich sein allererstes Solo-Album. Es ist eine komplette Familienangelegenheit. Gattin Zena kümmert sich – wie immer – um die Organsisation. Beide Söhne sind ebenfalls Musiker und bilden seine Band. Perret selbst befindet sich als Songwriter und Frontman in der Form seines Lebens.

All dies bündelt sich auf „How The West Was Won“. Es ist gleichermaßen das Ergebnis großen Talents, harter, schonungsloser Erfahrungen und des Willens, nicht aufzugeben. Die Stücke klingen tiefgründig und transportieren dabei dennoch eine rockende Leichtigkeit, die das Album für jeden Hörer zum intensiven, sehr unterhaltenden Erlebnis macht. Perretts Texte geraten lebensweise, philosophisch und politisch. Dabei wohnt fast jedem Song eine Pointe typisch englischen Humors und Selbstironie inne. Eine Eigenschaft die Perretts messerscharfen Verstand und sein sympathisches Wesen vervollständigt. Denn „Lachen macht jede Situation besser!“.

Stilistisch ist es eine Mischung aus Singer/Songwriter und Rock, der mal angedeutet schrammelnd, dann wieder dezent psychedelisch aus den Boxen rinnt. Wer Lou Reed anno „New York“ (1989) oder Bob Dylan ab dessen elektrischer Phase mag, wird sich in diese Platte verlieben. Alle anderen auch! Denn Perrett bleibt trotz enger Verwandtschaft zu beiden in jeder Sekunde eigenständig und very british. Letzteres hört man besonders am Londoner Akzent sowie etlichen britpoppigen Refrains.

Zwei Lieder möchte ich besonders hervorheben. Da wäre zum einen der Titelsong. Eine ebenso kritische wie ehrliche Liebeserklärung. Rassismus oder Attentäter bekommen ebenso ihr verdientes Fett weg, wie die geschichtsklitternd johnwayneske Wahrnehmung der US-Historie („It’s no mystery. It’s your history.“). Auch der cholerische Narzissmus des gegenwärtigen Chefs im Weißen Haus erhält sein Scherflein Spott („Even your parents ran away from home to escape you. Your best friends all hate you.“).

Nebenbei flicht er eine semi-ironische Hommage an die gnadenlos vermarkteten Kehrseiten von Jennifer Lopez und Kim Kardashian ein. „Just like everybody else I’m in love with Kim Kardashian. She’s taken over from J. Lo as my number one. Even though I know, she’s just a bum. In an other timeline I would have stared at her all day long, without ever wanting to see her from the front. God knows I love America.“

Mein persönlicher Favorit ist das intensive „Living In My Head“. Geht es um isolierende Depression und innere Dämonen? Geht es um eine unerwiderte Liebe? Oder doch um Drogen? Das Publikum erhält keine eindeutige Antwort und darf selbst interpretieren. Absoluter Knüller ist die schwarzlichtern funkelnde Gitarre. Klangfarbenfroh aber angedunkelt fräst sie sich als sanfte Säge geradezu hypnotisch in Ohr und Hirn.

Wie wundervoll diese Platte ist.
Wie wundervoll, dass er zurück ist.
Wie wundervoll, wenn Dramen ins Happy End münden.
Wie wundervoll!

Ulf Kubanke

Ehemaliger Anwalt; nun Publizist, Gesprächspartner und Biograph; u.a. für Deutschlands größtes Online-Musikmagazin laut.de.

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