Pykas Stresstest für Konservative – Ein Versuch zu bestehen

In ihrem Essay “Über die Leiden der Neuen Konservativen” bei den Salonkolumnisten fragt Jennifer Nathalie Pyka ob der Konservatismus bloß einen Stresstest durchlebt oder gerade durch einen Populismus sozial-nationalistischer Couleur ersetzt wird. Für diese Herausforderung sollte man als Konservativer dankbar sein. Denn der Konservativismus droht tatsächlich in einer rein negativen Fixierung auf Angela Merkel, die Linken und den Islam verloren zu gehen.


Liberale Leiden an den Leiden der Konservativen

Der Essay “Über die Leiden der Neuen Konservativen” von Jennifer Nathalie Pyka ist ein in jeder Hinsicht starkes Stück. Stark zunächst deshalb, weil darin den Konservativen einmal ihre redundante Erregtheit im eigenen Spiegel als weinerliches Dauerlamento über Angela Merkel und den Islam vorgehalten wird. Weil das Gejammer und phantasielose Nachäffen altlinker Systemkritik kaum Raum für eigene, konstruktive Perspektiven lässt, wirkt der Konservativismus tatsächlich reichlich unsouverän und war insofern auch in seiner moderaten Form reif für eine heilsame Abreibung.

Ein starkes Stück ist der Text aber auch, weil darin kurzer Hand aus den Neuen Rechten die Neuen Konservativen werden, zu denen dann auch „Vulgär-Konservative“, „Konstüm-Konservatie“ oder „Neo-Bürgerliche“ zählen. Wer Pyka als Autorin auf der Achse des Guten kennen und schätzen gelernt hat, mag sich dabei fragen, ob der Umstand, dass so zwischen gesellschaftskritischen Autoren wie Henryk M. Broder und rechtsradikalen Hetzern wie Björn Höcke die Unterschiede verschwimmen, ein Versehen oder doch auch ein bisschen maliziöse Hinterlist war.

Was hingegen deutlich wird ist, dass Pyka nicht selbst aus der Perspektive einer Konservativen den Konservativismus hinterfragt, sondern diesen in der Rolle eines Liberalismus-TÜV stresstestet. Schließlich wirft sie dem Konservativismus in der Hauptsache vor, seit Reagan und Thatcher den (Wirtschafts-)Liberalismus verraten und in den „Trumpismus“ verfallen zu sein. Damit macht die Autorin zwar genau das, was sie den Konservativen vorwirft: Sich lediglich mit Beschwerden an etwas aufhängen, ohne selbst eine positive Alternative aufzuzeigen. Sie leidet sozusagen selbst an den Leiden der Konservativen. Aber das darf Pyka durchaus. Als Liberale kann sie den siechenden Konservativismus getrost rechts liegen lassen ohne dabei Gedanken bemühen zu müssen, wie der zu kurieren sei.

Jetzt nur keine Opferallüre!

Bleibt die Frage, wie man als Konservativer mit dieser Kritik umgeht. Und zwar nicht als liberaler Konservativer oder moderner Konservativer oder verfassungspatriotischer Konservativer, sondern schlicht und einfach als Konservativer – ganz ohne relativierende Zusätze und Hintertürchen.

Da liegt natürlich die Versuchung nahe, sich zu beschweren, wiedermal in die rechte Ecke gestellt worden zu sein, und sich aufs schärfste auszubitten, dass hier wesentlich feiner zu differenzieren sei: „Konservativ heißt nicht rechts!“ Nur wären derartige Ausflüchte ein erbärmliches Schwanzeinziehen, das Konservativen schon aus geschmacklichen Gründen zu wider sein muss. Die mit den Ausreden und der Opferneurose, das sind die anderen. Ein ordentlicher Konservativer hält aus. Aushalten ist wichtig!

Nur so können Konservative im Übrigen ihre Kritik am Islam als politischer Ideologie glaubwürdig vortragen: Wenn Muslime als Kollektiv Verantwortung für den Islamismus übernehmen und sich nicht immer herausreden sollen, dass Islamismus nichts mit dem Islam zu tun habe, warum sollten dann Konservative nicht auch für die Neue Rechte gerade stehen? Selbstverständlich tragen beide Milieus Verantwortung für ihre ideologischen Hinterhöfe. Konservative können Muslimen schlecht eine tadellos selbstkritische Haltung und die Haftung für die eigene Truppe abverlangen, solange sie dergleichen selbst verweigern und sich schnell zu Unrecht in die rechte Ecke gestellt fühlen.

Konservative brauchen Liberalen nicht gefallen

Warum nur fühlen sich Konservative immer dann besonders gekränkt, wenn die Liberalen sie „stressen“? Warum reagieren sie so empfindlich auf deren Liebesentzug? Konservative sind nicht liberal, sondern konservativ. Die Freiheit des Einzelnen ist die Grenze konservativen Denkens, nicht der Kern. Der Einzelne ist unantastbar, aber der Einzelne ist nicht die treibende politische Kraft, durch die, wenn man sie nur laufen lässt, alles von selbst gut wird. Konservativ sein bedeutet, die Wirklichkeit anzuerkennen, und zwar die empirische wie auch die der tradierten Werte, Realpolitik zu machen und abgehobenem Idealismus – zu dem auch der dogmatische Individualismus und Kollektivismus gehören – zu misstrauen. Konservative glauben an strikte Regeln, die im Zweifel mit Gewalt durchgesetzt werden müssen, zum Schutz des Einzelnen aber auch zum Schutz vor dem Einzelnen.

Die Konservativen zeigen sich außerdem interessiert an den disruptiven Prozessen, die gerade den westlichen Demokratien zu schaffen machen. Sie wollen Phänomene wie den „Trumpismus“ verstehen, um die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Sie akzeptieren, dass ein weit verbreitetes Überforderungsgefühl ob der globalen Umbrüche mehr als nur Populismus ist, dass sich Menschen aus den verschiedensten Schichten von einem progressiven Internationalismus nicht nur ökonomisch, sondern auch kulturell abgehängt fühlen.

Die Konservativen sorgen sich um stabile ökonomische, soziale und – ja, auch das gehört dazu – kulturelle Verhältnisse. Das muss Liberalen nicht gefallen. Und Konservative müssen Liberalen auch nicht gefallen wollen. Der Job der Liberalen ist es, die Individualität um jeden Preis zu schützen, und ihr Recht ist es, den Konservativen bei Ausfransungserscheinungen am rechten Rand empfindlich zuzusetzen und dann eben auch mal einen „sozialen Nationalismus“ zu unterstellen. Pykas boshaftes Wortspiel ist geschenkt, kein Grund gleich loszuheulen. Fair enough.

Konservative Programmatik: Das einfache Leben

Bei der Verbindung von „Nation“ und „sozial“ braucht man sich ohnehin nicht gleich ins liberale Höschen machen. Konservative wollen nicht nur innere und äußere, sondern auch soziale Sicherheit. Im Unterschied zur Linken, wird diese Sicherheit aber nicht als maximale relative Gerechtigkeit verstanden, so dass nur ja niemand zu viel oder zu wenig bekommt, als ihm nach einem sozialistischen Verteilungsschlüssel zusteht. Die Menschen – wiederum ja, Konservative können und dürfen im Gegensatz zu Liberalen von „den Menschen“ sprechen – sollten sich vornehmlich darauf konzentrieren können, Karrieren aufzubauen und Familien zu gründen. Das ist immer noch hart genug. Das Drumherum, von der Kinderbetreuung über Arbeitslosengeld, Krankenversicherung, BAföG, Altersvorsorge bis zu den Steuern, sollte so einfach wie möglich und jedenfalls frei von jedweder bürokratischen Schikane gehalten werden.

Einfach heißt nicht leicht. Niemand braucht Almosen. Aber seine Energie sollte man dem persönlichen Vorankommen und dem Schaffen von Eigentum widmen können und nicht bei der Wohnungssuche, der Organisation des schulischen Werdegangs der Kinder oder dem Ausfüllen von irgendwelchen Behördenzetteln verausgaben müssen. Die Transformation der Arbeits- und Erwerbswelt durch Digitalisierung und Automatisierung wird jedem einzelnen und damit allen zusammen einiges abverlangen. Wenn schon der Leistungs- und Produktivitätsdruck im internationalen Wettbewerb ständig steigt, dann sollte sich ein starker Staat wenigstens geräuschlos um den Rest kümmern, ohne einen, hier liegt der Unterschied zu den Sozialisten, ständig bürokratisch zu behelligen.

An dieser Stelle, beim „einfachen Leben“, liegt in der Gesellschaft ein Nerv blank. Obwohl es den Deutschen vergleichsweise gut geht, fühlen sie sich mit der Bewältigung ihres Alltags zunehmend überfordert. In diesem Sinn brauchen Themen wie das Grundeinkommen oder eine Bürgerversicherung keine Tabus für die Konservativen zu bleiben, auch wenn sich Liberale darüber echauffieren mögen.

Mit der ökonomischen Entfrachtung des Lebens muss auch eine kulturelle einhergehen. Soziale Stabilität lässt sich am effektivsten im Rahmen eines Nationalstaates organisieren, der die Kontrolle darüber behalten muss, wer der Solidargemeinschaft beitreten kann. Diese Solidargemeinschaft kann Heterogenität aushalten beziehungsweise produktiv kanalisieren, aber nur bis zu einem gewissen Grad. Eine Politik der offenen Grenzen wirkt dagegen destabilisierend. Sie darf aus Gründen der inneren wie auch sozialen Sicherheit kritisiert und hinterfragt werden.

Konservative Kritik und Zweifel an grenzenloser internationaler Solidarität widersprechen dabei in keiner Weise dem aufgeklärten Humanismus oder christlichen Wertvorstellungen. Chaotische Zustände auf den Fluchtrouten, ein Übereinanderherklettern der Stärksten und eine insgesamt ergebnisoffene Odyssee, die zuerst über das Mittelmeer und sodann durch die Asylbürokratie führen, sind menschenunwürdig. Darauf, dass geschützte Grenzen wie im Fall Australiens „Operation Sovereign Borders“ auch Leben retten können, lässt sich legitimer weise hinweisen, ohne sich unterstellen lassen zu müssen, man wolle von Stacheldrahtzäunen aus auf wehrlose Menschen schießen lassen. Der Schutz der Grenzen ist Aufgabe des Staates und die Bürger eines Staates sollen sich nicht rechtfertigen müssen, in einem Staat leben zu wollen, der diese seine Aufgabe wahrnimmt. Liberale dürfen sich indes fragen, wer den Einzelnen vor Erpressung durch moralischen Rigorismus und Manipulation über ein schlechtes Gewissen schützt.

Konservative Zwickmühle: Demokratie und

Stabilität

Konservative bilden sich nicht ein, dass ihre Perspektive auf Nationalstaat, Stabilität und Migration erschöpfend sei und somit von allen Parteien und politischen Denkschulen übernommen werden müsste. Im Gegenteil: Konservative sind eben keine multikulturellen Konsensualisten, für die ein vernünftig waltender Weltgeist alles einvernehmlich zusammenführt, sondern entschiedene Dualisten. Denn der Konservative ist überzeugt, dass sein Programm den richtigen Schliff nur dann bekommt, wenn linke beziehungsweise liberale Antagonisten im demokratischen Wettkampf der Meinungen dagegenhalten. Seine Identität kann er nur wahren, wenn seine Abgrenzung zu dem, was er nicht ist, deutlich bleibt. Die Bekehrung Andersdenkender ist ihm daher im Gegensatz zur Neuen Rechten und Alten Linken fremd.

Natürlich gibt es auch aus den Fugen geratenen politischen Wettkampf wie im Fall des Government Shutdown in den USA 2013 – ein Menetekel der Alt-Right-Bewegung, die letztlich Trump ins Weiße Haus gehievt hat – oder des aktuellen Patts beim Brexit. Polarisierung kann Staat und Regierung lahmlegen. Der über politischen Zank handlungsunfähig gewordene Staat muss dabei dem Konservativen gegen die eigene Stabilitätsprämisse gehen. Daher haben sich Konservative mit autoritär agierenden Führungspersönlichkeiten wie Konrad Adenauer, Helmut Kohl, Franz Josef Strauß oder Angela Merkel weniger schwer getan als es bei Sozialdemokraten mit Helmut Schmidt oder Gerhard Schröder der Fall war. Konservative haben keine sonderlichen Skrupel gegenüber Machtpolitik, ohne die Realpolitik schließlich kaum möglich wäre.

In diesem Sinn ist das Problem mit Angela Merkel nicht, dass sie die Union fest im Griff hat und um der Macht Willen auch zu so mancher inhaltlichen Konzession bereit ist. Das Unbehagen rührt vielmehr von den Großen Koalitionen her, durch die demokratische Institutionen wie die Parteien und der Parlamentarismus zunehmend geschliffen werden. Das hat wiederum weniger mit idealisierendem Demokratieverständnis zu tun als dem Leistungsprinzip: Nur Politik, die dem Wettbewerb mit einer starken Opposition ausgesetzt ist, resultiert in guten Entscheidungen und zeitigt dem Gemeinwohl dienliche Ergebnisse.

Eine Regierung hingegen, die so viel wie möglich so effizient wie möglich im parteiübergreifenden Konsens und also ohne große Kontroverseren durchbringen will, macht es sich zu leicht. Da wird sich nicht genügend angestrengt, da wird sich zu viel offen gehalten, um später nicht festgenagelt werden zu können. So ein Mangel an Leistungsbereitschaft in der politischen Klasse ist ein prinzipielles Problem, ganz unabhängig von der Personalie Angela Merkels. Wenn dann wie bei der Energiewende, der Eurorettung und der Migrationskrise auch noch gravierende Fehler gemacht werden, kommt eben doch so einiges zusammen.

Trotzdem Danke!

Insgesamt ist das Leiden der Liberalen am konservativen Kritizismus durchaus nachvollziehbar. Der zeitgenössische Konservative gibt sich zu destruktiv, zu larmoyant, zu sehr von Fixierungen beherrscht. Pykas Essay ist deshalb ein hervorragendes Tonikum für eine, von wenigen Ausnahmen abgesehen, substanzlose konservative Suppe, die tatsächlich Gefahr läuft, von neurechten Vulgaritäten und Aggressionen durchseucht zu werden. Wer darauf nur wieder mit Gejammer und Abschottung im „Safe Place“ der eigene Echokammer reagieren kann, bestätigt lediglich den Vorwurf.

Zwischen rechter Gesellschaftskritik und linksliberaler Konsensverwaltung tut sich eine Lücke auf, die zu füllen eine Frage der intellektuellen Redlichkeit ist und nicht der bloßen negativen Profilierung „gegen Links“ als Anti-Antitrumper oder Kritiker der AfD-Kritik. Das darf man sich als Konservativer durchaus einmal gesagt sein lassen.

Philipp Mauch

Philipp Mauch ist von Berufs wegen Stratege für Regulierungsmanagement in der Konsumgüterindustrie. Als Stipendiat der Hanns-Seidel-Stiftung hat er über Nietzsche promoviert – eine Kombination, die er als Ausweis seines liberal-konservativen Nonkonformismus verstanden wissen möchte. In seinem Blog „Variationen der Alternativlosigkeit“ grübelt er über Deutschlands politische Kultur.

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