Arnsdorf – Eine Frage der Einstellung

Das Amtsgericht Kamenz stellte ein Verfahren wegen Bedrohung gegen vier Männer ein, die im vorigen Jahr in Arnsdorf einen Asylbewerber mit Gewalt aus einem Supermarkt brachten und ihn draußen mit Kabelbindern an einen Baum fesselten. Die Reaktionen waren unterschiedlich. Aber was ist eigentlich so eine Einstellung?


Es gibt verschiedene Möglichkeiten ein Strafverfahren zu beenden. Bereits auf der Ebene der Staatsanwaltschaft können Verfahren z.B. mangels Tatverdacht oder weil das Verfahren gegenüber anderen Verurteilungen, die der Beschuldigte zu erwarten hat, nicht besonders ins Gewicht fällt, eingestellt werden.

Es gibt auch Einstellungsmöglichkeiten wegen geringer Schuld mit und ohne Auflage. Der Gesetzgeber lässt dies zu, um zu vermeiden, dass mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird. Bagatellen sollen so kostengünstig auch ohne Anklage erledigt werden können. Die Justiz soll sich nicht mit Pillepalle beschäftigen müssen, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen. Würde jeder Pipifax bis ins Kleinste durch ermittelt und dann nur noch entschieden, ob angeklagt oder mangels Tatverdacht eingestellt würde, dann wäre das der faktische Untergang der Strafjustiz. Aufgrund dauerhaft personeller Unterbesetzung von Staatsanwaltschaften und Gerichten wäre es gar nicht möglich, jedem angezeigten Vorwurf mit der geballten Staatsgewalt nachzugehen und innerhalb der Verjährungsfrist zu bearbeiten.

Das Verfahren in Kamenz wurde nach § 153 StPO eingestellt.

§ 153 Absehen von der Verfolgung bei Geringfügigkeit

(1) Hat das Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand, so kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Der Zustimmung des Gerichtes bedarf es nicht bei einem Vergehen, das nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht ist und bei dem die durch die Tat verursachten Folgen gering sind.

(2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren einstellen. Der Zustimmung des Angeschuldigten bedarf es nicht, wenn die Hauptverhandlung aus den in § 205 angeführten Gründen nicht durchgeführt werden kann oder in den Fällen des § 231 Abs. 2 und der §§ 232 und 233 in seiner Abwesenheit durchgeführt wird. Die Entscheidung ergeht durch Beschluß. Der Beschluß ist nicht anfechtbar.

In Absatz 1 ist die Einstellung vor Anklageerhebung geregelt. Gibt es bereits eine Anklage oder wie hier sogar schon einen Eröffnungsbeschluss, dann greift Absatz 2.

Kein Verbrechen

Erste Voraussetzung dafür, dass überhaupt eingestellt werden kann, ist, dass es sich beim Verfahrensgegenstand lediglich um ein Vergehen handelt. Bei einem Verbrechen ist eine Einstellung nicht möglich. Der Unterschied zwischen einem Vergehen und einem Verbrechen ergibt sich aus der Strafandrohung.

 § 12 Abs. 1 StGB

Verbrechen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind.

In Kamenz ging es wohl um Freiheitsberaubung, also ein Vergehen.

Das alleine reicht selbstverständlich nicht für eine Einstellung aus. Nächstes Kriterium ist, dass „die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre“.

Dazu tut man zunächst einmal so, als wäre der Anklagevorwurf bereits nachgewiesen, also so, als stünde die Schuld des Angeklagten fest. Dann wertet man die individuelle Schuld des Angeklagten.

Hat also jemand, der seit Tagen nichts gegessen hat, im Supermarkt eine Dose Ravioli geklaut, dann ist dessen Schuld geringer zu bewerten, als die desjenigen, der aus reiner Habgier beim Juwelier eine wertvolle Uhr stiehlt. Die Schuld einer Person, die ernsthaft glaubt jemanden in Notwehr zu schlagen, ist geringer als die derjenigen, die das auch purer Lust an der Gewalt macht. Die Gewichtung der persönlichen Schuld ist – wie ja auch bei der Strafzumessung – alleinige Aufgabe des Gerichts.

In Kamenz waren die Richter offenbar der Auffassung, die Schuld der Angeklagten – so sie sich denn überhaupt im Sinne der Anklage schuldig gemacht hätten – sei geringfügig. Darüber könnte man zwar trefflich streiten, dagegen machen kann man aber in der Regel nichts. Oder wie es der Kemptener Philosoph Clemens Haas  treffend ausdrückte,

Abseits ist, wenn der Schiedsrichter pfeift.

Damit mit dieser Arbeitserleichterung nun kein Schindluder getrieben werden kann, erfordert die Einstellung die Zustimmung des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft. Gerade die Staatsanwaltschaft als Anklagebehörde soll gewährleisten, dass das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung nicht aus dem Blick gerät. Denn natürlich ist es für ein Gericht reizvoll, sich eines Verfahrens, das wie in Kamenz nach Angabe eines Verteidigers auf 10 Verhandlungstage terminiert gewesen sein soll, innerhalb kurzer Zeit zu entledigen. Richter sind auch nur Menschen und wer freut sich nicht, wenn er sein Arbeitspensum elegant reduzieren kann.

Öffentliches Interesse

Aber was ist eigentlich dieses „öffentliche Interesse“?

Es ist zunächst einmal nicht wie man denken könnte, das Interesse der Öffentlichkeit an einem Strafverfahren. Das war in Kamenz, nicht zuletzt wegen der gezielten Öffentlichkeitsarbeit eines der Verteidiger und wegen der bundesweiten Berichterstattung, groß. Auch der Andrang der Öffentlichkeit in Form von Zuschauern war wesentlich größer, als der kleine Sitzungssaal des Amtsgerichts es zuließ. Die Angeklagten wurden von einer klatschenden Unterstützergruppe – vermutlich nennt man die jetzt Gerichtsklatscher – bereits vor dem Gericht gebührend empfangen. Die Ein-Prozent-Bewegung hatte kräftig Werbung für die „Helden von Arnsdorf“ und einen ihrer Verteidiger gemacht.  Die Verteidigung setzte auf eine aggressive Strategie mit entsprechender Mobilisierung von viel „Volk“ als Unterstützer.

Eine gesetzliche Definition des „öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung“ gibt es nicht.

Rechtsprechung und Lehre meinen, dass das der Einstellung gemäß § 153 entgegenstehende öffentliche Interesse sich sowohl aus spezialpräventiven, als auch aus generalpräventiven Gründen ergeben könne.

Wo eine schuldhaft begangene Tat vorliegen könnte, es aber entweder an einer erheblichen Störung des Rechtsfriedens fehlt oder diese im Entscheidungszeitpunkt nicht mehr vorliegt, braucht einer Sache nicht mehr nachgegangen zu werden. Zu prüfen wäre also, ob der angeklagte Fall eine Rechtsfriedensstörung ausgelöst hat, die im Entscheidungszeitpunkt immer noch besteht, sodass auch unter dem Gesichtspunkt des sparsamem Umgangs mit Ressourcen der Gerichte im öffentlichen Interesse ein Strafverfahren durchgeführt werden muss. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es in der Arnsdorfer Bevölkerung wohl erhebliche Meinungsverschiedenheiten über die „Helden“ gab, und die Verteidigung einen Kampf durch alle Instanzen angekündigt hatte, wäre es nicht abwegig gewesen, diese Störung des Rechtsfriedens zwanglos anzunehmen.

Es wäre vermutlich auch für die Herstellung des Rechtsfriedens und unter dem Gesichtspunkt der Generalprävention sinnvoller gewesen, wenn das Gericht sich intensiver mit der behaupteten Zivilcourage und deren rechtlichen Grenzen beschäftigt hätte. Aber, bitte sehr, es liegt in der Hand des Gerichtes und wenn die Staatsanwaltschaft auch mitspielt und der Angeklagte – warum auch immer- nicht mehr so richtig um seinen Freispruch kämpfen will, dann kann man den Sack schon zu machen.

Es ist durchaus möglich, dass dieselbe Einstellung auch nach Durchführung der Beweisaufnahme eine sachgerechte Erledigung des Verfahrens dargestellt hätte. Zu diesem frühen Zeitpunkt kam sie allerdings nach dem Trara im Vorfeld überraschend.

Bedrohung des Staatsanwaltschaft

Nun, ein paar Tage nach der Einstellung berichtete der MDR, dass der Staatsanwalt vor Beginn der Hauptverhandlung massiven Drohungen, ja sogar einer Morddrohung ausgesetzt gewesen war. Außerdem sei er auf dem Heimweg von einer Gruppe Männer bedrängt worden. Er wurde dann von Beamten des LKA auch im Termin geschützt. Die Staatsanwaltschaft Görlitz bestätigte zwar ein Drohschreiben, bestritt aber ausdrücklich die persönlichen Bedrohungen des Sitzungsstaatsanwalts.

Wie dem auch sei, sollte Angst des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft bei der Zustimmung irgendeine Rolle gespielt haben, wäre das ein fatales Signal.

Die Zustimmung der Staatsanwaltschaft zur Einstellung des Verfahrens vor dem Amtsgericht Kamenz erfolgte allein aus sachlichen Erwägungen“

lässt die StA Görlitz hören. Dann will ich das einfach mal glauben.

Warum die Drohung in der Sitzung nicht zur Sprache gebracht wurde, ist mir unklar. Wer auch immer diese Drohungen ausgesprochen hat, wird sich durch die Einstellung des Verfahrens in seinem Handeln genauso bestätigt sehen, wie die Angeklagten in ihrer Aktion. Diese verließen das Gericht unter dem Jubel ihrer Fans. Einer von ihnen ließ sich noch gleich am Abend gemeinsam mit seinem Verteidiger auf der montäglichen PEGIDA-Veranstaltung in Dresden als Beispiel für Zivilcourage feiern.  Schön, dass auf einer PEGIDA-Versammlung mal das Funktionieren des Rechtsstaats beklatscht wird.

Unschuldig

Nun sind die früheren Angeklagten wegen der Geltung der Unschuldsvermutung als unschuldig zu behandeln.Punkt. Die Einstellung ist zwar nicht der von der Verteidigung propagierte Freispruch und es wurde auch nicht festgestellt, dass das Handeln der Angeklagten als Nothilfe gerechtfertigt war, das Gegenteil aber eben auch nicht.

Insoweit ist es auch nicht zielführend, wenn einer der verteidigenden Rechtsanwälte meint, nun feststellen zu müssen:

Zivilcourage ist nicht strafbar!

Das hatte zum einen niemand behauptet, zum anderen war nicht Zivilcourage, sondern Freiheitsberaubung angeklagt und zum Dritten hat das Gericht weder über Freiheitsberaubung noch über „Zivilcourage“ entschieden, sondern es hat in der Sache gar nicht entschieden und stattdessen das Verfahren eingestellt.

Bei der Kostenentscheidung erlegte das Gericht den Angeklagten ihre notwendigen Auslagen, also insbesondere die Kosten ihrer Verteidigung, auf. Das ist keineswegs zwingend. Vielmehr sieht § 467 Abs. 1 StPO grundsätzlich vor, dass bei Freispruch oder Einstellung die Auslagen der Staatskasse und auch die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last fallen.

Nach Absatz 4 kann das Gericht allerdings davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen. Meisten wird dabei auf die Stärke des Tatverdachts abgestellt, die eine Zahlung durch die Staatskasse unbillig erscheinen lassen kann. Je stärker das Gericht  – unter Wahrung der Unschuldsvermutung – den Tatverdacht gewichtet, um so eher lässt es die Angeklagten auf den Kosten sitzen. Außerdem kommt die Freistellung der Staatskasse insbesondere bei sonstigem sachwidrigem oder missbräuchlichem Prozessverhalten des Angeklagten, das Auslagen verursacht, z.B. bei Verzögerung der Einstellung oder offensichtlich überzogenem Verteidigungsaufwand trotz geringfügigem Tatvorwurfs in Betracht. Was hier genau für das Gericht der Grund war, kann ich nicht sagen, ist aber auch egal.

No deal

Dass die Angeklagten ihre Kosten „selbst“ tragen müssen, wird ihnen allerdings nicht weh tun, da bereits erhebliche Spendengelder für die Verteidigungskosten eingesammelt wurden. Ziel waren stolze 100000.–€. Man wollte ja das ganz große Freispruchsrad drehen und nicht etwa hasenfüßig einknicken. Ein Deal wurde im Vorfeld ausdrücklich ausgeschlossen. Nun ist eine Einstellung zwar kein formeller Deal, wegen der Zustimmung der Angeklagten ist die Bezeichnung aber auch nicht ganz falsch. Man nennt so etwas auch einen informellen Deal. Wie man hört, sollen es immerhin über 20000.– € geworden sein, die um die Angeklagten besorgte Mitbürger gespendet haben. Da dürfte noch ein schönes Sümmchen übrig sein, wenn die Honorarvereinbarungen nicht allzu hoch waren.

So ein Einstellungsbeschluss erlangt nur eine beschränkte Rechtskraftwirkung. Das bedeutet, dass die erneute Strafverfolgung wegen derselben Sache unter bestimmte Umständen möglich ist. Stellt sich im Nachhinein heraus, dass es sich bei der Tat gar nicht um ein Vergehen, sondern um ein Verbrechen handelt, kann erneut angeklagt werden. In anderen Fällen ist umstritten, wann es zu einer Neuauflage kommen kann. Den Meinungsstreit hier auszuführen würde hier den Rahmen der Kolumne sprengen.Es ist jedenfalls grundsätzlich möglich.

Wegen der Bedrohungen der Staatsanwaltschaft wird nun ebenso ermittelt, wie wegen des Todes des Zeugen, der bereits im Januar an Unterkühlung im Wald gestorben sein soll. Die Todesursache Unterkühlung  kann u.a. über sogenannte Wischnewsky-Flecken festgestellt werden. Ob die Gerichtsmedizin auch feststellen, wo genau der kranke Mann erfroren ist, wage ich ebenso zu bezweifeln, wie die Möglichkeit, dass er von anderen zum Erfrieren in den Wald geführt wurde. Warten wir also die Ermittlungen ab. Da wird vermutlich nicht viel bei rauskommen.

Unterdessen fordert der Rechtsexperte der LINKEN im sächsischen Landtag eine Aufklärung über die Motive der Staatsanwaltschaft für die Zustimmung. Es sei der Eindruck genährt worden,

dass der Rechtsstaat vor dem Wutbürgertum kapituliert hat.

Ja, da ist was dran. Und was die „sachlichen Erwägungen“ so im Einzelnen waren, interessiert mich auch. Allerdings fürchte ich, auch da wird nicht viel kommen.

Und letztlich ist das ja alles eine Frage der Einstellung

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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