Die AfD verliert ihr Politikmodell

Björn Höckes „Denkmal der Schande“-Rede markiert einen Wendepunkt in der Auseinandersetzung mit der AfD. Wenn die fatale Empörungsmechanik vielleicht auch nicht endgültig durchbrochen sein mag, so scheint sie doch ziemlich Sand im Getriebe zu haben. Die Partei wird endlich gezwungen, sich neu zu erfinden.


Von allen guten Geistern alleine gelassen

Björn Höckes „Denkmal der Schande“-Rede markiert einen Wendepunkt in der Auseinandersetzung mit der AfD. Sicherlich lief auch hier zum Teil wieder das übliche, von Reflexen beherrschte Drehbuch ab, das mit einer gezielten Provokation beginnt, der eine übertriebene Empörung folgt, in deren Zuge Dinge bemüht und also verkürzt oder sogar sachlich falsch wiedergegeben werden, woran dann die gesamte Rechte ihre Opferallüre aufhängen und genüsslich pflegen darf. Diesmal allerdings war etwas anders. Vielleicht nur eine Nuance. Aber wer gerne auf Facebook unterwegs ist, mag etwas davon gespürt haben.

Publizisten und Intellektuelle mit liberal-konservativen Schnittmengen, angefangen bei Jennifer Nathalie Pyka bis hin zu Alexander Wendt, haben auf die Rede mit einer Mischung aus Belustigung und bissiger Reflexion reagiert und damit einen neuen Ton in der Debatte angegeben. Auf der anderen Seite wollte Höcke nicht einmal die Junge Freiheit so recht zur Hilfe eilen. In den Kommentarspalten hat die Mehrheit den billigen Trick des Zusammenspiels aus gezielt missverständlicher Äußerung und heuchlerischer Unschuldsbeteuerung durchschaut. Wer sich dagegen weiter dumm gestellt hat, musste eben dumm bleiben. Achselzucken. Die AfD ward für diesen einen Moment buchstäblich von allen Guten Geistern alleine gelassen.

Sand im Getriebe der Empörungsmechanik

Inzwischen ist vielmehr klar, dass die Empörung über falsche Sprache und falsches Denken Teil des rechtspopulistischen Erfolgsrezepts ist, nämlich als einkalkulierte linkspopulistische Gegenempörung. Nachdem aber das Spektrum der öffentlichen Wahrnehmung insbesondere durch die Migrationskrise eine konservative Korrektur erfahren hat und so für linke und rechte Impulse desensibilisiert wurde, ist dem bisherigen Katz-und-Maus-Spielchen der Resonanzboden verloren gegangen. Wenn die Empörungsmechanik damit vielleicht auch nicht endgültig durchbrochen wurde, so scheint sie doch ziemlich Sand im Getriebe zu haben.

Wenn dem so ist, dann bestand der grundlegende Fehler der AfD darin, ihr eigens Märchen zu glauben und die Episode des linken Mainstreams für ein strukturelles Problem zu halten. Die Annahme war, dass sich die Geschäftsgrundlage des politischen Diskurses niemals ändern würde, dass die linksliberale Interpretationshoheit eine unverbrüchliche Konstante sei, an der rechter Protest nur emporzuwachsen brauche.

Was dann für ein Geschenk des Himmels gehalten wurde, nämlich die „Grenzöffnung“, war in Wirklichkeit sozusagen das Fukushima der linken Leitkultur sowie des neurechten Protests: Was Anfang 2015 noch als undenkbar und unsagbar galt, reicht heute als Selbstverständlichkeit bis weit in die Sozialdemokratie hinein – angefangen von getrennter Unterbringung nach Asylperspektive und Verschärfung der Abschiebehaft bis hin zu unaufgeregten Debatten über „Racial Profiling“.

Beginn schleichender Entzauberung

Damit wurde das strategische Kalkül der AfD und ihr gesamtes Politikmodell untergraben. Die Masche der „sorgfältig geplanten Provokationen“, um die anderen Parteien „zu nervösen und unfairen Reaktionen“ zu verleiten, ist durchschaut. Die Öffentlichkeit stellt sich darauf ein, die „Stigmatisierung der AfD“, oder genau genommen, die Empörung über die empörte Stigmatisierung bleibt zwar nicht aus, aber flaut deutlich ab. Damit verliert das Profil der Partei an Schärfe und Schwung. Schärfe und Schwung aber sind alles, was diese Partei hat.

Was hier beginnt, ist zunächst ein schleichender Prozess. Was sich verändert, ist dass eine gewisse Routine eingekehrt ist, was verloren geht, ist der besondere Reiz und Zauber des gesamten Spektakels. Die Marke AfD kommt zusehends aus der Mode, die Kunden beziehungsweise Wähler werden in der Folge nach und nach das Interesse verlieren.

Denn der Meinungsmarkt hat sich für die Partei von einer Win/Win- in eine Lose/Lose-Situation verwandelt: Die sinnvollen inhaltlichen Konzepte wurden enttabuisiert und von anderen Parteien übernommen, die radikalen Spitzen erzielen eher Selbstversicherungseffekte beim harten Kern, wirken in der Breite aber abschreckend. Natürlich ist das nur eine Prognose, aber das sind strategische Erwägungen, um die es hier geht, schließlich immer.

Ende der Champagnerlaune

Als Konsequenz werden Normalisierung und Radikalisierung zu unvereinbaren Gegensätzen, einen Richtungsstreit zu vermeiden, wird immer schwieriger, und egal was früher oder später dabei herauskommt: Das Potential einer koalitionsfähigen Rechtspartei wie auch einer rechtsradikalen Protestbewegung liegt jeweils für sich genommen eher unter zehn als über zwanzig Prozent. Darum wollte sich Alexander Gauland wohl nie auf eine der beiden Richtungen festlegen, der wusste, dass sich dann entweder die auf Karrieren hoffenden Profis oder die ideologischen Amateure enttäuscht abwenden würden.

Sicherlich, Totgesagte leben länger. Und die AfD wird es ohne Zweifel in den Bundestag schaffen. Aber zieht die Parteiführung jetzt keinen neuen strategischen Trumpf aus dem Ärmel, wird es der AfD im Wahlkampf deutlich an Wind in den Segeln fehlen. Wie dem auch sei, für die Partei gibt es jetzt kein zurück mehr, sie muss ihr Politikmodell schleunigst neu erfinden. Mit so einem bösen Erwachen hatte Frauke Petry in ihrer Champagnerlaune über die Kandidatur Angela Merkels wohl kaum gerechnet.

Philipp Mauch

Philipp Mauch ist von Berufs wegen Stratege für Regulierungsmanagement in der Konsumgüterindustrie. Als Stipendiat der Hanns-Seidel-Stiftung hat er über Nietzsche promoviert – eine Kombination, die er als Ausweis seines liberal-konservativen Nonkonformismus verstanden wissen möchte. In seinem Blog „Variationen der Alternativlosigkeit“ grübelt er über Deutschlands politische Kultur.

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