„Das Shotgun, das Begehren, der Bluteimer und etwas, was Du sagtest“
Eine Kolumne für den Blues und seine Helden anhand der neuen Rolling Stones- Platte „Blue & Lonesome“. Kubankes Hörmal-Kolumne schiebt in dieser Folge den Blues. Anläßlich des Rolling Stones Albums „Blue & Lonesome“ geht unser Musikfetischist auf die Jagger/Richards-Truppe ein und würdigt ebenso die gecoverten Originale. Heraus kommt eine sinnliche Kolumne voller Blues & Drugs & Crime.
„Blues is easy to play but hard to feel.“
(Jimi Hendrix)
„Wenn du den Blues nicht lebst, hast du ihn nicht.“
(Big Bill Broonzy)
„Blues sind die Songs der Verzweilfung.“
(Mahalia Jackson)
Wenn man den Blues hat, ist man hinüber, total fertig, absolut im Arsch. Was immer der Grund sein mag – Trennung,Verlust, Trauer, Krankheit, Machtlosigkeit gegen Wilkür, Ungerechtigkeit etc. Alles, was uns zu Boden schmettert, das Fleisch von den Knochen nagt und das Leben zur klaffenden Wunde macht, fließt in diese Musik ein. Doch wer den alten Schmerzensmann singt, spielt oder bloss hört, verbannt die Qual aus dem Schädel. Bitternis wandelt sich in Bittersüße, Depression in Melancholie. Man nimmt den Kelch der Verzweiflung entgegen und leert diesen Bluteimer bis auf den letzten Tropfen. Sobald alles Fieber umamrmt, bis zur Neige ausgekostet ist und der Blues im Herzen lebt, ja, dann kann man sich die Pein aus dem Hirn reißen.
That’s what Blues is to me.
Nun kreuzen die Rolling Stones – elf Jahre nach „A Bigger Bang“ – mit einer Hommage an die alten Helden des Blues auf. Es ist ein wenig, als ob das Mammut die Saurier ehrt. Doch die Urviecher des Rock klingen so dirty und direkt wie lang nicht mehr. Ihr Ansatz überzeugt in jeder Hinsicht. Zum einen umschiffen diese vitalen Mittsiebziger die seit Jahrzehnten ebenso tumben wie stereotypen Verbalrülpser a la „Ach, watt denn, watt denn, die gehören doch längst in Altersheim, wa? Wo is’n der Rollator, wa? Wohl senile Bettflucht, wa?“ Denn beim Blues war und ist es stets vollkommen unerheblich, ob man 19 oder 91 Lenze zählt. Komplett Latte, ob man als jungbrunniger Mister Universum auf die Bühne hechtet oder als physische Resterampe on Stage geschoben werden muss. Entweder man hat es – come on in, mate – oder man ist lediglich ein trittbretternder Möchtegern und fühlt es nicht – then fuck off!
Desweiteren führen die Lieder des Blues immer ein Eigenleben. Sie sind nicht an einen bestimmten Musiker oder ihren Komponisten gebunden. Sie leben vom zeitlosen Gefühl, zehren Tränen auf, schenken Schmunzeln, Erotik, Liebe und pure Leidenschaft jeglicher Farbe. Deshalb ist es das Weitergeben, was sie unsterblich macht. Diese Gefühle, sind womöglich das Einzige auf der Welt, was sich vermehrt, je mehr man es teilt. Man behält den Blues nicht für sich, wie ’ne olle Karosse. Man schenkt einander voll ein, berauscht sich, lässt ihn wandern.
Genau das tun die Stones mit „Blue & Lonesome“. Das späte Album ist ein Altar jenen Fundaments ohne welches ihre Rockmusik – und damit ein bedeutender Teil der Musikgeschichte in der 2. Halbzeit des 20. Jahrhunderts – nicht denkbar wäre. Bereits in jungen Jahren griffen sie – u.A. mit Kumpel Eric Clapton – Größen wie Howlin‘ Wolf oder Muddy Waters unter die Arme und schenkten diesen Pionieren das europäische Publikum. Kein Wunder also, dass Old Slowhand auch hier auf zwei Songs als Gast mitwirkt. Man bemerkt ihn allerdings kaum.
Das Album atmet erstaunliche Frische. Micks Vocals klingen keine Sekunde nach 73 Jahren auf dem Tacho. Kraftvoll, lasziv und variabel passt er sich dem Naturell jedes Liedes an. Die Performance klingt keinen Tag älter als vor 30 Jahren. „Girl why you left me, you just don’t know. You heard some bad talk, somethin‘ that you said…aomethin‘ that you said…somethin‘ that you said.“
Für Keith Richards und Ronnie Woods Gitarren ist dieser pure Bluesrock ebenso Heimkehr wie Heimspiel. Vor allem Richards erweitert die vergleichsweise einfachen Strukturen lustvoll um individuelle Sounds und (s)einen unverkennbar groben Anschlag.
Und was ist mit Charlie? Es ist wie immer: Als ursprünglicher Jazzdrummer ist der Gentleman Watts spieltechnisch einmal mehr gnadenlos unterfordert. Das ist seit 54 Jahren nichts neues. Gleichwohl: Es waren die Glimmer Twins (ein Pseudonym von Jagger/Richards), die Watts in den frühen Sixties an den Blues heranführten und Zuneigung zu diesem Stil weckten. Sein Drumming auf diesen 12 Songs ist mithin mehr als bloße Routine. Sehr straight, dabei erfüllt von nuancierter Sensibilität legt er die essentielle Basis auf der die Truppe sich austobt.
Ein paar Anspieltipps? Gern!
Howlin‘ Wolf – „Commit A Crime“
„I’m gonna leave you woman before I commit a crime.“ Der heulende Wolf alias Chester Arthur Burnett ist mein ewiger Lieblingsblueser. Seine fletschende, ungezähmte Wildheit ist – besonders aus der Zeit heraus betrachtet – einmalig. Tom Waits und Keith Richards lernten beide viel von ihm. Man hört es u.A. sehr deutlich auf „Gun Street Girl“ oder „Big Black Mariah“ (beide von Waits „Raindogs“ 1985), bei denen Keith seinen engen Freund Tom auf der Gitarre begleitete. Hier kommt Howlin‘ Wolfs derbe Beziehungsabrechnung.
Die Stones-Variante bleibt der Erdigkeit des Originals treu. Besonders Jagger gibt gesanglich angemessen das räudige Tier.
Memphis Slim – „Blue & Lomesome“
Zu den Bewunderern von Pianoman Memphis Slim zählen nicht nur die Stones oder Nick Cave. So verschiedenartige Künstler wie Clapton, Hendrix, Nathalie Cole, Mahalia Jackson oder Carlos Santana nahmen Stücke von ihm auf. „Lonesome & Blue“ stammt aus dem Jahr 1949 (diese Aufnahme von 1954). Es besticht durch die für diese Zeit harschen Vocals; randgefüllt mit berstender Leidenschaft. Der Clou: das launig kontrastierende Piano.
In der Stones-Fassung lockt besonders das herrlich schroffe Gitarrenarrangement. Ein Genuss, wie sich der rohe Klopper mit Jaggers nicht minder ungeschlachtem Gesang duelliert.
Buddy & Ella Johnson – „Just Your Fool“
Das Geschwisterpaar Johnson & Johnson hat diverse Jazz- und Bluesstandards auf dem Kerbholz. Mit versiertem Orchester traten sie erfolgreich zwischen den 30ern und 60ern auf. Die perfekte Arbeitsteilung lautete: Buddy schreibt und spielt die Rolle des Bandleaders. Ella singt ausdrucksvoll. „Just Your Fool“ von 1953 swingt gemächlich vor sich hin, während die energische Ella ihrem Liebsten deutlich erklärt, sie werde ihn, verdammt nochmal, mit dem „Shotgun“ abknallen, so er sie jemals verließe.
Die Stones interpretieren den Track als solide Partynummer. Hier kommt die Interpretation des Klassikers nicht ganz an die Intensität des Originals heran. Nett aber nicht gerade herausragend. Es bleibt zum Glück der einzig mediokre Track auf der ansonsten starken Scheibe.
Jimmy Reed – „Little Rain“
Der Mississippi-Bluesman Jimmy Reed ist eine dieser schillernden wie tragischen Figuren, deren Biografie ebenso spannend ist wie ihr Talent. Als Musiker kann man seinen Einfluss auf die keimende Rockszene nicht hoch genug schätzen. Egal ob Elvis Presley, The Animals, Grateful Dead, ZZ-Top oder Van Morrison: Reed ist der Grundstein auf den alles zurückgreift. Zwischen 1964 und 69 coverten die Stones u.A. „Shame Shame Shame“. Deutlich ausdrucksvoller ist jedoch das hypnotische „Little Rain“. Und geregnet hat es in Reeds Leben eigentlich durchgehend. Eine über Jahrzehnte unentdeckt gebliebene Eplilepsie und einhergehender Alkoholismus ruinierten ihm trotz zahlloser Charterfolge die Karriere. Ausgezehrt und verarmt starb er mit 50 Jahren.
Die Stones erhalten den perkussiven Charakter des Stücks, rücken die stoische Gitarre jedoch deutlich in den Vordergrund. Der minimale Effekt auf Jaggers Stimme sorgt für passendes Fabrikhallen-Feeling. Zur Krönung gibt es eine dramatisch einbrechende Mundharmonika. Alles sehr songdiench interpretiert; „underneath the shining moon.“
Little Walter – „Hate To See You Go“
Der Blues war oft very „Sex & Drugs & Violence“. Voll Gangsta, voll Badboy, voll Straße! Little Walter ist ein ewiges Paradebeispiel hierfür. So gesegnet seine musikalischen Fähigkeiten waren, so sehr stand er sich selbst im Weg. Aller Erfolg, alles Pushen durch Willie Dixon, Muddy Waters oder dem Kultlabel Chess-Records konnte ihn nicht vom Highway in den Abgrund fernhalten. Er war streitsüchtig, leicht erregbar, agressiv, gewalttätig, eifersüchtig und extrem launisch. Zahllose Schlägereien und Dauerkonfrontation mit der ohnehin oft rassistischen Polizei waren die Folge. Kurz nach einer recht erfolgreichen Tour durch Europa gerät er 1968 einmal zu oft in ein Handgemenge. Während der Pause eines Gigs begibt er sich in der South Side von Chicago vor die Tür, wo es zur blutigen Auseinandersetzung kommt. Folgende Nacht verstirbt der 37 Jährige schlafend im Appartement seiner Freundin in der 209 E. 54th Street. „Hate To See You Go“ stammt aus dem Jahr 1955.
Die Stones-Performance gehört hier voll und ganz Jagger, der aus dem Song eine recht typische, sexy One-Man-Show macht.
Willie Dixon – „I Can’t Quit You, Baby“
Dixon darf man mit Fug und Recht als den womöglich einflussreichsten Bluessongwriter aller Zeiten betrachten. Er verkörpert das totale Bindeglied zwischen Blues und Rock. Die wichtigsten Muddy Waters-Tracks stammen allesamt aus seiner Feder. Ebenso zahllose Nummern für Chuck Berry oder Bo Diddley.
Viele haben sich an diesem unschlagbar intensiven Nachtblues versucht. Neben Gary Moore oder John Mayall kennt man besonders die Led Zeppelin-Version. Mein Favorit bleibt trotz allem diese Dixon-Fassung. Er schrieb das Stück bereits 1956 und ließ es Otis Rush singen. Seine eigene Version aus dem Jahr 1969 – diese hier – haut mich dennoch noch mehr um.
Bei Auftritten gab es eine Besonderheit. Dixons Kontrabass war deutlich größer als er selbst. Deshalb stellte er oft einen Hocker neben das Instrument und sprang zwischendurch darauf, sobald er tiefe Lagen zu greifen hatte.
Die Stones übernehmen Dixons erotischen Aufladung. Jagger gibt erst den Crooner, um sich dann als überschnappender Kreischer selbst zu überbieten. Richards bekommt – wenn schon keinen eigene Gesangsnummer – seinen ultimativen Solo-Moment. Und das perlende Piano (Chuck Leavell) mausert sich zur tragenden Charakterrolle. Sehr gelungene Interpretation.
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