Wer hat Angst vorm Terrorismus?

Wir brauchen keine Angst zu haben, sagen die Zeitungen, Fernsehsender und Experten. Haben wir ja auch nicht. Und nun?


Der öffentlich-rechtliche Rundfunk und auch einige der so genannten seriösen Medien versuchen uns in den letzten Tagen eindringlich klar zu machen: wir müssen uns nicht so doll fürchten vor den Terroristen. Es wird uns, also jedem einzelnen von uns, schon nichts passieren. Wir, also Sie, liebe Leser ganz persönlich, müssen wirklich keine Angst haben, bei einem Terroranschlag zu sterben, genauso wenig wie der Autor dieser Zeilen.

Dazu werden Statistiken über Todesursachen bemüht und Wahrscheinlichkeiten für bestimmte schlimme Todesszenarien berechnet. In der letzten Kolumne hatten wir gesehen, dass die Berechnung solcher Wahrscheinlichkeiten im Falle von Terrorangriffen derzeit schlicht unmöglich ist. Aber sei es drum.

Die spannende Frage ist ja eigentlich: Wer muss denn hier überhaupt beruhigt werden?

Haben Sie Angst vor Terror?

Wenn ich so durch die Straßen  gehe, begegne ich eigentlich nirgends Menschen, die besonders ängstlich wirken. Niemand blickt sich argwöhnisch um im Einkaufszentrum, keiner versucht ängstlich, Menschenansammlungen zu vermeiden. Alle sitzen gelassen in den Cafés, plaudern friedlich mit den Verkäufern auf dem Markt.

Auch im vertrauten privaten Gespräch hat mir noch niemand seine Angst vor dem Terror gestanden. Dass jemand mit verzweifelt zitternden Händen, schweißnasser Stirn und zitternder Stimme flüstern würde, er habe große Angst, von einen Terroristen umgebracht zu werden – nein, das ist mir noch nicht passiert.

Die seriösen Medien geben natürlich nichts auf meine anekdotischen Erfahrungen. Sie schicken die Meinungsforscher los, damit ihnen eine repräsentative Stichprobe von Alltagsmenschen ihre Ängste mitteilen. Meinungsforscher sind allerdings keine Psychologen, die in geduldigen Sitzungen die Ängste ihrer Interviewpartner ausloten. Sie haben statt dessen Fragebögen, auf denen man ankreuzen kann, ob man einer Aussage zustimmt oder nicht oder es nicht weiß.

Was fragen also die Meinungsforscher? Geben Sie mal in eine Suchmaschine Ihrer Wahl „Umfrage Terror“ ein. Ignorieren Sie die skandalisierenden Überschriften, versuchen Sie statt dessen, im Text herauszufinden, was in den Umfragen wirklich gefragt wurde. Sei werden sehen, das ist gar nicht so einfach. Insgesamt ergibt sich das folgende Bild. Gefragt wird zumeist, ob man der Meinung ist oder fürchtet, dass die Terrorgefahr oder die Zahl der Terroranschläge in Deutschland oder in Europa in nächster Zeit zunehmen wird.

Wenig überraschend antworten die meisten Menschen da mit „Ja“.

Finden Sie irgend eine Umfrage, in der auch nur gefragt würde, ob jemand Angst habe, selbst Opfer eines Terroranschlags zu werden? Wenn ja, her mit dem Link!

Schon die Berichte über die jeweilige Umfrage lesen sich dann aber ganz anders: Da wird dann mal eben gesagt, die Angst vor dem Terrorismus würde wachsen. Das ist, wenn man den Umfrageergebnissen traut, nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz richtig.

Dann kommen die Aufklärer

Nun kommen die Experten ins Spiel, die klugen Aufklärer der Tagesschau und die Professoren der Soziologie und der Psychologie. Sie sagen uns: Leute, ihr braucht keine Angst haben. Ihr werdet nicht bei einem Terrorangriff sterben!

Darüber wieder berichten dann auch alle diese großen seriösen Zeitungen und Rundfunkanstalten, und man denkt sich: Mensch, wenn die alle so gleichzeitig beruhigend auf das Volk einreden, all diese klugen Leute, dann muss die Angst in der Bevölkerung ja wirklich groß sein. Man fragt sich plötzlich: Warum habe ich eigentlich keine Angst? Müsste ich mich nicht auch fürchten, wenn es offenbar alle tun?

(Wenn dann der nächste Meinungsforscher kommt, dann wissen Sie auch schon, was Sie, wenn Sie normal sein wollen, auf die Fragen zur Terrorismusangst antworten müssen. Wobei: haben Sie keine Angst, die Wahrscheinlichkeit, dass ein Meinungsforscher gerade Sie befragt, ist sehr gering…)

Sorge vor einer Zunahme von Terroranschlägen, das bedeutet nicht, dass man sich selbst in Todesangst befindet, nicht mal, dass man angst davor hat, bei einem Anschlag selbst verletzt zu werden. Es heißt einfach, dass man sich Sorgen macht, dass der Terrorismus hierzulande zukünftig eine größere Rolle spielt. Sich sorgen, das heißt auch, dass man bereit ist, dafür zu sorgen, mit dieser Gefahr umzugehen. Sorgen ist erst mal nichts Schlechtes.

Deshalb sollte man solche Sorgen auch nicht zu Angst oder gar Panik hochschreiben und -reden, damit man dann, ganz besorgter Staat, die Sorgen wieder kleinreden kann – oder dem Bürger verspricht, durch diese und jene Maßnahmen dafür zu sorgen, dass uns nichts passiert.

Sicher, das wollen diese Medien, die derzeit so eifrig versichern, dass wir keine Angst haben müssen, auch nicht. Sie sorgen sich nur um Einschaltquoten und Auflagezahlen. Vielleicht haben sie sogar Angst, dass die zurückgehen. Mit einer Schlagzeile: „Bürger nehmen an, dass es mehr Terroranschläge geben wird“ kann man niemanden locken. Also muss eine Angst her, möglichst gar eine Panik. Und ein besorgter Experte der uns dann sagt, dass wir die Angst, die wir nicht haben, wirklich auch nicht haben müssen.

Jörg Phil Friedrich

Der Philosoph und IT-Unternehmer Jörg Phil Friedrich schreibt und spricht über die Möglichkeiten und Grenzen des digitalen Denkens. Friedrich ist Diplom-Meteorologe und Master of Arts in Philosophie.

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