Der Mond, der Pool und verlorene Liebe – Eine Kolumne für Radiohead

Radiohead ist eine der polalirsierenden und größten Rockbands des Planeten. Genies oder Scharlatarne? Heulsusen oder Dramatiker? In seiner Kolumne “Hörmal” geht Ulf Kubanke auf die neue Platte ein und läd zum Streifzug durch ihre Höhepunkte.


Beim Stichwort Radiohead scheiden sich meist die Geister. Den einen bedeuten sie eine große Offenbarung im Ästhetik, Sound wie Innovation. Bei Anderen – etwa Noel Gallagher –  gelten sie mitunter als Jammertüten, deren Effekte die Substanz gelegentlich übersteigen. Die Wahrheit steht jedoch auf einem dritten Blatt. Radiohead ist eine hochbegabte, unverwechselbare Rockband und Soundmaschine, bei der Freunde des eingängig-melodischen Songwritings mit eingebauter Tränendrüse genau so heimisch werden, wie Fans von Dekonstruktion und Avantgarde. Kongenial unterfüttert vom Thom Yorkes schwerelosem Lamento, welches er zur hohen Kunstform und Markenzeichen analog führender Klageweibern wie Neil Young oder Chet Baker erhebt.  Sein Gesang ist es, der die musikalische Landschaft drumherum überhaupt erst ermöglicht und ins rechte Licht rückt.

Starten wir also mit jenem frühen Überhit – “Creep” – der ihnen Fluch wie Segen wurde. Es ist einer der besten, gefühlvollsten Rocksongs aller Zeiten und funktioniert sogar bei passionierten Radiohead-Muffeln. Mit Ohrwurm-Chorus und großer Gitarre erklimmt das Stück ab 1993 den Gipfel zu Welthit und Evergreen. Namhafte Kollegen wie Amanda Palmer oder U2 adeln das “Ekel” mit gelungenen Coverversionen. “What the hell am I doing here? I don’t belong here.” Oh, doch! Du gehörst in den Tower of Song, Baby. Hier kommt “Creep”.

Doch nun ab in die Gegenwart:

Mit großem Showbiz-Brimborium meldet sich Radiohead zurück nach 5 Jahren und einer halbgaren Soloplatte von Thom Yorke. „A Moon Shaped Pool“ heißt Studioalbum Nr. 9. Eine totale Enttäuschung ist es nicht geworden. Grund zur Euphorie besteht leider ebenso wenig. Der Anlass für einen kleinen Spaziergang durch die Musik dieser herausragenden Band bietet sich darin jedoch allemal.

Die neue Platte oder “ein bißchen schwanger?”:

Textlich bieten Radiohead ein wenig Politik ( etwa „Burning The Witch“ – zur Flüchtlingskrise) und sehr viel Liebeskummer. Wie auch schon Coldplay oder Björk zuletzt, zelebriert Yorke wehmütig die Trennung von Lebensgefährtin Rachel Owens nach über 20 Jahren. Man hört dem Radioheadfrontman seine Emotion durchaus an. Gleichwohl mag der Funke zum Hörer nicht recht überspringen, schon gar nicht ihn erobern.

Woran mag das liegen? Genau hierin liegt doch sonst eine ihrer Stärken?

Die Antwort findet sich rasch. Während Jon Greenwood solo als Soundtrackkomponist und Arrangeur immer besser wird, fehlen Radiohead und (Yorke solo) derzeit anscheinend die richtigen Ideen für zupackendes Songwriting oder konsequente Avantgarde. Es gibt kaum echte Killersongs und auch keine verstörenden Spielereien.

Ergebnis:

Keine Hitze, keine Kälte, alles verharrt lauwarm im Mittelfeld routinierten Pegelhaltens in edlem Outfit. Greenwoods Streicher-Arrangements verschieben die Mundwinkel gelegentlich nach oben. Doch auch er vermag nicht ganz jene Intensität zu erhaschen, die er zuletzt als Gitarrero zB mit der Variation von Steve Reichs „Electric Counterpoint“ („Radio Rewrite“ 2014) so beeindruckend darbot.

Diese Platte ist für mich (wie auch schon der Vorgänger „King Of Limbs“) mithin höchstens ein halbgarer Schatten all jenes Spirits, den sie abfackeln können, wenn sie nur wollen. Zum Bilden des eigenen Urteils hier „Daydreaming“:

Wofür sie gebührenden Respekt verdienen: „Kid A“ und „Amnesiac“

Mitten auf der Erfolgswelle, reißen sie das Ruder herum, verlassen den Pfad aller bisherigen Markenzeichen und holen zum Millenium mit „Kid A“ und dem Nachfolger „Amnesiac“ die Abrissbirne aus der Schublade. Konventionelle Songstrukturen? Vergesst es! Hier herrscht die totale elektronische Verfremdung, Dekonstruktion und Umwandlung der Band zum schillernden Post-Everything-Monster. Elektrischer Steckdosensalat und knochige Kreativität vögeln miteinander, bis eine Art erhabener Avantgarde-Behemoth sich aus den Trümmern erhebt. Nicht jedermanns Sache, aber großartig! Kollege Noel Gallagher (Oasis) nennt es „scheiß Techno-Gewichse“. Ich nenne es: Einen mutigen Schritt, mit dem sie ihre Karriere riskierten, alles auf eine Karte setzten und gewannen.

Wofür man sie lieben muss: „The Bends“ und „OK Computer“

Beide Alben verdienen Meilenstein-Status und gehören zum Besten, was die 90er hervorbrachten. „The Bends“ ist eine Spur konventioneller in den Rockmomentem als „OK Computer“. Letzteres setzt ein wenig mehr auf Progrock und gibt Miles Davis „Bitches Brew“ als Inspiration an. Die Gemeinsamkeit liegt indes in Anmut und Größe ihres Songwritings sowie in einer Handvoll der schönsten, balladesken Nachtlieder aller Zeiten. Melancholie, Romantik, Desillusion, Depression, Liebe? Ja, alles zusammen! Sie mischen es ineinander und hauen dem Lauschenden einen echten Gefühls-Tsunami um die Ohren. Just try, es lohnt sich:

Für eine Handvoll „Perfect Nightsongs“:

Radiohead – „Fake Plastic Trees“

„She lives with a broken man, A cracked polystyrene ma, who just crumbles and burns……“ Kann es ein verzweifelteres Lied geben?

Radiohead – „Exit Music for A Film“

Die Melodie ist simpel, dabei ungemein hypnotisch und effektiv. Was immer man gerade macht. Man muss aufhorchen und unterbricht es. Mein ganz persönlicher Radiohead-Favorit. „Today we escape…we escape….“

Radiohead – “Karma Police”

Mit Akustischer, Piano und einem Hauch Beatles (“Sexy Sadie”) lamentiert Yorke sich durch diese verdiente Hitsingle. “For a minute there I lost myself….I lost myself.” Dieses schöne Lied hingegen sollte man nie mehr verlieren.

Radiohead – “No Surprises”

“A job that slowly kills you; Bruises that won’t heal.
You look so tired-unhappy. Bring down the government.
They don’t, they don’t speak for us….”
Bis heute scheiden sich die Geister der Exegese, ob es hier um die Flucht aufs Land oder Suizid dreht. Mit Glockenspiel und Tambourin bauen Jonny Greenwodd und Ed O‘ Brien ihrem Sänger einen Kokon, der die suggestive Kraft in Yorkes Stimme vortrefflich verstärkt. “…so no alarms and no surprises for me.” Für uns schon. Der Song verliert auch nach wiederholtem Hören nicht das Geringste seiner durchdringenden Kraft.

Man kann nur hoffen, dass sie eines fernen Tages womöglich wieder zu dieser unanfechtbaren Weltklasseform zurückfinden. Bis dahin gilt: “A Moon shaped Pool” ist eher für beinharte Fans. Alle anderen halten sich besser an die frühen Glanzlichter.

Ulf Kubanke

Ehemaliger Anwalt; nun Publizist, Gesprächspartner und Biograph; u.a. für Deutschlands größtes Online-Musikmagazin laut.de.

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