Kommen Sie Heim
Ein Roman, der keiner ist – oder gerade doch
Wer DieKolumnisten regelmäßig liest, kennt Sören Heims Kolumnen. Jetzt hat er den Roman „Kleinstadtminiaturen“ veröffentlicht.
Sören Heim ist Schriftsteller. Er ist am 30.7.1984 geboren, studierte Englisch, Slavistik und Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft . Er arbeitet auch als freier Journalist und Übersetzer. Von irgendwas müssen Autoren ja leben. Heim veröffentlicht Lyrik und Prosa unter anderem in der Bibliothek deutschsprachiger Gedichte, in der eXperimenta, im Podium Literatur und wo man sonst so veröffentlicht. Sören Heim ist unter den Preisträgern des Nachwuchspreises der Internationalen Gemeinschaft deutschsprachiger Autoren, des Lyrikwettbewerbs der Bibliothek Deutschsprachiger Gedichte 2013, sowie Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung Pena e Anton Pashkut (Stift des Anton Pashkut), des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014, und des Kunstförderpreises der Stadt Bingen 2015. Bekannt und preisgekrönt wurde er für seine Lyrik. Er klingt so.
Und jetzt ein Roman? Bei der Ankündigung war ich mächtig gespannt.
Ein dünnes Heft
Als der schmale Umschlag dann geliefert wurde, kam ich zunächst gar nicht auf die Idee, dass da Sören Heims Roman drin sein könnte. Ziemlich schmales Teil. Beim Auspacken leichtes Wundern. Ein vielleicht gut einen Zentimeter dickes „Heft“, gerade mal ein kleines bisschen dicker, als die Schülerzeitungen, an denen ich vor rund 40 Jahren beteiligt war. Will der Kerl mich verarschen, war meine Idee. Für mich müssen Romane eine gewisse räumliche Ausdehnung haben. Eher Schinken als Illustrierte. Normalerweise.
Und dann lag da dieses Ding. 102 Seiten. Kann man an einem Abend weglesen, dachte ich. Mache ich mal zwischendurch, dachte ich. Was soll ich da großartig zu schreiben, dachte ich. 14,90€, Frechheit, dachte ich.
4 Irrtümer
Und in allen vier Fällen irrte ich. Das Buch mag kein Roman sein, schon weil es keine wirkliche Handlung und Hauptfiguren hat. Aber das macht überhaupt nichts. Es ist das Geld wert. Ein Roman in 24 Bildern steht auf dem Cover. Man könnte vielleicht auch 24 Kurzgeschichten sagen, von denen einige so kurz sind, dass Kurzgeschichte schon viel zu lang klingt. Aber Bilder trifft es in der Tat besser. Das ganze Werk ist kongenial illustriert von Jana Stendal. Und es lohnt auch bei den Illustrationen zu verweilen. Überhaupt empfehle ich bei diesem Text häufiger zu verweilen.
Ich bin bei der Lektüre dieses Buches mehrfach tief eingeschlafen. Werten Sie das nicht als negatives Merkmal, es ist es nicht. Vielleicht hätte ich richtigerweise sagen sollen, ich bin mehrfach tief im Text versunken.
Mitten im Text
Erinnern Sie sich noch an den kleinen dicken Jungen aus der Unendlichen Geschichte? Wie dieser Bastian Balthasar Bux bin ich mehrfach wie durch ein kleines schwarzes Loch im Text in diese imaginäre Kleinstadt – vielleicht sind es auch mehrere – gesogen worden. Bin da herum gegangen und hab mir das genau angesehen. Mittendrin. Virtuelle Realität ganz ohne technischen Schnickschnack. Obwohl das Buch nur 102 Seiten hat, habe ich es über viele Tage gelesen, es ganz bewusst und langsam genossen.
Heim hat einen sehr eigenen Stil.
Da knarzt draußen das braundunkle Gittertor, wie der Rasenmäher rostig, und Putz platzt ab, da bewegt sich die helle hölzerne Hüttentür – die ganze Hütte hellgelblich, fast weiß – und hinein, zottlig und strubbelbärtig lugt mit der Wollmütze und geröteter Nase und Wangen ein Kopf: Vadim, von der Herberge drüben, ein Penner.
oder
Der Oberkörper des Clowns ragt aus einer grauschwarzen Altpapiertonne heraus, die in der wabernder Luft auf dem weiten Aschefeld steht. Im Schweiße verläuft ihm die weiße Schminke, die glühend rote Lippenstiftfratze.
Bilder aus Sprache und Klängen
Da schreibt einer nicht nur, da malt einer Bilder aus Sprache und Klängen in meinen Kopf.
Das Irre an diesem Ding ist, dass man die einzelnen Teile nicht nur je für sich lesen kann, man kann auch die Reihenfolge ändern und die Einzelteile beliebig neu kombinieren. Ich weiß nicht, ob das die Absicht des Autors war, aber das ist auch egal. Das haben gute Kunstwerke so an sich, dass ihnen egal wird, was ihr Schöpfer ursprünglich mal wollte. Aber vielleicht wollte er das ja auch. Dieses Buch liest man mehrmals und vermutlich immer wieder anders.
Ärgerlich sind nur ein paar kleine handwerkliche Mängel. Ein paar doofe Tippfehler, die bei der nächsten Auflage beseitigt werden müssen. Der beigefügte Errata-Zettel, der auf einige Fehler hinweist, hat immerhin den praktischen Nutzen, als Lesezeichen zu dienen.
Lassen Sie sich dadurch nicht abhalten, das Buch zu lesen. Kommen Sie Heim. Vielleicht treffen wir uns da.
Buchdetails
- Erscheinungsdatum Erstausgabe : 16.03.2016
- Aktuelle Ausgabe : 16.03.2016
- Verlag : Girgis Verlag
- ISBN: 9783939154181
- Buch 102 Seiten
- Sprache: Deutsch
- Preis: 14,90€
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