Die Rückkehr der Rangers

Die Glasgow Rangers haben es geschafft. Vier Jahre nach dem Zwangsabstieg zieht der überschuldete Rekordmeister wieder in die Premier League ein. Die Fans freuen sich auf die traditionsreichen Stadtderbys mit Celtic. Die sind zwar oft politisch und religiös überfrachtet, immer aber auch gelebte Fußballtradition und Begeisterung.


Man stelle sich vor, die deutsche Bundesliga bestünde nur aus Bayern München, Borussia Dortmund und – sagen wir – 16-mal dem FC Augsburg. Und man stelle sich weiter vor, Borussia Dortmund ginge Pleite und müsste in die 4. Liga zwangsabsteigen. Dann würden nur der FC Bayern und 17-mal der FC Augsburg die Meisterschaft unter sich ausspielen. Der Wettbewerb hätte wohl den Unterhaltungswert eines finnischen Dogmafilms in Originalversion.

Rangers sind Weltrekordmeister

Unvorstellbar sagen Sie? In Deutschland vielleicht. Aber so in etwa sah es in den vergangenen vier Jahren in Schottlands höchster Spielklasse, der Premier League, aus. Übermächtig thronte Celtic Glasgow über allen anderen Teams, die beispielsweise Ross County, FC Kilmarnock oder FC Motherwell heißen. Nur dem FC Aberdeen gelang es ab und an, ein paar Schweisstropfen auf die Körper der Celtic-Kicker zu zaubern. Dementsprechend niedrig waren die Quoten bei den Buchmachern, wenn man auf die Grün-Weißen als Meister setzen wollte.

Nun galt die schottische Liga nie wirklich als spannend. Celtic und der Lokalrivale Glasgow Rangers wechselten sich meist als Titelträger ab. Die Rangers sind mit 54 Titeln sogar Weltrekordmeister. Zuletzt reüssierte 1985 mit dem FC Aberdeen ein anderer Club. Alles was zwischen Highlands, Lowlands und zentraler Tiefebene zählte, waren Siege im Stadtderby, „the old firm“ genannt. Dann, 2012 wurde aus dem Pas de Deux ein Solo für Celtic.

167 Millionen Euro Schulden

Entgegen dem gängigen Schotten-Klischee agierte das Rangers-Management alles andere als geizig – und häufte 167 Millionen Euro Schulden an. Wären die Rangers Griechenland, die zahllosen ungedeckten Schecks hätten vielleicht keine Konsequenzen gehabt. Doch obwohl der Rekordmeister für den schottischen Fußball eindeutig „too-big-to-fail“ ist, also eigentlich zu wichtig für eine derartige Abstrafung, wurden die „Gers“ in die vierte Liga zurückversetzt. Andere ebenfalls horrende verschuldete Vereine traf es härter. Sie mussten von Liga Sieben aus den langen Weg zurück in die Premiership antreten. Ein gewisser Unverzichtbarkeitsbonus wurde dem Großklub aus der Metropole dann doch gewährt. Selbst Erzrivale Celtic dürfte darüber nicht unglücklich gewesen sein. Ist „the old firm“ doch mehr als nur das Salz in der Suppe des schottischen Fußballs. Es ist der schottische Fußball.

Wer Fan eines dieser beiden Teams ist, und mein Herz schlägt schon irgendwie grün-weiß (also für Celtic), der beantwortet für sich eine Glaubensfrage. Die Rangers sind der Verein der Protestanten und in der Regel der Menschen, die die Union mit dem südlichen Nachbarn England hochhalten. Celtic ist der Verein der Katholiken und manchmal auch derjenigen, die Schottland gerne unabhängig sähen. Beim Referendum 2014 stimmte zwar eine Mehrheit der Schotten für den Verbleib im Königreich. In Glasgow jedoch lagen die Befürworter der Eigenständigkeit vorn. Fans der beiden Traditionsklubs lieferten sich in der Wahlnacht Handgreiflichkeiten. Das Referendum war aber eher Gelegenheit als Auslöser für die Randale. Denn, immer wenn „the old firm“ auf dem Programm steht, herrscht in Glasgow Ausnahmezustand. Und trotz massiver Polizei-Aufgebote kommt es mitunter zu Keilereien einiger Unverbesserlicher. Die große Mehrzahl der friedfertigen Fans aber lebt, leidet, freut sich oder trauert mit den Teams. Und all das mit höchster Leidenschaft.

Stadtderby ist politisch und religiös aufgeladen

Wieviel Emotionen schottischer Fußball binden kann, durfte ich 1989 bei einem Sprachkurs in Cambridge erleben. Damals logierte ich bei der Schottin Mrs. McIntyre, die äußerlich an Miss Marple in der Darstellung von Margret Rutherford erinnerte. Die Witwe machte einen herzensguten Eindruck, und ich hatte mich in ihrem Haus von Anfang an sehr wohl gefühlt. Dennoch verschwieg ich der überzeugten Protestantin und Rangers-Anhängerin geflissentlich zwei Dinge. Erstens, dass ich Mitglied eines Eintracht-Frankfurt-Fanclubs war. Und zweitens, dass außerhalb der Grenzen meiner hessischen Heimat Celtic mein Lieblingsverein ist.

Man muss wissen, dass die Eintracht die Rangers im Europapokal-Halbfinale 1960 mit 6:1 regelrecht demütigte. In den Analen des Protestanten-Klubs ging dieses Spiel als Schmach ein, die Celtic-Ultras dagegen lassen es bis heute in Spottliedern aufleben. Noch 1992 gaben mir Celtic-Fans in einem schottischen Pub Runde um Runde aus, nachdem sie gemerkt hatten, dass ich als Deutscher nicht nur ein grün-weißes Shirt trug, sondern auch noch mit der Frankfurter Eintracht sympathisierte.

Mo Johnston wechselte als Katholik die Seiten

Mrs. McIntyre hätte sicher weniger nett reagiert. Als die Rangers 1989 Maurice („Mo“) Johnston verpflichten, wurde jedenfalls aus meiner britisch-höflichen Landlady eine regelrechte Furie. Denn Johnston hatte aus ihrer Sicht zwei Defekte. Er war Katholik, so etwas gab es im Rangers-Kader bis dato noch nicht, und er spielte zuvor bei Celtic. Im grün-weißen Lager war das Entsetzen mindestens ebenso groß wie bei den Blauen. Verräter war vielleicht noch das freundlichste Wort, mit dem Johnston, damals so etwas die der Star des schottischen Fußballs, von Celtic-Seite aus bedacht wurde. Um die Dimension der Schockwelle zu verdeutlichen: Es heißt, dass noch heute jeder Hardcore-Ultra von Celtic oder den Blauen wisse, wo er an dem Tag war, als die Rangers Johnston verpflichteten. Ganz so wie bei 9/11 oder der Mondlandung.

Der 5. April 2016, der Tag, an dem die Rangers endlich die Rückkehr in die höchste Spielklasse klar gemacht haben, dürfte wohl ebenfalls als historisches Datum in die schottische Fußallgeschichte eingehen. Eine bis dato langweilige Liga bekommt damit wieder eine andere Dramaturgie – und natürlich auch ganz andere Vermarktungsmöglichkeiten. Sogar in der aktuellen Zweitligasaison setzen die Rangers über 34.000 Dauerkarten ab. Für Ross County & Co. klingt so etwas wie eine Fata Morgana.

Celtic hat bessere Möglichkeiten

Bis die Fußballmacht im Norden der britischen Insel aber zu ihrem Gleichgewicht zurückfindet, dürften – zumindest nach den Gesetzen der Schwerkraft – noch Jahre vergehen. So haben die Verantwortlichen der „neuen Rangers“ wenig bis nichts getan, um den Verein auf einen vernünftigen finanziellen Kurs zu steuern. Immer noch bürdet auf den Schultern auf der Blauen eine Last von 167 Millionen Euro  – kein einziger Penny wurde bis heute zurückgezahlt. Allein an Steuer- und Sozialabgaben stehen noch 116 Millionen Euro aus. Celtic hat da ökonomisch ganz andere Möglichkeiten und mit Sicherheit den besser bestückten Kader.

Die Causa Rangers verdeutlicht aber eins: Tradition und Emotion sind für den Volkssport Fußball unverzichtbar. Keiner TSG Hoffenheim und keinem VfL Wolfsburg dürfte es in absehbarer Zeit gelingen, so viele Menschen zu begeistern, wie das selbst zweit- oder drittklassige Rangers schaffen. Wenn die bunt zusammengekauften Stars deutscher Werksmannschaften erfolgreich aufspielen, so wie es den Wolfsburgern zuletzt gegen Real Madrid gelungen ist, dann kommen die Kunden ins Stadion – und ja, sie jubeln dann auch ein paar Mal. Glasgows Ibrox-Park dagegen ist auch dann voll besetzt, wenn es im Unterhaus bloß gegen Dumbarton oder St. Mirren geht.

Deswegen sollte es die deutschen Fußballfans bedenklich stimmen, wenn nun mit Hannover 96, Eintracht Frankfurt sowie Werder Bremen die nächsten drei Traditionsvereine vor dem Abstieg stehen – und mit RB Leipzig das mit österreichischen Brausemillionen gepimpte Projekt eines Marketing-Experten und eines Fußballtheoretikers in die Bundesliga einzieht.

Nächstes Derby am 17. April

Schottische Enthusiasten indes freuen sich bereits auf den 17. April. Dann steigt die nächste Auflage des Stadtderbys. Dieses Mal noch als Halbfinale des Ligapokals. Aber glücklicherweise geht der Klassiker bald wieder in Serie.

 

Andreas Kern

Der Diplom-Volkswirt und Journalist arbeitet seit mehreren Jahren in verschiedenen Funktionen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Kern war unter anderem persönlicher Referent eines Ministers, Büroleiter des Präsidenten des Landtages von Sachsen-Anhalt sowie stellvertretender Pressesprecher des Landtages. Er hat nach einer journalistischen Ausbildung bei einer Tageszeitung im Rhein-Main-Gebiet als Wirtschaftsredakteur gearbeitet . Aufgrund familiärer Beziehungen hat er Politik und Gesellschaft Lateinamerikas besonders im Blick. Kern reist gerne auf eigene Faust durch Südamerika, Großbritannien und Südosteuropa.

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