Political Correctness als Gefahr

Für mehr Sensibilität, aber auch für Klarheit in der Sprache und für mehr Gelassenheit gegenüber vermeintlich falschen Worten wirbt Thomas Maess in seinem Gastbeitrag: “Wie wird eine Gesellschaft aussehen, in der wir peinlich darauf achten müssen, kein falsches Wort zu sagen?”


Political Correctness ist ein Jargon der Sensibilität – so schrieb es einst Roger Willemsen, und tatsächlich sagen wir lieber sensibel, statt leicht beleidigt oder sagen authentisch statt unbeholfen. Das ist Rücksicht, Takt, Freundlichkeit und Höflichkeit. Wir kommen im Alltag ohne Taktgefühl nicht aus. Wir sprechen dauernd mit eingebautem Rücktritt. Um sich Feinde zu machen reicht es, zu sagen was man denkt. „Du siehst heute aber gut aus“ ist für eine sympathische Kommunikation in aller Regel besser als „Hast Du zugenommen?“ Dieser Jargon der Sensibilität ist also nützlich, wenn es um Beziehungen zwischen Menschen geht.

Die Angst des Politikers

Der Graben zwischen dem Politiker und seinem Publikum lässt sich ausschließlich über die Brücke der Beziehung überwinden. Der Politiker wird verschweigen, dass er das Publikum für zu blöd hält, die komplizierte Energiewende wirklich zu verstehen. Nein, er wird sagen, dass er sich glücklich schätzt, heute ein so interessiertes Publikum vor sich zu haben. Diese Art unseres Umgangs hat mit den Kategorien von Wahrheit oder Lüge wenig zu tun. Wir bewegen uns wie in einem Sympathiesystem, das wir nur ungern verlassen.

Im Allgemeinen fällt es leicht, sozial verträglich zu formulieren. Dieser Jargon der Political Correctness ist eine nach innen gewandte Vorsichtsmaßnahme, die dem Politiker das Gesicht wahren hilft und ihn unangreifbarer macht. Jeder Politiker hat heute Angst vor den medialen Herabsetzungsaffekten. Und er ängstigt sich auch vor Zitaten, die aus dem Zusammenhang gerissen werden; er kann unmöglich absehen, wie seine harmlosen Wahrheiten über die Ufer treten und er sich dann angesichts medialer Trommelwirbel entscheiden muss zwischen Panik und Kaltblütigkeit.

Mangelnde Sensibilität

Unverständlicherweise gibt es auch den umgekehrten Weg – aus dem Jargon der Sensibilität wird ein Jargon mangelnder Einfühlung. Was denkt man sich zum Beispiel beim „finalen Rettungsschuss“, beim „Entsorgungspark“  oder bei dem Wort „Jobagent“? Zu den Droh- und Angstbegriffen zähle ich auch solche Worte wie „Kopfpauschale“ oder „Ein-Euro-Job“. Ich zähle hierzu auch die unglückliche Formulierung vom „Migrationshintergrund“. Menschen mit einem Hintergrund, den ich nicht kennen kann, sind doch irgendwie unheimlich. Da lauert was im Hintergrund. Außerdem macht natürlich die Umkehrung stutzig, als wären andere Menschen Leute mit einem deutschen Vordergrund.

Zweifelhafte sprachliche Weltverschönerung

Wir sollten auch den Moden nicht aufsitzen, aus Psychiatriepatienten „Menschen mit Psychiatrieerfahrung“ zu machen oder aus Altersheimen „Seniorenresidenzen“. Die Formulierung „Menschen mit Behinderungen“ statt „Behinderte“ zu sagen, mag ja gehen, aber müssten wir dann nicht auch von Patienten als von „Menschen mit Krankheiten“ reden?

Diese sprachlichen Weltverschönerungen werden zweifelhaft, wenn sie Klarheit vermissen lassen und einen sympathischen Grundton erzeugen sollen, wo keine Sympathie herrscht. Wer in eine „Seniorenresidenz“ einzieht, und sich dann in einem Altersheim wiederfindet, muss sich betrogen fühlen.

Ich hätte mir gewünscht, dass der Redenschreiber von Christian Wulff seinerzeit den korrekten, aber fahrlässig allgemeinen Satz „der Islam gehört zu Deutschland“ konkreter  gefasst hätte. Deshalb schwanken wir noch heute, ob dieser Satz eine Anbiederung war, eine Mutprobe, eine Provokation oder ein Gemeinplatz.

Wir kennen dieses Unbehagen, wenn wir Signalwörter unterbringen müssen, die abgegriffen und ausgelutscht sind und bei denen jeder abwinkt. Solche Wörter wie „soziale Gerechtigkeit“, oder „Nachhaltigkeit“, sind zu Sprachpiktogrammen mutiert. Diese Herumsteher in unserer Sprache muss man davonjagen.

Gedankenlose Korrektheit

Nach meinem Eindruck verbreitet sich in unserer Zeit die gedankenlose Korrektheit. Manche Sätze sind wie Fettaugen auf der Suppe: „Die Zukunft liegt vor uns“ oder „uns verbinden gemeinsame Werte“, nicht zu vergessen, „den Schritt in die richtige Richtung“ zu machen. Ganz und gar auf die Spitze der Korrektheit getrieben klingt ein Satz wie: „Unsere toten Soldaten gehören in die Mitte der Gesellschaft“.

Der Politiker oder die Politiker wollen immer auf der richtigen Seite stehen! Unmissverständlich! Deshalb wird die Korrektheit mit Adjektiven übertrieben, die zum Bekenntnis mutieren. Das DDR-Regime muss natürlich als „unrecht“ tituliert werden, und aus dem Holocaust wird der schreckliche Holocaust; Opfer müssen beklagenswert sein. Wer heute davon spricht, dass die Menschen länger leben, muss zwangsläufig hinzu setzen, dass das natürlich erfreulich sei – erst dann kann er endlos über Probleme lamentieren, die eine längere Lebenszeit mit sich bringen.

Angst, Falsches zu sagen

Diese peinliche Angst, nur ja nichts Falsches zu sagen und alles vollständig abzuarbeiten, damit die Presse nicht zum Angriff pfeift, stellt den Medien und der Politik kein gutes Zeugnis aus. Was ist los in den Feuilletons, in den Talkrunden oder in den Chaträumen? Wo bleiben Gelassenheit und Nonchalance, wo Fairness und Humor, wo Nachsicht und Augenzwinkern? Wie wird eine Gesellschaft aussehen, in der wir peinlich darauf achten müssen, kein falsches Wort zu sagen? Wie gehen wir miteinander um, wenn  das Spiel von Charme und Ironie, von Flirt und Witz, von kalt und heiß disziplinierter Selbstkontrolle unterworfen wird und wir uns ständig auf die Lippen beißen? Können wir uns eine Welt vorstellen, in der wir unseren Verstand und unser Gefühl vor Gebrauch sterilisieren?

Von diesem eher freundlichen Grundton muss ich deutlich unterscheiden, wenn es darum geht, die Realität ungeschminkt und ohne Angst beim Namen zu nennen. Wir haben in einer englischen Kleinstadt erleben müssen, wohin der hysterische Vorwurf von Rassismus führen kann. Aus Angst vor diesem Vorwurf organisierte man 16 Jahre lang ein Schweigen über Gewalttätigkeiten und Vergewaltigungen an Kindern und Jugendlichen, die eine Gruppe junger Muslime aus Pakistan verübten.

Die Wahl der Worte

Ich bleibe einen Augenblick noch bei Begriffen, die dem Redenschreiber durchaus im Sinne der Political Correctness Sorgen machen können. Ich finde häufig eine Terminologie vor, die eine Weltanschauung transportiert, die ich mit dem gewählten Begriff entweder pathetisch überhöhe oder aber kollabieren lasse. Je nach Kontext muss ich entscheiden, wann ich „Volk“ sage und wann „Bevölkerung“. Ich muss entscheiden, wann ich „Invasion“ sage oder wann „Krieg“, wann sage ich „Boden“ und wann „Ackerfläche“? Ich muss entscheiden, wann ich „Disziplin“ sagen kann und wann „Gehorsam“ oder wann ersetze ich das Wort „Ehre“ durch das Wort „Menschenwürde“? Bei der Formulierung eines politischen Gedankens haben wir es immer mit einem großen Assoziationshof zu tun. Denken wir nur an die vielen Varianten, die inzwischen alle den „Kriegsflüchtling“ meinen. Es tauchen bei vielen dieser Wörter Zusammenhänge auf, unter denen sie entweder korrekt oder unkorrekt beurteilt werden. In welche Richtungen dann die Schockwellen laufen, ist vorher nicht unbedingt absehbar. Es schwingen in den politischen Statements mit: Vergangenheitsbewältigung, Antirassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Friedenspolitik, Terrorismusbekämpfung, Ausländerpolitik, Nachhaltigkeit etc. Ein Netz von gegenläufigen Erfahrungen, Meinungen, Urteilen und persönlichem Erleben provozieren eine nach allen Seiten hin abgesicherte Vokabel – politisch korrekt und unangreifbar. Dass dann manchmal die mediale Aufmerksamkeit nachlässt, liegt auf der Hand.

Begriffe als Ungeheuer

Was opportun ist und was nicht, unterliegt dem Zeitgeist. Sie alle kennen Schillers Ballade vom „Handschuh“. Die Geschichte geht auf eine vorrevolutionäre französische Erzählung zurück. Schiller konfrontiert in der Ballade die höfische Konvention mit freiheitlicher Ehre. Um dieser Ehre willen verletzt der Ritter die Sitte seiner Zeit: „Und er wirft ihr den Handschuh ins Gesicht“. Goethes Freundin Frau von Stein beklagte sich über diese Ungeheuerlichkeit, dass ein Ritter einer Edeldame einen Handschuh ins Gesicht schleudert. Sie bat Schiller, diese Stelle zu ändern in „Und der Ritter sich tief verbeugend spricht: Den Dank Dame, begehr‘ ich nicht!“

Am Wort „Neger“ können wir den Zeitgeist ablesen, ohne ihn wirklich erklären zu können. Vom Neger ging es zum Farbigen, dann zum Schwarzen und heute zum Afrikaner oder Afroamerikaner. Ich lasse offen, ob diese Begriffsmutationen am Lebensgefühl der Afroamerikaner etwas geändert haben. Ich will das aber nicht ausschließen.

Aber ist es deshalb richtig, wenn das Wort „Negerlein“ aus den Kinderbüchern verschwindet oder das Wort „Negerkuss“ aus den Konditoreien, während gleichzeitig Tausende von flüchtenden Afrikanern im Mittelmeer ersaufen, weil wir ihnen den Weg versperren?

Es schleicht sich manchmal in den Zeitgeist ein perfider Ton ein, bei dem die einmal gewonnene Sprachregelung herhalten muss für einen perversen Unterdrückungsmechanismus. Wie verheerend die Nonsens-Formel vom „Krieg gegen den Terrorismus“ geworden ist, zeigt der verbale Gewaltakt des Herrn Erdogan, als er die demokratischen Demonstranten im Gezi-Park „Terroristen“ nannte, ebenso wie auch andere Despoten wie z.B. Herr Assad mit dem „Kampf gegen den Terrorismus“ die eigene Opposition bekämpfen. Der Terrorbegriff ist zu einem Ungeheuer gewachsen, das seinen Objekten den Tod bringt und seine Benutzer vergiftet.

Umetikettierung

Natürlich überhöhen wir gerne, was eher berüchtigt, unbeliebt, fragwürdig, unklar oder fehlbar ist. Das machen wir privat genauso gerne wie in der Öffentlichkeit. Die rhetorische Sanftmut wächst, wenn wir der Gattin etwas schonend beibringen müssen. In der Politik ist das nicht anders. Geht es um Waffen, dann kommen Begriffe wie „Konfliktprävention“, „Verantwortung für den Frieden“, „Gesamtabwägung“, “Rüstungskontrolle“, „Transparenz“ etc. ins Spiel. Plötzlich verdichtet sich dieser Duktus zu einer entlarvenden Beschönigung, wenn man weiß, dass Deutschland der viertgrößte Waffenexporteur der Welt ist.

Die leisen Töne tragen oft genug das Eingeständnis von Mitschuld in sich, ob über Entschädigungen, über Kinderfreibeträge für alleinerziehende Mütter oder über Flüchtlingsleichen im Mittelmeer geredet wird. Sie werden es übrigens ganz sicher erleben, dass das Wort „Flüchtlingsleichen“ ersetzt wird durch „Flüchtlingsopfer“. Diese Umetikettierungen erregen den Verdacht, dass etwas verborgen werden soll, dass es zwei Sprachen gibt: die individuelle ehrliche und die öffentliche verlogene.

Hier ist auch das Einfallstor besonders groß für all jene, die gerne Tabus niederreißen. Mit einem gewissen aufsässigen Habitus wiederholen sie Debatten, die längst in den Gazetten geführt wurden und tun so, als würden sie wegen ihrer klaren Worte verfolgt. Ich kann nur jedem raten, sofort wegzuhören, wenn jemand erklärt, „das wird man doch noch sagen dürfen…“.

Eine letzte Bemerkung

Es ist erstaunlich, dass bei aller politischen Korrektheit in den Reden unserer Abgeordneten der persönliche Anstand, die persönliche Rücksicht und der gute Geschmack überhaupt keine Rolle spielen. Plötzlich werfen sich erwachsene Menschen Sätze an den Kopf, die sie im privaten Gespräch niemandem zumuten würden. „Ihre Inkompetenz ist grenzenlos“ oder „schon wenn Sie den Mund aufmachen, kommt nur dummes Zeug heraus“. Auch ich bin verblüfft, wenn sie sich während der Beratungen auf den hinteren Bankreihen des Parlaments plötzlich angeregt unterhalten und freundlich miteinander umgehen. Das mag gut so sein – aber in einem solchen Licht erscheinen die zuvor verteilten Attacken zumindest zwielichtig, wenn nicht gar unredlich.

Einerseits brauchen wir Political Correctness zur Rücksicht, zur Fairness, zum höflichen Umgang. Andererseits läuft sie immer in Gefahr, unter der Messlatte von Wahrheit und Wahrhaftigkeit durchzurutschen. Es geht darum, die Pole zusammenzuhalten: Höflichkeit und Wahrhaftigkeit, Sensibilität und Klarheit, Ehrlichkeit und Rücksichtnahme.

Thomas Maess

Thomas Maess, geb. 1948, erlernte die Berufe Betonbauer und Schriftsetzer, Layouter und Schriftgrafiker, bevor er in Jena Theologie studierte. Nach dem Studium arbeitete er als Verlagslektor im Verlag Hermann Böhlaus Nachf. Weimar und später im Akademie-Verlag Berlin. 1983 siedelte er mit seiner Familie nach West-Berlin über, schlug sich mit Gelegenheitsarbeiten und ersten Publikationen durch, gründete ein Redaktionsbüro für Managementliteratur und begann nebenbei Reden für Unternehmensvorstände und Politiker zu schreiben; u.a. war er Redenschreiber für Heide Simonis. Heute macht er wieder dies und das, reist durchs geliebte Europa, spielt mit Enkeln, doziert über Sprache und Rhetorik, fotografiert viel und schreibt Rezensionen sowie andere überflüssigen Texte.

More Posts

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert