Seehofers Kampf gegen die Herrschaft des Unrechts

Der politische Aschermittwoch wurde abgesagt. Einer hat das nicht mitbekommen. Der bayrische Löwe brüllt wider das Unrecht.


Wir haben im Moment keinen Zustand von Recht und Ordnung. Es ist eine Herrschaft des Unrechts“.

Horst Seehofer bestreitet nicht, diese Sätze im Interview mit den Passauer Neuen Presse gesagt zu haben. Wer aber nun glaubt, damit habe der wilde Bayern-Horst etwas Negatives über Deutschland, die Bundesregierung oder gar die Bundeskanzlerin sagen wollen, der hat – so wie ich – irgendetwas falsch verstanden. Total falsch. Behauptet er jedenfalls. Man solle das Interview lesen und nichts konstruieren, fordert er. Hab ich getan. Mehrere Male. Immer wieder. Fragen Sie mich jetzt bitte nicht, was er anderes meinen könnte, als dass das Unrecht in Deutschland herrscht, aber der bayerische Ministerpräsident weist Behauptungen, er habe sich gegen die Bundeskanzlerin geäußert weit von sich und sagt:

Es ist abenteuerlich, was hier konstruiert wird.

Ja nun.

Kein Mausrutscher

Damit meint er ganz sicher nicht, dass jemand einen Kommentar bei Facebook durch Ausrutschen auf einer Maus geschrieben haben will. Das ist ja im Vergleich fast noch eher zu glauben. Könnte ja zumindest theoretisch so gewesen sein.

Was aber an Superhorsts Zitat missverständlich sein soll, weiß weder der Storch noch der Geier.
Der CSU-Vorsitzende beklagt eine „Herrschaft des Unrechts“. Nun gibt es zwar ein paar nette CSU-Freunde, die darauf hinweisen, dass ein Staat, in dem es Unrecht gebe, ja nicht zwingend ein Unrechtsstaat – sie erinnern sich noch grob an die Diskussion um die DDR?- sei. Das ist natürlich völlig richtig, nur hat der so grausig missverstandene Seehofer eben nicht davon gesprochen, dass es in Deutschland hie und da ( verdammte Autokorrektur verpiss Dich, das heißt hie und nicht hier) Unrecht gebe, sondern davon, dass dieses Unrecht herrsche. Und – ich weiß nicht, wie ich es anders erklären soll – ein Staat, in dem das Unrecht „herrscht“ ist nun mal ein Unrechtsstaat. Ein Synonym für Herrschen ist Regieren. Was denn sonst?

Kopfkino

Also etwas wie Nordkorea. Kopfkino: Es läuft „Die Herrschaft des Unrechts Vol.3“. Die Teile I und II waren dem Dritten Reich und der DDR gewidmet. Wie in den beiden ersten Teilen steht ganz vorne ein böser Herrscher, wahlweise eine Herrscherin mit herabgezogenen Mundwinkeln, ein verbrecherisches Regime, eine gesteuerte Justiz. Das Unrecht, wie das Unheil, nimmt seinen Lauf und weit und breit existiert kein Rechtssystem mehr, das dem Unrechtsstaat Einhalt gebietet. Alles ziemlich finster gehalten, Sie kennen das vom Untergang. Grausame Invasoren überströmen das Land, nachdem die böse Herrscherin sie in das Land gelockt, ihnen einen Grenzübergang geöffnet hat, um die Urbevölkerung zu eliminieren, die Immigressoren fressen die Babykaninchen aus den Ställen der Kindergärten und rauben den Eingeborenen neben den im Eigentum der weißen Männer stehenden weißen Frauen auch noch jeden Verstand. Sie vermehren sich in doppelter Schwangerschaftsgeschwindigkeit und haben bald schon die Macht ergriffen, wie es die böse Frau an der Spitze des Landes von langer Hand geplant hatte. Immer wieder hört man ihr grausiges Lachen, immer wieder sieht man sie das Zeichen des Geheimbundes, die Raute, formen. Und alle wissen: Sie ist fast am Ziel. Aber nur fast.
Am Ende können ein paar aufrechte Helden ihre Tyrannei beenden oder irgendeinen Ring in einen Vulkan schmeißen. Widerstand, Widerstand, die freie demokratische Grundordnung ist in Gefahr. Das gute gute christliche Abendland, das stets ohne Kriminalität war, wo alle Menschen Brüder waren, selbst die Schwestern, geht vor die Hunde; aber hinter diesen tierischen Bellwesen – a Hund is er scho der Horscht – grölen bereits die Retter. Sie tragen ein leuchtendes C oder ein A oder sonst irgendeinen beliebigen Großbuchstaben auf der ledernen Rüstung, weil sie alleine die Superhelden sind und Superhelden immer einen Buchstaben auf der Brust haben. Am Ende erscheint die Lichtgestalt mit einem blau leuchtenden H wie Hero und rettet das Land, ach was, Europa und die Welt. Vorhang. Noch mal Schwein gehabt. Das Unrecht ist besiegt, es herrschen wieder Horst und Ordnung. Halleluja, ach was Luja Luja. Schweißnass werde ich wach. Ach ja, ich muss heute noch ein paar Gerichtstermine absagen. Gerichte gibt es also doch noch. Die arbeiten auch. Kurzer Check. Das Bundesverfassungsgericht steht auch noch. Und die urteilen auch noch, wenn man sie anruft.

Ähm, hätte man dem Mann aus dem fernen Bayern vielleicht nicht doch am Arschlochmittwoch eine Festhalle oder wenigstens ein Bierzelt öffnen können, damit man diese verbalen Ausfallerscheinungen mit quasikarnevalistischen Büttenredenhumor hätte abtun können. Aber diese Veranstaltungen wurden ja aus Gründen der Pietät gegenüber den Opfern eines Bahnunglückes gestrichen. Zuviel Zurückhaltung kann der Horst aber nicht aushalten und, wer wirft schon gerne den Text seiner Büttenrede weg, nur weil die Veranstaltung ausfällt?

Labern statt Handeln

Wenn der Vorsitzende einer der drei in der Bundesregierung befindlichen Koalitionsparteien ernsthaft der Meinung ist, dass dort das Unrecht herrsche, also die Regierung, an der seine eigene stolze Partei beteiligt ist, Unrechtes tut, dann muss er umgehend seine Parteifreunde aus dieser Regierung abziehen und wahlweise vor dem Bundesverfassungsgericht Klage ergeben oder vielleicht auch Strafanzeige gegen die Verantwortlichen erstatten.

Wenn er meint, das von Ex-Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio im Auftrag der CSU erstellte Gutachten sei der Burner, dann darf er wohl kaum guten Gewissens dieses schlimme Unrechtsregime weiterhin mit den Stimmen aus Bayern am Leben erhalten. Bezüglich dieses Gutachtens darf man durchaus geteilter Meinung sein, aber das ist ein anderes Thema.

Dass er von all den möglichen rechtlichen und politischen Maßnahmen, die er ergreifen könnte und müsste, wenn er sein eigenes Geschwafel wirklich ernst nähme, nichts, in Worten „nichts“, tut und statt dessen nur Maulaffen feil hält, kann verschiedenes bedeuten.

Es kann sein, dass er sich sehr wohl darüber im klaren ist, dass die Bundesregierung und die Bundeskanzlerin nicht die Herrschaft des Unrechts repräsentieren. Dann wäre eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht vermutlich das Letzte, dass der wilde Horst sich leisten würde. Da könnte es übel was auf die Mütze geben. Wenn das Bundesverfassungsgericht der Regierung ein verfassungsmäßiges Handeln attestieren würde, dann könnte der alte Grantler sich wohl nur noch in eine Schlucht stürzen. Also nur lautes Gebell um seinen Bayern zu zeigen, dass man sich von denen da oben in Berlin nicht die Butter vom Brot nehmen lässt? Konnte Strauß besser.

Es kann auch sein, dass Seehofer es sehenden Auges in Kauf nimmt, dass diejenigen rechts von der CSU – also in einem Bereich, den es laut FJS niemals hätte geben dürfen und wo Seehofer bisher kläglich versagt hat – seine Analyse von der Herrschaft des Unrechts als Bestätigung ihrer beharrlichen Widerstandsrhetorik verwenden, um die Bevölkerung weiter gegen die Kanzlerin und das verhasste „System“ aufzuwiegeln. Wenn Seehofers Zitat demnächst auf den Wahlplakaten von AfD und NPD auftauscht, dann darf er sich nicht beklagen. Wenn Sarrazin die Kanzlerin schon mit einem unfähigen Piloten vergleicht und die Offiziere auffordert, ihr das Steuer zu entreißen, dann klingt auch dieses Bild nach Sturz und Umsturz, nach „Merkel muss weg“. Aber natürlich ist auch das ja alles nicht so gemeint. Alles konstruiert, alles böswillig missverstanden. Mag sein, dass Seehofer auf die nächsten Wahlen setzt, mag sein, dass er sogar glaubt, die Kanzlerin beerben zu können.

Darth Mother schlägt zurück – irgendwann

Was auch immer er glauben mag, er sollte nicht glauben, dass er persönlich diese brandgefährliche Zündelei gegen die CDU-Vorsitzende und den Rechtsstaat unbeschadet überstehen wird. Die Kanzlerin mag zwar im Moment keinen tieferen Sinn darin sehen, auf die Provokationen des Wüterichs einzugehen, aber eines wird sie gewiss nicht, diese Dinge dauerhaft auf sich beruhen lassen. Die Frau wäre schon lange nicht mehr an der Macht, wenn sie nicht sehr gut wüsste, wie man sich seiner Freunde entledigt. Die weiß, dass Rache kalt sein muss. Da wird auch nicht viel bringen, wenn Seehofer beteuert, er habe ein gutes Verhältnis „gegen“ die Kanzlerin. Eine schönere freudsche Fehlleistung habe ich selten gehört.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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