Vom Segen der Ungleichheit

Die Reichen werden immer reicher, der Abstand zu den Armen wächst. Wo ist das Problem? Erster Teil der Staffel „Arm oder reich“ in Arte-Fakten – Die Serie.


Die Reichen werden immer reicher. Seitdem allerdings die Armen nicht mehr immer ärmer werden, haben es die Kapitalismuskritiker und Globalisierungsgegner nicht mehr ganz so einfach wie früher, ihre Rufe nach Umverteilung und Zerschlagung der Großkonzerne zu begründen. Die Zahl der absolut armen Menschen sinkt weltweit, und zwar deutlich – und das, obwohl die Weltbevölkerung wächst, vor allem in den armen Ländern.

Ökonomen führen das ausgerechnet auf die Globalisierung und den weltweiten Siegeszug marktwirtschaftlicher Prinzipien zurück. Die größten Erfolge wurden in Südostasien und vor allem in China erreicht – genau das sind die Regionen, bei denen die globalen Produktions- und Handelsnetze besonders intensiv waren und sind. Regionen in Afrika, die von diesen Entwicklungen bisher abgeschnitten sind, zeigen indes kaum Fortschritte in der Armutsbekämpfung.

Wenn man das kapitalistische System kritisieren will, hat man nun zwei Möglichkeiten: Man kann einerseits anprangern, dass es noch immer viele Arme auf der Welt gibt und dem Kapitalismus daran die Schuld geben. Das wird uns später auch noch einmal beschäftigen. Man kann aber auch den Blick von der Armut abwenden und sich der Ungleichheit zuwenden – und die, so sagen die Kritiker, wächst ungebremst. Die Armen sind zwar nicht mehr so arm, aber der Reichtum der ganz Reichen wächst viel schneller.

Statistiken, die keiner versteht

Ungleichheit ist ein sperriger Begriff, man braucht Mathematik, vor allem Statistik, um klar zu machen, was man meint. Dass Mathematik kaum jemand versteht, schadet dabei nicht, es hilft den Kritikern sogar. Denn wenn man auch nicht viel vom Mathematikunterricht behalten hat, das hat fast jeder dabei gelernt: Mathematik ist irgendwie etwas ganz Unbestechliches, absolut Wahres – wenn man sich nicht verrechnet hat, dann kann man gegen Mathematik, und schon gar nicht gegen Statistik irgendetwas sagen.

Unsere Zeitungen sind ja voll von Statistiken, ständig werden wir mit Tortendiagrammen und Prozentzahlen über die Welt da draußen informiert. Die Darstellungen sind schön bunt und animiert, die können nicht falsch sein. Zumeist vermuten wir, dass Experten die mit den unbestechlichen Methoden der Wissenschaft erstellt haben – und die können keinen Unsinn produzieren.

Im Falle der jüngsten Oxfam-Studie zur Ungleichheit haben zwar verschiede andere Experten gezeigt, dass da ziemlicher Unsinn gemacht wurde, aber das soll uns hier gar nicht beschäftigen.*

Ist Ungleichheit schlecht?

Setzen wir einfach mal voraus, dass diese ominöse Ungleichheit immer weiter steigt. Der Abstand zwischen dem Besitz der Reichen und dem der Armen steigt in einem fort. Da stellt sich doch die Frage: Na und?

Der Reichtum kann sich in zwei Varianten zeigen: Im Besitz von Fabriken, Büros, Telefonnetzen, Rechenzentren auf der einen Seite, oder im Besitz von Edelsteinen, Luxusjachten, Schlössern auf der anderen Seite. Viele meinen, dass die erste Variante nicht ganz so schlimm wäre wie die zweite. Ich denke, beides ist völlig ok – und es ist auch ok, wenn beides für wenige mehr zunimmt als für die meisten Menschen.

Alle Segnungen unserer modernen Welt, die wir heute so schätzen, sind darin begründet, dass private Investoren Geld in die Hand genommen haben und kein Risiko scheuten, um Träume Wahrheit werden zu lassen. Vor 150 Jahren genügten dazu noch relativ geringe Beträge. Investitionen zum Aufbau moderner Mobilfunknetze oder digitaler TV-Technologien benötigen Milliardeninvestitionen – und Unternehmensgrößen, die die damit verbundenen Risiken tragen können. Das gilt für alle technologischen Innovationen, man denke nur an die Entwicklungen zum selbstfahrenden Auto.

Wir brauchen die Konzentration des Kapitals

Nun könnte man einwenden, dass das ja ruhig große Unternehmen machen können, aber dass die doch in der Hand vieler kleiner Eigentümer sein könnten. Warum sollten Mobilfunkunternehmen oder Suchmaschinenkonzerne nicht genossenschaftlich organisiert sein?

Die Antwort ist natürlich einfach: Eine große Gemeinschaft von Entscheidern ist niemals in der Lage, zu einem risikoreichen Großprojekt eine gemeinsame Entscheidung zu fällen und diese auch noch durchzustehen. Solche Entscheidungen würden immer gegen das Risiko getroffen werden, man denke an alle Volksabstimmungen und Bürgerbegehren der letzten Jahrzehnte, in denen es irgendwie um eine große Sache ging.

Risiken werden immer nur von einzelnen eingegangen, die ein großes Ziel verfolgen. Deshalb erfordern immer größere Investitionen in immer teurere Technologien auch eine Vergrößerung der Konzentration des Kapitals. So einfach ist das. Wir sollten froh sein, dass die Ungleichheit wächst – sie verschafft uns die Hoffnung, dass weiterhin an großen, aufwändigen Sachen geforscht wird, dass Techniken mit großen finanziellen Risiken ausprobiert werden, von denen wir am Ende alle profitieren.

Der Nutzen des Protzes

Aber wenn die Reichen nun mit ihrem Reichtum nur rumprotzen, Diamantringe im Wert von hundertausenden Dollar tragen, in riesigen Privatjets rumfliegen? Könnten und sollten wir nicht wenigstens die per höherer Steuer etwas ärmer machen?

Jedes Schloss wird von jemandem gebaut, jeder Diamantring wird von jemandem geschliffen, jeder Privatjet muss geflogen und gewartet werden. Der Diamantschleifer wiederum muss Material kaufen, jeder Jet muss getankt werden. Juwelier und Pilot haben selbst Häuser, die sie von ihrem Einkommen bauen können, davon leben wieder andere. Alle kaufen sich Kleidung und Lebensmittel, gehen in Restaurants, Theater und Kinos.

Protz ist nichts anderes als eine riesige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, das Geld rinnt den protzenden Reichen durch die Finger, und es rinnt, in immer feineren Strömen, von den Reichen zu den Armen. Sicher kann man da noch vieles verbessern und verschönern, auch darum wird es hier noch gehen, aber das ändert nichts am Prinzip.

Manche behaupten nun, durch eine große Ungleichheit in der Gesellschaft würde aber der soziale Friede gefährdet. Die Armen würden irgendwann den Reichen ihren Reichtum neiden, die Zäune zu ihren Palästen einreißen und alles zerschlagen, einschließlich der Reichen-Schädel – oder so. Ist das plausibel? Um das zu beurteilen, müsste man erst mal wissen, wie man die Ungleichheit eigentlich wahrnimmt – ob ihr Ausdruck in Geldbeträgen wirklich was bedeutet. Darum geht es in der nächsten Woche.

Dies ist die erste Folge von Arte-Fakten – Die Serie. Die erste Staffel dieser Serie trägt den Titel: Arm oder Reich. Eine Art Pilot-Kolumne zur Serie gab es vor einer Woche hier: Die Superreichen.

* In der nächsten Folge werde ich allerdings etwas dazu schreiben, wie die konsequenten Kapitalismus-Kritiker damit umgehen, wenn man ihnen zeigt, dass die Zahlen, aus denen sie ihre Empörung ziehen, falsch sind oder in die Irre führen.

Jörg Phil Friedrich

Der Philosoph und IT-Unternehmer Jörg Phil Friedrich schreibt und spricht über die Möglichkeiten und Grenzen des digitalen Denkens. Friedrich ist Diplom-Meteorologe und Master of Arts in Philosophie.

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