Katzendämmerung

Amazon und Verlage verkaufen keine Pirinçci-Bücher mehr. Muss man Künstler und Werk trennen? Unser Gastautor Clemens Haas meint ja.


Künstler und Werk muss man trennen.

Muss man natürlich nicht, man kann auch an allem so lange ganzheitlich rumstochern, bis man endlich etwas findet, das einem den Appetit verdirbt. Ich aber habe nicht vor, wenn mich die Lust auf eine Currywurst packt, dem Wurstbräter oder der Wurstbräterin aufs Parteibuch oder den Lebenswandel zu schauen. Wenn die Wurst schmeckt und das WurstbratX sauber arbeitet, ist das für mich ok, ich sag artig danke und lasse meist auch noch die auf den vollen Eurobetrag gerundeten 20 Cent Trinkgeld da.

Leitkultur Currywurst

Ein Currywurst ist doch keine Kunst! höre ich da so manch einen dazwischenrufen. Dem entgegne ich gelassen, dass eine anständige Currywurst erstens gar nicht so leicht zuzubereiten ist, die Currywurst zweitens zur deutschen Leitkultur gehört und ich drittens ein verdammt ähnliches Beispiel ja auch mit gebackenen Austern von einem sternegeschmückten Fernsehkoch hätte bringen können.

Beim geschriebenen Wort immerhin ist man sich weitgehend einig: Das soll zu den Künsten gehören. Jetzt hat sich einer, der mit dieser Kunstform seinen Lebensunterhalt verdient, spätestens mit einem mindestens sehr unglücklichen – allerdings auch gern missverständlich zitierten – KZ-Satz aus der moralischen Komfortzone der Mehrheit herausmanövriert.

Nach seinen schon bisherigen verbalen Fäkalexzessen war das Maß jetzt voll, und sowohl sein Verlag als auch amazon haben prompt reagiert: Wer seine Bücher kaufen will, der soll sich fürderhin abseits der bisher gewohnten Wege umsehen. Ich habe vor langer Zeit eines seiner erfolgreichsten Bücher gelesen, ein Katzenkrimi, der allein ihm wohl ein solches Einkommen beschert, dass er sich Zeit seines Leben täglich eine anständige Currywurst bestellen kann.

Dieses Buch ist mir überhaupt nicht in Erinnerung geblieben. Ein schlechtes Zeichen vielleicht für ein Kulturgut, aber immerhin war es wohl auch nicht so schlecht, dass ich es nicht mehr vergessen konnte, wie das etwa  bei einer verdorbenen Currywurst – oder gar Auster – der Fall gewesen wäre .

Ist das nicht der „Katzentürke“?

In Erinnerung geblieben, jedenfalls so in etwa, ist mir dagegen der irgendwie exotische Name des Autors – man erwartet ja bei Katzenkrimis eher Autorennamen wie etwa „Rebecca Summers“ oder „Rosalinde Milcher“. Und so dachte ich bei mir, als ich aus gleicher Feder versehentlich einen anal- und fäkalstrotzenden Wuttext auf der Achse des sogenannten Guten las: Sag mal, ist das nicht der „Katzentürke“? Wie ist der denn drauf? Schwer zu sagen, ob ich seinen Katzenkrimi im Wissen um seine – derzeitige? –  mentale oder politisch-moralische Verfassung jetzt anders rezipieren würde, und ich habe auch nicht vor, das zu überprüfen.

Wer das aber tun möchte und dieses Buch nicht bereits in seinem Regal stehen hat, hat es jetzt ein wenig schwerer als noch vor einigen Tagen. Warum das so sein soll, ist mir unverständlich, denn auch wenn mir der Autor aufgrund seiner Texte und Äußerungen in der letzten Zeit einigermaßen unsympathisch geworden ist: Mit seinem Katzenkrimi hat das ja nichts zu tun. Eine zweifelhafte Entscheidung von Verlag und amazon, über die des „Katzentürken“  und seines Rudels unsägliche Vergleiche mit Berufsverboten und Bücherverbrennungen im Dritten Reich nur teilweise hinwegtrösten.

Perlen der Hochkultur

Ich halte es mit Goethe: „Ein gutes Kunstwerk kann und wird zwar moralische Folgen haben, aber moralische Zwecke vom Künstler fordern, heisst ihm sein Handwerk verderben.“, womit wir jetzt auch die kulturellen Niederungen von Currywürsten und Whiskas verlassen und – mit einem langen Diagonalpass das Mittelfeld überbrückend – schnurstracks empor zur Auster und den Perlen der Hochkultur streben.

Darf man etwa Wagner gut finden? Also seine Musik meine ich jetzt – oder ist das doch das gleiche? Den vermutlich Egozentriker, Tyrannen und vor allem Antisemiten? Darf man den aufführen, gar in Israel? Mit dieser Frage dürfte sich etwa Daniel Barenboim oft genug konfrontiert sehen. Seine Wertschätzung der Musik Wagners wird ihm gerne mal auch als Schande oder Verrat am jüdischen Volk ausgelegt. Der eine möchte beim Hören Wagnerscher Klänge am liebsten sofort in Polen einmarschieren, dem anderen steigt der Duft von frischem Napalm am Morgen in die Nase, und ich selbst – obwohl kein ausgewiesener Wagnerianer – meine beim Hören der Tannhäuser-Ouvertüre ein wenig von dem zu spüren und zu verstehen, wie ein Volk in Massenekstase geraten konnte.

Ok, das sind keine umwerfend sympathischen Assoziationen. Aber vielleicht sagen die ja auch mehr über den Hörer aus als über den Komponisten bzw. dessen Musik. Dass so starke Assoziationen möglich sind, hat aber vor allem damit zu tun, dass es sich um großartige Musik handelt. Mir ging das jedenfalls schon so, bevor man mich mit Wagners Persönlichkeit und seinen Ansichten behelligt hat.

Pirinçcis Hommagen an Mozart?

Wie ist es mit Mozart? Darf man diese zauberhafte, scheinbar einfache und naive und doch so perfekte Musik lieben und Minderjährigen zugänglich machen, wo doch seine anal- und fäkalerotischen Neigungen verbrieft sind? Oder muss man die Nase rümpfen? Macht man sich, so man sich nicht sofort und vehement von analfranzösischen Praktiken distanziert, mitschuldig am Verderben einer ganzen Generation? Sind des „Katzentürken“ Tiraden vielleicht sogar nur unbeholfene und missverstandene Hommagen an des Meisters Bäslebriefe?

Wie ist es bei Bach? Dem nicht nur größten Komponisten aller Zeiten, sondern meiner unmaßgeblichen Ansicht nach größten Menschen überhaupt? Ich habe Katholiken erlebt, die nicht wünschen, dass man Bachs Musik – die frömmste und demütigste Lobpreisung Gottes, die jemals erschaffen wurde – in ihren Kirchen aufführt. Weil Bach, nun ja, eben Protestant war. Dümmer geht ja fast immer. Bach, Mozart, Wagner sind schon lange tot, da erhält man einen gewissen Bonus, und selbst wenn sich jemand über die eine oder andere Marotte der drei echauffiert: es wird sie nicht wirklich kratzen.

Wenn man heute lebend auf der Bühne steht, darf man aber auf einen solchen Bonus nicht hoffen. Wer sich wie Barenboims Dirigenten-Kollege Valery Gergiev oder Operndiva Anna Netrebko öffentlich als Putinversteher geriert, hat gute Chancen, von einer Einladung wieder ausgeladen zu werden. Ok, Frau Netrebko etwas geringere als Gergiev, aber die ist ja auch weiblich, jung und hübsch, das ist dann wieder ein anderer Bonus.

Ob man sich als Künstler nun unbedingt zu politischen Themen äußern muss, ist eine andere Frage. Aber man darf. Wem das nicht passt, braucht ja auch nicht zu deren Konzerten zu gehen, oder deren Bücher zu kaufen, oder deren Würste zu essen. Ich gehe demnächst wieder zu einem Konzert mit Gergiev am Dirigentenpult, sofern er nicht wieder ausgeladen wird, und falls es mir (wie bisher immer) künstlerisch gefällt, werde ich es im Anschluss auch eifrig beklatschen. Selbst wenn mir die eine oder andere seiner politischen Ansichten weniger gefällt.

Das ist mir dann Wurst.

Clemens Haas

Clemens Haas, geb. 1968, hat Mathematik und Philosophie durchaus studiert mit eifrigem Bemühn, dann aber doch zurück gefunden zur ersten Liebe, Klavier und Tonmeisterei und dieses Studium dann auch abgeschlossen. Er arbeitet als freier Toningenieur und Komponist für ÖR und private Rundfunk- und Fernsehanstalten und für die Werbeindustrie.

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