Terror hat keine religiösen Motive
Man kann die Verbindung zwischen den Terroristen und ihren diffusen Unterstützermilieus nur kappen, wenn man transparent macht, dass die Motive der Terroristen im Kern eben nicht religiös sind, dass es den Terroristen allein um Machtausübung und Manipulation geht, um den Genuss der totalen Beherrschung der Anderen.
Wir können nicht in die Köpfe der Terroristen hineinsehen. Weder können wir die Gedanken derer lesen, die die Befehle für Terroranschläge geben, noch können wir sicher über die Hoffnungen und Überzeugungen der Menschen sein, die die Attentate ausführen. Was sie in Bekennerschreiben und -videos äußern, kann gerade dazu gedacht sein, uns über ihre wirklichen Motive zu täuschen, das, was die Täter schreien, wenn sie schießen oder sich selbst in die Luft sprengen, kann Ergebnis einer Indoktrination sein.
Schon deshalb sollte man der These, die Terroranschläge, welche den Westen in den letzten Jahrzehnten erschüttern, seien religiös motiviert, kritisch hinterfragen.
Friedfertigkeit und Aggressivität
Auf den ersten Blick spricht mehr gegen ein religiöses Motiv, als dafür. Das Motiv für eine Handlung, ihre Motivation, das ist der Handlungsantrieb, die letztliche Begründungsinstanz für das Tun. Betrachten wir Religion als eine charakteristische Menge von Überzeugungsinhalten und Handlungsrichtlinien, die aus dem Glauben an eine transzendente Instanz erwachsen. Dann fällt auf, dass offenbar jede Religion Motive sowohl für hochgradig friedfertiges Handeln als auch für äußerste Aggressivität liefern kann. Eine einzige Religion scheint zudem zu einer Zeit Motive für besondere Friedfertigkeit, zu einer anderen Zeit aber Motivation für besondere Aggressivität bereitzustellen. Das zeigt schon, dass die Motive im Kern eben nicht religiös sein können, sondern dass sie allenfalls in ein religiöses Gewand schlüpfen, dass sie sich der Religion bedienen.
Hinzu kommt, dass wir die extreme Aggressivität, die sich im Terror äußert, auch in nicht religiösen Kontexten beobachten, und dass diese Aggressivität der so genannten religiös motivierten Aggressivität so aufs Haar gleicht. Das lässt uns vermuten, dass die eigentlichen Motive verwandt sein dürften.
Wir kennen aus den letzten hundert Jahren den kommunistischen Terror, den faschistischen, den linksextremen und den rechtsextremen Terror. Sie alle beziehen sich nicht auf ein transendentes Wesen, zum Teil scheinen sie sich sogar gegen jede Transzendenz zu positionieren und ihre terroristische Kraft sogar aus der Ablehnung jeder Gottesanbetung zu ziehen. Man könnte natürlich sagen, dass dies alles Ideologien sind und dass Ideologien und Religionen im Wesen das Gleiche sind, oder dass Religionen spezielle Ideologien sind.
Aber auch bei den Ideologien beobachten wir, dass es sie in sehr friedfertiger Variante als auch in extrem aggressiver Variante gibt. Also können auch die Ideologien im Kern nicht das Motiv für den Terror liefern. Das eigentliche Motiv muss außerhalb des religiös-ideologischen Bezirks liegen.
Teil eines Ganzen sein
Gerade wenn wir die Bandbreite der Überzeugungssysteme, die auf den ersten Blick als Motivgeber für Terror herhalten müssen, in den Blick nehmen, bekommen wir eine Spur für die eigentliche Motivation. Alle Ideologien erlauben es dem einzelnen, sich als Teil eines größeren Ganzen zu verstehen, und zwar nicht nur als eines Rädchens im Uhrwerk, schon gar nicht eines unverwechselbaren, einmaligen und verantwortlichen Spielers in einer Mannschaft, sondern als eines Gleichen unter Gleichen in einem Kollektiv aus identischen Mitgliedern, die eine homogene Masse bilden. Das attraktive an solchen Gebilden ist, dass jeder sich genau in den anderen wiedererkennen kann, weil alle auf die gleiche Weise nach den gleichen Leitlinien handeln. Das macht die Welt des Kollektivs extrem einfach – denn solche Regeln müssen naturgemäß einfach zu lernen, zu erkennen und nachzuahmen sein, und die Tatsache, dass alle nach den gleichen Regeln leben, schafft Vertrauen und Stabilität.
Religionen können auf solche Kollektivregeln reduziert werden, aber jede reale Religion ist das ganze Gegenteil. Jede von ihnen bietet eine Vielzahl von konkreten Lebensmodellen, selbst wenn ein Mensch ein ganz religiöses Leben führt. Er kann ein Mönch in einem Kloster sein, er kann ein Einsiedler sein, aber auch ein Missionar, ein Lehrer, ein Philosoph. Ein terroristisches Motiv ist dabei nicht zu finden.
Um das Motiv des Terrors zu finden, müssen wir außerhalb der religiösen Systeme suchen, aber an einer Stelle, wo sich ein Mensch einer Religion oder einer Ideologie bedienen kann, um seine eigenen Ziele zu erreichen, die wiederum zum Terror führen.
Es ist klar: wer sich in kollektiven Strukturen als identisches Mitglied unter gleichen sicher und geborgen fühlt, ist anfällig für Manipulation durch diktatorische Führer. Der machtbesessene Diktator muss nicht viel tun, um diese Menschen zu willigen Werkzeugen zu machen: er muss ihnen nur plausibel machen, dass sie durch die fremde, nicht identische Welt bedroht sind, dass ihre heile, geregelte Gemeinschaft der Gleichen durch die, die fremd sind, bedroht ist. Und er muss ihnen, was auch nicht schwer ist, die Überzeugung vermitteln, dass ihr geschütztes Leben in der Gemeinschaft nicht nur für sie, sondern auch für alle Menschen das eigentlich beste Leben ist, und dass jeder, der dem widersteht, die Gemeinschaft in Wahrheit bedroht.
Manipulation und Allmachtsphantasien
Das ist die eigentliche Motivation des Terrors: Allmachtsphantasien diktatorischer Führer, die über die Manipulation von Menschen erfüllt werden, die Angst vor Veränderung, vor dem Fremden überhaupt haben und sich nach Gleichheit und ewiger Wiederkehr des Gleichen sehnen. Das Religiöse ist nicht Motiv, sondern nur Werkzeug des herrschsüchtigen Manipulators, der den Terror als Erfüllung seiner Machtphantasien erlebt.
Was folgt daraus? Den religiösen Menschen, welchem Glauben auch immer sie anhängen, können wir sagen: Eure Religion ist völlig in Ordnung, sie ist so gut wie jedes andere Überzeugungssystem auch. Natürlich war auch mancher Religionsstifter und manche Autorität in der Geschichte einer Religion ein manipulierender Diktator. Und selbstverständlich können religiöse Institutionen in bestimmten historischen Situationen von totalitären Strukturen durchsetzt sein.
Man kann die Verbindung zwischen den Terroristen und ihren diffusen Unterstützermilieus nur kappen, wenn man transparent macht, dass die Motive der Terroristen im Kern eben nicht religiös sind, dass es den Terroristen allein um Machtausübung und Manipulation geht, um den Genuss der totalen Beherrschung der Anderen.
Eine jede Religion ist, wie jedes andere ideologische Gebilde, anfällig für Manipulation. Jede Religion hat einen selbstgenügsamen und einen aggressiven Modus, der im Terror enden kann. Es kommt nicht darauf an, die eigene Religion fragwürdig zu machen, sondern in ihren selbstgenügsamen Modus zu finden, in dem der Gläubige mit anderen Gläubigen in freudiger Übereinstimmung lebt, während er die anderen so leben lässt wie sie es wollen.
Dass jedes ideologische System letztlich anfällig für Terrorismus ist, sollte uns außerdem eine Warnung sein, gerade wenn wir uns weit entfernt von allen Religionen wähnen. Vielleicht ist niemand frei von Ideologie – vielleicht kann man es gar nicht sein. Damit lauert die Gefahr der manipulativen Verführung, die letztlich zum Terrorismus führt oder ihn rechtfertigt, aber auch überall.
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