Die Stadt und der Terror
Nirgends ist man dem Terror so nah wie in Israel und nirgends wird ihm so gelassen begegnet wie hier.
Ein kleiner Neujahrsspaziergang am Strand von Tel Aviv. Das Wetter ist stürmisch, Wolken und Regenschauer rasen über die Stadt hinweg, das Meer ist aufgewühlt, hochgepeitscht vom Wind. Surfer und Drachensteiger haben ihre Freude. Nach einer Weile verlassen wir den Strand, laufen verschlafen in die Stadt hinein, auf dem Ben Gurion Boulevard bis zur Dizengoff Straße, um dort in eines unserer Lieblingscafés zu gehen. An der Kreuzung bemerken wir, dass Einsatzfahrzeuge mit Blaulicht durch die Straßen rasen. Wir biegen nach links in die Dizengoff Straße – nach rechts wird sie wenige Minuten später gesperrt werden – und steuern auf das Café zu. Die Tür ist zu unserer Verwunderung versperrt, obwohl die meisten Tische besetzt sind. Ein Gesicht erscheint an der Scheibe, dann erst wird uns geöffnet.
Hinter uns wird die Tür wieder verschlossen. Die Kellnerin erklärt uns, dass etwas weiter südlich gerade eine Schießerei im Gange sei. Kurz darauf erscheinen auf dem Fernsehbildschirm schon die ersten Bilder des Schussattentats auf den Simta Pub, einen beliebten Treffpunkt von Homosexuellen, ungefähr 300 Meter weiter südlich auf der Dizengoff Straße. Nach und nach erfahren wir vom Personal und aus dem Internet was geschehen ist, beziehungsweise gerade geschieht: Ein Mann hatte mit einer Maschinenpistole wahllos auf die Gäste der bekannten Bar geschossen, zwei Tote und sieben zum Teil Schwerverletzte hinterlassen und konnte entkommen – Richtung Norden.
Das Café, in dem wir sitzen, befindet sich im unmittelbaren Fahndungsgebiet der Polizei. Durch die Scheiben sehen wir die Einsatzfahrzeuge und Motorräder mit Blaulicht. Auf der Straße laufen Bewaffnete in Uniform und in Zivil vorbei. Hubschrauber kreisen über der Szene.
Die Menschen um uns herum aber sind erstaunlich ruhig, trinken weiter ihren Kaffee, unterhalten sich, spielen an ihren Smartphones, auch Lachen ist zu hören. Eigentlich eine ganz normale Café-Atmosphäre. Wäre nicht das Geschehen vor dem Fenster, bei dem es sich genauso gut um den Dreh einer Filmszene handeln könnte, würde nichts darauf hindeuten, dass hier gerade Ungewöhnliches vorgeht. Als wir allerdings nach etwa einer Stunde beschließen zu gehen – wir wohnen nur 5 Minuten von hier – sagt uns eine Kellnerin, dass wir das noch nicht tun sollten, weil draußen nach wie vor die Jagd nach dem Täter in vollem Gange sei und die umliegenden Häuser durchkämmt werden. Wir sollten lieber noch ein Weilchen warten – natürlich ohne Konsumzwang.
Nach weiteren 30 Minuten hat sich das Geschehen verlagert und wir gehen gemeinsam mit anderen hinaus. Der 300 Meter entfernte Tatort liegt auf unserem Weg. Je näher wir kommen, umso voller die Straße. Polizei, Militär, Medien und eine Menschenansammlung. Der Bürgermeister hat sich gerade eingefunden.
Schon eine Querstraße vom Simta Pub entfernt, deutet kaum noch etwas darauf hin, dass Tel Aviv zwei Stunden zuvor Ziel eines Attentats geworden war. Menschen schlendern die Straßen entlang, sitzen in und vor Cafés und Bars.
Diese Stadt kennt den Terror seit ihrem Bestehen und hat gelernt, mit ihm umzugehen. So schrecklich jeder einzelne Angriff für die unmittelbar Betroffenen ist, das Leben muss weitergehen. Bomben in Bussen und Bars, Messerattentate auf der Straße, Autos und Bagger die in wartende Menschen an Bushaltestellen rasen – alles hat diese Stadt schon gesehen und man hat den Eindruck, die Menschen hier haben beschlossen, sich davon nicht einschüchtern zu lassen, sondern ihr Leben so zu leben, wie sie es auch ohne den Terror tun würden. Das ist vielleicht die Botschaft, die Tel Aviv aussendet: Euer Terror geht ins Leere und schafft es nicht, die Stadt zu lähmen und Panik und Schrecken zu verbreiten.
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