Terror ist Theater
Terrorismus, so Kolumnist Hasso Mansfeld, ist nicht in erster Linie bestialischer Mord um des Mordens willen, sondern PR – blutige, unmenschliche, monströse PR.
„Terror ist Theater“ – das schrieb Attentäter Anders Breivik in seinem berüchtigten Pamphlet vor den Anschlägen von Utøya. Die Einsicht könnte einer seiner wenigen lichten Momente gewesen sein. „Der Terrorist ist der größte Schauspieler der Welt“ – so äußert der große Spionageschriftsteller John Le Carré in seinem Roman „Die Libelle“ einen ganz ähnlichen Gedanken. Und auch der amerikanische Terrorismusexperte Brian Jenkings unterschreibt das Statement: Terror ist Theater. In diesem Zusammenhang wies er bereits 1975 darauf hin: „Terroristen möchten nicht, dass besonders viele Menschen sterben, sondern dass besonders viele Menschen zuschauen“. Terrorismus ist, folgt man dieser Argumentation, nicht in erster Linie bestialischer Mord um des Mordens willen, sondern PR – blutige, unmenschliche, monströse PR.
Wie wir uns Angst machen.
Was glauben Sie? Woran sterben Menschen häufiger? Mord? Krebs? Flugzeugabstürze? MIT-Professor Arnold Barnett hat die Titelseiten der New York Times ausgewertet, und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass pro 1.000 Flugzeugtote 138 Artikel, jedoch nur 0,2 respektive 1,6 pro 1.000 Krebstote und Mordopfer erschienen. Und: die Häufigkeit der Berichterstattung korreliert deutlich mit den von Menschen als häufig wahrgenommenen Todesursachen. Erinnern Sie sich noch, wie zu Zeiten der BSE-Hysterie der Rindfleischkonsum in Deutschland auf etwa ein Drittel einbrach? Wie Sie sich selbst vielleicht das geliebte Steak verwehrten? Oder wie 2005 für jeden verendeten Vogel vermummte Rettungskräfte mit Spezialgerät anrückten? Unzählige Menschen sind zur gleichen Zeit an allergischen Reaktionen auf Insektenstiche gestorben. Doch davor ängstigen sich selbst die meisten Allergiker kaum.
Je spektakulärer ein Ereignis, desto wahrscheinlicher ist es, dass darüber berichtet wird. Und je mehr Berichterstattung, desto potenzierter das Spektakel in unserer Wahrnehmung. So funktioniert unsere freie Öffentlichkeit, so funktioniert das menschliche Bewusstsein. Und diesbezüglich sind moderne Terroristen geschickte PR-Arbeiter, die genau wissen, an welche Mechanismen der Terror andocken kann. So war etwa der 11. September 2001 perfekt choreografiert. Das sowieso schon angstbesetzte Flugzeug rast also in den Turm des World Trade Centers – das westliche Symbol von Macht, Reichtum und Freiheit. Der spektakuläre Tod ist der medial verbreitete Tod. Und der medial verbreitete Tod ist Ziel des Terrorismus: Er ist es, der unsere Risikoeinschätzung maßgeblich beeinflusst.
Islamistische Snuff-Movies
Verbrennen bei lebendigem Leibe. Langsames Köpfen mit der Bowie-Messer. Ertränken im Käfig. Terrorismus ist Theater, und das Theater, das Mörderbanden wie der Islamische Staat spielen kennt nur ein einziges Sujet: den Tod. Man weiß ihn in immer neuer grausamer Weise zu inszenieren. Auch bei unseren „Verbündeten“ aus Saudi Arabien, wo die öffentliche Steinigung und das Auspeitschen en vogue sind, und im Iran. Dort ist das langsame, sich bis zu einer Stunde hinziehende, Strangulieren am Baukran Mittel der Wahl. Schon im Mittelalter war die öffentliche Hinrichtung ein wildes Spektakel, in dem die Angstlust am Tode unmittelbar in den das Leben feiernden Jahrmarkt umschlagen konnte. In den islamistischen Snuffvideos von IS & Co bleibt die Angstlust, die Hinwendung zum Leben entfällt. Oder sie verschiebt sich in zynischer Weise, wenn etwa Al Quaida in offensichtlichem Bewusstsein über die Wirkung der eigenen PR ein professionelles Hochglanzmagazin unter dem Namen Ressurgence (Wiederaufleben) auf den Markt bringt. Terrorismus ist Theater ohne Katharsis.
Das Gefühl der konkreten Bedrohungslage
Hier findet sich die Presse in einem Dilemma. Terror, das Beispiel Paris zeigt es wieder, zielt auf unser aller Leben, indem explizit Orte und Situationen angegriffen werden, die wir emphatisch mit den besten und schönsten Momenten unserer Existenz verknüpfen. In das lang gepflegte Idyll Paris, die „Stadt der Liebe“, in das Erlebnis eines Fußball-Freundschaftsspiels, in einen Moment, in dem wir uns also bewusst nicht abgrenzen, in die wilde Feier eines Rockkonzertes und in das süße Leben der Clubs und Cafés wird Gewalt getragen. Natürlich muss die Presse berichten. Und unser ebenfalls natürliches Bewusstsein, sich in emotionalen Situationen mitzuteilen, befeuert noch die Allgegenwart der Ereignisse. Die Dynamik der sozialen Medien prägt der Berichterstattung zusätzlich Muster auf: Möglichst nah dran soll sie sein, selbst möglichst emotional, und möglichst an- und ausdauernd. Immerhin konkurrieren Presse und Fernsehen mit den neuen unmittelbaren Nachrichtenkanälen.
So entsteht erst durch die Berichterstattung eine Verallgegenwärtigung des Terrors. Verschärfungen der Sicherheitslage folgen, die Berichterstattung springt hierauf wieder an. Ein Teufelskreis. „Wenn du dich mit dem Teufel einlässt, verändert sich nicht der Teufel. Der Teufel verändert dich!“ sagt Joaquin Phoenix im Film „8 Millimeter“ zu Nicolas Cage, der sich in einem Snuff-Movie-Netzwerk zu verlieren droht. Im Fall von Paris wurde immerhin in den Leitmedien größtenteils darauf verzichtet, unmittelbar Schreckensbilder zu zeigen. Dennoch wird man den Eindruck nicht los, dass zumindest partiell versucht wird, mit dem Teuflischen zu spielen. Menschliche Neugier und Quote, glaubt man, verlangten es. Dabei wissen wir aus anderen Kontexten, dass die Presse durchaus fähig ist, sich in Zurückhaltung zu üben, ohne dass darüber der Markt zusammengebrochen wäre. Über Selbstmorde etwa berichtet man, seit zahlreiche Studien den sogenannten Werther-Effekt bestätigt haben, in der Regel mit der gebotenen Vorsicht. Wäre eine ähnliche freiwillige Selbstverpflichtung nicht auch in der Terrorberichterstattung denkbar? Zumindest das Verbreiten von islamistischen Snuff-Clips sollte geächtet werden.
Achillesferse des Terrors
Das heißt nun jedoch nicht, dass über Terroranschläge nicht umfangreich berichtet werden sollte. Gerade die Erfahrungen mit den Attentaten von Paris vergangene Woche und im Februar zeigen, wie groß das Bedürfnis der Bevölkerung nach fundierter Analyse und Hintergrundberichterstattung ist. Schockstreifen und Rührstücke wären vielleicht gar nicht nötig. Überhaupt wären die eingangs aufgeführten Statistiken viel stärker in den Fokus zu rücken: Statistik ist die Achillesferse des Terrors.
In Europa ist Terrorismus wohl die unwahrscheinlichste nur denkbare Todesursache. Viele Dinge müssen zusammenkommen, damit ein großer Terroranschlag überhaupt gelingen kann. Teils jahrelange Planung, dazu Unaufmerksamkeiten der Sicherheitsbehörden. Zudem ist es nicht gerade leicht, einen Menschen zu töten. Nicht psychisch, meine ich – physisch! 1500 Menschen feierten im Bataclan, und man sollte doch meinen, dass ein solches Massaker wie das dort verrichtete die Wenigsten überleben. Im Gegenteil – „nur“ (und das in ausdrücklichen Anführungszeichen, denn dass jedes Leben unersetzlich ist, steht außer Frage) 89 Menschen erlagen ihren Verletzungen. Der Mensch widersetzt sich seiner Ermordung, wenn er sich absolut sicher sein kann, dass es um Leben und Tod geht, wenn jede Hoffnung auf ein Entkommen vergangen ist. Wäre es also Ziel, möglichst viele „Ungläubige“ zu töten, könnte der islamistische Terror niemals erfolgreich sein. Doch er zielt ja auf das Spektakel: Terror ist Theater.
„Nüchterne Leidenschaft zur praktischen Vernunft“
Ist es zynisch, im Angesicht des Schrecklichen auf nackte Zahlen zu verweisen? Ich finde nein. Zynisch ist es, nun in erster Linie mit gewaltigen Polizeiaufgeboten an Flughäfen, Bahnhöfen und anderen Verkehrsknotenpunkten aufzuwarten, deren martialisches Auftreten (nicht deren bloße Anwesenheit, die auch sehr viel subtiler gestaltet werden könnte) nur dazu dient, der gefühlten Bedrohungslage ebenfalls auf dem theatralischen Parkett etwas entgegenzusetzen. Zynisch ist es auch, die durch die Anschläge entstandene Verunsicherung zu nutzen, um einmal mehr politische Projekte durchzudrücken, die vor allem der Überwachung der eigenen Bevölkerung dienen werden. Und zynisch ist es, à la Markus Söder die lang gehegte eigene Flüchtlingsagenda mit den Terroranschlägen im Rücken stark machen zu wollen. Gerade die Politik wäre gefordert, die nackten Zahlen zu vermitteln und der Bevölkerung die Angst zu nehmen. Mit dem großen Krisenmanager Helmut Schmidt wäre gegen das Theater „die nüchterne Leidenschaft zur praktischen Vernunft“ in Anschlag zu bringen.
Allerdings: Klar ist der Terrorismus mit allen Mitteln, die einem demokratischen Staatswesen zur Verfügung stehen, zu bekämpfen. Doch lasse man sich bitte nicht darauf ein, sein Theater mitzuspielen.
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