Die Queen und der Tod des Anstands

Schon während die englische Königin im Sterben lag, gab es hämische Kommentare. Und nach ihrem Tod wurde es nicht besser. Was sind das für Menschen? Eine Kolumne von Heinrich Schmitz


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Als ich ungefähr sechs Jahre alt war, also 1964, war ich schock-verliebt in eine Kaiserin. Die hatte ich im Schwarz-weiß Fernsehen gesehen. Und die hieß Elisabeth. Ihr Lächeln und ihr Lachen ließen mich kleinen Mann dahinschmelzen und ich nahm mir fest vor, diese arme Frau aus den Klauen ihres Mannes zu befreien und zu heiraten, sobald ich groß wäre. Dass das nur ein Sissi-Film war, raffte ich da noch nicht und ich wunderte mich, als ich später in der Fernsehzeitung bei meiner Tante ein Bild meines Schwarms sah, aber von der Tante behauptet wurde, das sei eine Schauspielerin namens Romy Schneider.

1965

Nur ein Jahr später, im Jahr 1965, sah ich dann Bilder vom Besuch von Queen Elisabeth II. In Deutschland. Ich dachte nun, das sei auch nur eine Schauspielerin und das ganze ein Film. Aber meine Tante erklärte mir mit Beben in der Stimme, das sei eine echte Königin, die Königin von England. Das war etwas verwirrend, aber an den nächsten Tagen verfolgte ich so ziemlich jede Nachrichtensendung, um die Königin zu sehen. Könige und Königinnen kannte ich vorher ja nur aus Märchenbüchern. Und nun sah ich eine echte. Und die sah echt sympathisch aus und sie lächelte auf eine Art, dass ich Sissi abmeldete und fürderhin in die Queen verschossen war. Jedenfalls eine Zeit lang. Alles, was mit England zu tun hatte, prägte die nächsten Jahre. Vor allem die Musik.

Ein Onkel erzählte mir stolz, dass er das Tafelwasser der Queen trinken würde. Es hat Jahre gebraucht, bis ich selbst Englisch lernen durfte, um zu erfahren, dass „The Queen of Tablewaters“ keineswegs bedeutete, dass das das Wasser der Queen ist. Aber egal. Ich hab das halt lange geglaubt.

Nun bin ich über diese kindliche Schwärmerei für die Queen nicht zum Royalisten geworden. Nicht dass Sie denken, ich würde mir die bunten Blätter mit den Geschichten aus allen möglichen Königshäusern ansehen. Und wenn in einem Quiz die Frage nach der Königin von Weißichwas gestellt wird, bin ich raus. Interessiert mich nicht, kümmert mich nicht.

Konstante

Aber die Queen war in meinem Leben wie wohl auch in dem der meisten heute lebenden Menschen immer da. Eine Konstante.  Sie war schon Königin, als ich geboren wurde. Sie schien unsterblich zu sein. Natürlich war mir klar, dass sie das nicht ist und dass auch sie irgendwann mal sterben würde, aber irgendwie dachte ich immer, sie würde mindestens 100 Jahre. Dass sie nicht zurücktreten würde, um für ihren Sohn im Rentenalter den Platz freizumachen, hatte sie frühzeitig versprochen. Also musste der arme Kerl warten und warten. Und manch einer hat sich wohl gewünscht, er ließe gleich seinen Sohn William ran.

Und nun ist es geschehen und die einzig wahre Queen ist tot. Schon am Donnerstagnachmittag hingen die Boulevardgeier über Schloss Balmoral. Ich fand das zum Kotzen, aber okay, die sind halt so. Badmoral.  Und als dann die Nachricht von ihrem Tod verkündet wurde, weckte das in mir ein melancholisches Gefühl. Keine Trauer wie bei guten Freunden, die gestorben sind. Ich war ja nicht mit ihr befreundet, ich kannte sie persönlich ja gar nicht. Aber sie war halt ein Teil meiner Lebensgeschichte.

Ruhe in Frieden

Und dann wünscht man sich, dass wenigstens für ein paar Stunden mal etwas Ruhe einkehrt. Stattdessen tummeln sich mal wieder diejenigen, die Anstand für einen Begriff aus der Jägersprache halten, um entweder blöde Witze zu reißen oder aber ihren blanken Hass auf die Queen auf die Öffentlichkeit loszulassen.

Sie sei eine nutzlose Person gewesen, die sich auf Kosten der Bevölkerung ein schönes Leben gemacht habe. Nun ja. Ich möchte einen von den Clowns sehen, die so etwas behaupten, wenn sie nur eine Woche lang den Terminkalender der Queen hätten abarbeiten müssen.

Sie habe nichts geleistet. Ach was. Interessant, dass solche Sprüche häufig von Linken kommen, die doch sonst immer betonen, dass jeder Mensch mit Menschenwürde ausgestattet ist und die nicht davon abhängt, was man leistet. Aber sei’s drum, ich denke: diese Frau hat einiges geleistet:

Meine Heimatstadt war nach dem zweiten Weltkrieg zu 80 Prozent zerstört. Nach dem Krieg zogen die Briten ein. Das waren die Tommies, das war der Feind. Und in England galt der nachvollziehbare Grundsatz, nur ein toter Deutscher ist ein guter Deutscher.

Als die Queen 1965 nach Deutschland zu Besuch kam, sah man in der langsam wieder aufgebauten Stadt immer noch Einschusslöcher in vielen Wänden und auf dem Feld fand man Granaten. Dass diese Feindschaft Schritt für Schritt beendet wurde, war auch ein Verdienst der charismatischen Queen – und natürlich von BFBS, dem Radiosender der britischen Truppen, der wenigstens richtige Musik ins Rheinland brachte. England – so nannte man Großbritannien hier; ebenso wie man Holland zu den Niederlanden sagt – wurde cool. Dann kamen der Minirock, die Carnaby Street, Monty Python und alles dekoriert mit dem Union Jack. Und egal was kam, die Queen war immer im Hintergrund. Die Beatles wurden mit dem MBE ausgezeichnet, Paul McCartney gar zum Ritter geschlagen. Hach.

Das tut man nicht

Ich weiß nicht, was dazu führt, dass Menschen glauben, sich respektlos über Verstorbene äußern zu müssen. Das ist schon alleine deshalb schäbig, weil die sich nicht mehr wehren können.“Das tut man nicht!“ hätte meine Mutter gesagt und auch wenn ich ihre Antwort auf die Frage warum denn nicht, „Weil man das nicht tut“ nicht wirklich befriedigend fand, stimme ich ihr zu. Es gibt Verhaltensweisen die der Anstand einfach verbietet. „de mortuis nil nisi bene“, über Tote (rede man) nur gut, scheint vergessen zu sein, schade. Aber das ist wohl eine Erziehungsfrage.

Niemand muss die Queen gemocht haben, niemand muss die Monarchie mögen. Aber die abzuschaffen wäre dann Sache der Briten.

Selbstverständlich wird es der toten Queen herzlich egal sein, was über sie geredet wird. Aber es gibt nun offenbar Millionen Menschen, die ihren Tod ernsthaft betrauern. Und was bringt es eigentlich für einen Lustgewinn, denen in ihrer Trauer weh zu tun, nur weil man die Queen nicht mochte? Ist das eine Information, die die Menschheit jetzt braucht? Und reicht es da nicht zu sagen, ich mochte die nicht? Muss man da so ekelhafte Sachen sagen, wie es z.B. Tirhaka Love getan haben soll, die Queen sei ein „kaum atmender Müllsack“, dann sagt das mehr über den Beleidiger als die Beleidigte. Mir tun solche Menschen leid, die sich einfach nicht benehmen können. Warum nicht mal seinen Hass wenigstens solange unter Kontrolle halten, bis die Verstorbene beerdigt ist? Warum muss man mit solchen öffentlichen Schmähungen den tatsächlich trauernden Angehörigen weh tun? Weil man es kann? Oder vielleicht doch, weil man keinen Anstand hat?

Ich werde mir die Trauerfeier für Queen Elisabeth II im Fernsehen ansehen. Und ich werde noch mal melancholisch werden. Und wenn jemand meint, sich daran stoßen zu müssen, dann: „Sag’s ihm, er kann mich im Arsche lecken!“

Und zur Queen sage ich mit dem Paddington Bär: „Thank you.Ma’am. For everything.“

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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